Süddeutsche Zeitung

Drama:Eine Weihnachtsgeschichte

Das ausgezeichnete deutsche Drama "4 Könige" erzählt vom Selbstfindungstrip eines Teenager-Quartetts.

Von Rainer Gansera

"Ich lieb' dich, aber du machst mich kaputt!" Mit lauter Stimme, unter Tränen, ruft Alex (Paula Beer) hinaus, was sie ihrer depressiven Mutter früher nie zu sagen wagte. Immer hat sie unter dem Bann eines "Mutter braucht mich"-Mantras ihren Zorn in sich hineingefressen. Jetzt aber, beim Waldspaziergang mit Psychiater Dr. Wolff, lässt sie sich herausfordern, offenbart ihre Gefühle, probt die Mutter-Anklage: "Kümmer' dich um deinen eigenen Dreck, ich habe ein eigenes Leben!"

Von vier jungen Menschen, die die Weihnachtstage in der Jugendpsychiatrie verbringen müssen, erzählt Theresa von Eltz in ihrem preisgekrönten Kinodebüt. Vier traumatisierte Jugendliche, denen der Zugang zu den eigenen Gefühlen verschüttet wurde, durch tyrannische oder gleichgültige Eltern. Sie überspielen ihre Verletzungen und ringen um ihr Selbstwertgefühl. Jeder auf seine Weise. Timo (Jannis Niewöhner), der Aufbrausende, kann seine Aggressionen kaum zähmen. Feja (Moritz Leu), das Mobbing-Opfer, bleibt in sich verkrochen. Lara (Jella Haase) versteckt ihre Verletzungen hinter einer Fassade aus Koketterie, Clownerei und Provokation. Sie sorgt für Munterkeit und Witz. In einer herrlichen Szene entlarvt sie die Lebenslüge der biestigen Oberschwester Simone, die kein Privatleben hat und deshalb in der Anstalt das große Zepter schwingt.

Lara führt hier spielerisch keck vor, was der Film mit all seinen Figuren macht: die Risse in den Charakterfassaden entdecken und nachbohren, damit der Charakterkern sichtbar wird. Die Erwachsenen kommen dabei nicht so gut weg. Immerhin gibt es den Psychiater Dr. Wolff, Typ unkonventioneller Einzelkämpfer, der seine vier Schützlinge nicht nach Anstaltsregeln entmündigen, sondern zu Selbsterkundung und Verantwortung ermutigen will. Die Jugendlichen zeichnet Theresa von Eltz mit einer schönen Poesie der Komplizenschaft. Der Wellengang ihrer Stimmungen wird feinfühlig von ihr erspürt. Die Ängste und Traumata treten hervor, auch ihre Sehnsüchte nach der Leichtigkeit des Seins. Manche Konflikte mit den Anstaltsregeln erscheinen formelhaft nach dem "Einer fliegt übers Kuckucksnest"-Muster konstruiert, aber die Überzeugungskraft der jugendlichen Darsteller lässt diese Weihnachtsgeschichte doch groß aufleuchten.

Entscheidend ist, dass Theresa von Eltz keine klinischen Fälle vorführen und analytisch ergründen will, sondern packende Charaktere schildert. Gerade weil deren "Fallgeschichten" nur angedeutet werden, entsteht eine geheimnisvoll schwebende Atmosphäre, in der wir eigene Erfahrungen wiederfinden. Eine Weihnachtsfabel ohne Rührseligkeit, ohne idyllisches Happy End, gewoben aus Trauer und trotzigem Aufbegehren. Mit der Freundschaft, die zwischen den Jugendlichen aufkeimt, schürt sie einen zauberhaften Hoffnungsschimmer.

4 Könige, Deutschland 2015 - Regie: Theresa von Eltz. Buch: Esther Bernstorff. Kamera: Kristian Leschner. Mit: Paula Beer, Jella Haase, Jannis Niewöhner, Moritz Leu. Port au Prince, 99 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2015
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