"Santa & Andrés" im Kino:Der Glanz des aufstrebenden Sozialismus

Santa & Andres

Lola Amores und Eduardo Martinez in "Santa & Andrés".

(Foto: Verleih)

Carlos Lechuga erzählt in seinem Drama "Santa & Andrés" von der Paranoia im Kuba der Achtzigerjahre, und wie "Fake News" das Leben der Menschen verändern.

Von Doris Kuhn

Die ersten Bilder sind relativ unergründlich, obwohl darin mit großer Entschlossenheit agiert wird. Eine Frau marschiert mit finsterer Miene übers Land. Sie trägt einen großen hölzernen Stuhl. Schließlich erreicht sie an einem Berghang eine schmale Plattform, auf der eine Hütte aus Beton und Wellblech steht. Dort setzt sie den Stuhl ab und stellt sich vor: Sie ist Santa. Sie kommt vom Volksrat. Sie wird für die nächsten drei Tage auf dieser Plattform sitzen und Wache halten - über Andrés, den Bewohner der Hütte, der sie mit einer Mischung aus Staunen und Sarkasmus zur Kenntnis nimmt.

Es gibt, zum besseren Verständnis, vorab Texttafeln. Wir sind in Kuba. Es ist das Jahr 1983, Castro ist seit 1959 an der Macht, aber "der Glanz des aufstrebenden Sozialismus" soll auch jetzt durch nichts getrübt werden, besonders nicht durch Künstler oder Homosexuelle. Seit Jahren gibt es Maßnahmen gegen solche Menschen. Viele der betroffenen Kubaner haben das Land verlassen, nur manche sind geblieben. Zu denen gehört Andrés, obwohl er gleich zweimal durchs Raster fällt: Er ist als Schriftsteller nicht eindeutig auf Seiten der Revolution. Und er ist schwul.

In Santas Dorf findet ein internationales Friedensforum statt - "schon wieder eins?" -, kommentiert Andrés, und genau wegen solcher Art Spott hat der Volksrat Angst, dass er dort auftaucht und zur ausländischen Presse spricht. Also muss Santa ihn bewachen, was lächerlich aussieht, aber mit großem Ernst durchgeführt wird. Besonders von Santa, die Andrés wie das personifizierte Böse behandelt. Als gerissen und heimtückisch wurde er von ihrem Vorgesetzten beschrieben, und Santa, im Dorf sonst für die Betreuung der Kühe zuständig, verlangt keine weitergehende Information. Selbst dann nicht, als sie Andrés sieht, obwohl ihr nicht klar ist, welche Gefahr von diesem melancholischen Mann ausgehen könnte.

Am zweiten Tag hört Santa auf, sich Andrés' Freundlichkeit zu widersetzen

Hier streift Carlos Lechugas Film die Gegenwart. Keine Information, falsche Information, das Fehlen von Kontext - die Methoden, die hier im dörflichen Rahmen angewandt werden, sind althergebracht, aber mittlerweile weltumfassend in Betrieb, wenn es darum geht, Feindbilder herzustellen oder festzuzurren. Das Spannende allerdings ist gerade die Enge, in der Lechugas Film spielt. Da lässt sich ausprobieren, was passiert, wenn man diejenigen tatsächlich kennenlernt, vor denen man so eindringlich gewarnt wird. Also das, was eintritt, wenn Santa drei Tage vor Andrés Haus sitzt und ihn beobachtet.

Es ist großartig anzusehen, wie Santa von ihrem Argwohn zur Verwunderung findet, und dann zu Ungehorsam. Sie und Andrés sind beide arm, beide einsam, beide ein bisschen neugierig. Am zweiten Tag hört Santa auf, sich Andrés' Freundlichkeit zu widersetzen, denn sie hat ein Herz, und er teilt immerhin sein Mittagessen mit ihr. Also wird es zu Gesprächen kommen, allein das ist für beide ungewöhnlich. Man wird nicht erfahren, was Andrés heimlich schreibt, wie er sich beim Regime unbeliebt gemacht hat, aber man erfährt, dass er einen Lover hat. Die erwachende Freundschaft zwischen Santa und Andrés macht den Film zeitweilig hell und versöhnlich. Wobei Lechuga nicht zum visuellen Überschwang neigt, er erzählt in kargen Bildern vom kargen Alltag der Figuren. Schließlich schwenkt Lechugas Film zu den Konsequenzen, die man riskieren muss, wenn man sich eine Meinung bildet, die von dem abweicht, was öffentlich propagiert oder diskriminiert wird.

Carlos Lechuga stammt aus Kuba, er besuchte dort die Filmhochschule, gewann Preise mit seinen Drehbüchern. 2016 hatte er "Santa y Andrés" fertig, seine zweite Regiearbeit. Und siehe da, mit Themen wie Repression und Zensur im revolutionären Kuba war er nicht willkommen im Wettbewerb auf dem Filmfestival von Havanna. Was dabei von den Bedenkenträgern übergangen wurde, ist der allgemeingültige Teil von Lechugas Film: Man sieht, wie aus einer geteilten misslichen Lage Verständnis füreinander erwächst, und aus Verständnis Solidarität.

Santa Y Andrés, Kuba, F, Kolumbien 2016 - Regie und Buch: Carlos Lechuga. Musik: Santiago Barbosa Cañón. Mit Lola Amores, Eduardo Martínez, George Abreu. EZEF, 105 Minuten.

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