"Stonewall" im Kino:Verlorene Jungs

Politisches Drama? Krimi? In "Stonewall" versucht Roland Emmerich sich daran, die amerikanische Schwulenbewegung im Jahr 1969 zu erzählen. Warum er der historischen Tragweite seines Themas nicht gerecht wird.

Von Susan VahaBzadeh

Roland Emmerich hat sich viel Unmut eingehandelt mit seinem neuen Film "Stonewall", und das ist schon deswegen schade, weil er ihm wahrscheinlich näher am Herzen liegt als manch anderes Projekt.

Man hat Emmerich schon vor dem Start in den USA vorgeworfen, er habe quasi alle ohnehin schon Entrechteten, die damals an den Unruhen beteiligt waren, die heute von der Schwulenbewegung als Christopher Street Day gefeiert werden, nun auch noch historisch enteignet. Und zwar zugunsten eines hellhäutigen Football-Blondchens mit einem Stipendium der Columbia University als Hauptfigur. Ganz so stimmt das nicht - dazu ist das Blondchen Danny (Jeremy Irvine) viel zu langweilig.

Halb Drag Queen, halb Lost Boy

Danny kommt Ende der Sechziger nach New York, für das Stipendium an der Columbia fehlen ihm noch die Papiere, die ihm sein Vater verweigert, der ihn aus dem Haus gejagt hat, nachdem Schulkameraden Danny und seinen besten Freund beim Sex erwischt haben. Man kriegt diese Vorgeschichte in kurzen Rückblenden mit. Ray (Jonny Beauchamp) nimmt sich seiner an - und er ist dann die eigentlich zentrale Figur dieses Films.

Ray ist halb Drag Queen, halb Lost Boy, geflüchtet aus einer Welt, die ihn nicht haben will, in ein Nimmerland der durchtanzten Nächte. Er würde "sie" vorziehen, und so soll es dann auch sein: Ray kümmert sich um den hilflosen Danny, obwohl sie selbst bettelarm ist, sich mit Prostitution über Wasser hält und oft genug geprügelt zurückkommt, wenn sie Geld verdienen war. In ihr vereinen sich Trotz und Rückgrat und ein unbeirrbarer Überlebensinstinkt, und sie ist kein weißes Blondchen. Man würde "Stonewall" nur wünschen, dass die Geschichte um sie herum ein bisschen besser erzählt wäre.

Stonewall

Durchtanzte Nächte, und plötzlich ist Revolution - die "Stonewall"-Welt dieses Films hängt ein bisschen im luftleeren Raum.

(Foto: Warner)

Emmerich ist ein guter Actionregisseur - aber hier weiß er nicht recht, was er will

Es geht um die letzten Monate, bevor ein Polizeieinsatz in einer Kneipe namens Stonewall Inn in der Christopher Street eskaliert. Ray gehört zu einer Clique, die sich so durchschlägt - echte Jobs gibt es für sie nicht, das Geld ist knapp, und was da ist, wird verfeiert, sofern nicht ein Polizeitrupp im homophoben Machtrausch sein Mütchen kühlt an diesen verlorenen Jungs und Mädchen. Bis es eines Abends genug ist.

Das Kino ist eine Kunst, aber es ist eben auch ein Handwerk. Roland Emmerich ist gut darin, große Actiongeschichten im Griff zu behalten. Bei "Stonewall" aber weiß man nie so recht, was dieser Film eigentlich sein will, wenn er fertig ist. Ob er jetzt einen historischen Moment beleuchten will im Kampf um Schwulenrechte, oder ein Schlaglicht werfen auf ein paar Outcasts, oder vielleicht doch lieber auf Krimi machen will. Und zwar über die dubiosen Geschäfte eines vom Hinterzimmer des Stonewall operierenden Zuhälters (Ron Perlman), der Jungs entführt und an richtig fiese Typen vermietet und möglicherweise mit der Mafia zu tun hat.

Es fehlt der politische Kontext

All das wird angerissen - zu Ende erzählt wird in "Stonewall" von all dem nichts. Nur Ray gewinnt Kontur - alle anderen bleiben schemenhaft. Emmerich kann sonst so ökonomisch, wie das Actionkino es verlangt, mit ein paar Pinselstrichen eine Figur sympathisch zeichnen, sein Publikum auf die Seite dieser Figur ziehen. Für einen wie Danny reicht das aber nicht, der könnte dem Außenseiterdasein leicht aus dem Weg gehen, und die Entwicklung, die ihn treibt, sieht man in keiner Szene.

Ach, überhaupt - die Christopher Street, wie Emmerich sie zeigt, scheint in keine Kreuzung zu münden, sie ist eine isolierte Welt, und dass die Bilder so wirken, passt zu dem, was im Drehbuch von Jon Robin Baitz passiert. Ray und die Clique haben jeden Kontakt zur Gesellschaft verloren. Das mag für diese Gruppe, auf die er sich konzentriert, tatsächlich wichtig sein, zu zeigen, wie weit weg sie waren - aber der Kampf um die Rechte von Schwulen wurde weder in den USA noch anderswo im luftleeren Raum erkämpft. "Stonewall" fehlt jeder politische Kontext, als habe es in dem Jahrzehnt, das vor diesen Unruhen liegt, keine Bürgerrechtsbewegung gegeben, die die Zeit reif machte für die Abschaffung diskriminierender Paragrafen.

Politik als Privatangelegenheit

Zwei Aktivisten gibt es hier, die natürlich nicht dazugehören: der schmierige Trevor (Jonathan Rhys Meyers) und ein angepasster Anzugträger, der wegen seiner Homosexualität bei der Nasa gefeuert wurde - die sind dann später nur Mitläufer, Trittbrettfahrer, als hätten sie selbst den Kampf um den Gay Pride verbockt. Es verlangt ja keiner, dass Emmerich und Baitz bei der Aufklärung ansetzen, aber in "Stonewall" sieht es aus, als gäbe es nur Schwulenrechte, weil ein paar Leute bei einer Party richtig sauer wurden. Aber so leicht war gesellschaftliche Veränderung nie zu haben.

Die historischen Ungenauigkeiten, die es in der Geschichte gibt - die sind nun ganz sicher nicht das Problem. Mit ihnen geht Emmerich sogar offensiv um. Der Zuhälter mag später ein wichtiger Aktivist geworden sein; Emmerichs Film verweigert ihm den Respekt. Es ist aber vielleicht eine Meinungsäußerung, ihn so finster zu zeichnen. Das mit der Politik als Privatangelegenheit allerdings - das ist irgendwie nicht der richtige Geist.

Stonewall, USA 2015 - Regie: Roland Emmerich. Drehbuch: Jon Robin Baitz. Kamera: Markus Förderer. Mit: Jeremy Irvine Jonny Beauchamp, Vladimir Alexis, Jonathan Rhys Meyers, Ron Perlman. Warner, 129 Minuten.

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