Süddeutsche Zeitung

Drama:Alles nur ein Spiel

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Sex und Verführung als elementare Machtdemonstrationen: das beeindruckende Kinodebüt "Schau mich nicht so an" der mongolisch-deutschen Regisseurin Uisenma Borchu.

Von Rainer Gansera

Die Forderung der Nouvelle Vague, dass ein Film so wahrhaftig sein müsse wie ein intimes Bekenntnis oder Tagebuch, löst die Filmemacherin und Schauspielerin Uisenma Borchu auf faszinierende Weise ein.

Ihr mit zahlreichen Festivalpreisen prämiertes Spielfilmdebüt "Schau mich nicht so an" ist wagemutiges Selbstbekenntnis und gleichzeitig ein raffinierter Thriller der Leidenschaften, eine Seelenerkundung und eine Revolte sozialer Rollenbilder. Ihr Blick auf Körper, Sex und Verführung verblüfft mit provokanter Direktheit und entfaltet zugleich eine Poesie der Unschuld. Borchu, mongolischer Herkunft und Absolventin der Münchner Filmhochschule, konfrontiert Attitüden, und ihre Geschichte beginnt mit einem folgenreichen Versteckspiel.

Die Morgensonne scheint ins Schlafzimmer, die kleine Sofia (Anne-Marie Weisz) flattert durch den Raum wie ein Schmetterling. Sie will spielen, aber ihre alleinerziehende Mutter Iva (Catrina Stemmer) ist müde, hat keine Zeit für Spielereien. Sofia will nicht in den Kindergarten gehen und versteckt sich bei Nachbarin Hedi: eine exotische Schönheit (gespielt von der Regisseurin selbst), geheimnisvoll und herausfordernd.

"Ist deine Mama böse?", fragt Hedi. "Nein, das ist doch nur ein Spiel!", antwortet die Kleine. Erstaunlich, welche Komplizenschaft Hedi mit der quirligen Sofia gleich von Anfang an herstellt, als würde da ein geheimes Einverständnis wirken. Hedi zeigt ihr, wie man Zigaretten raucht, und die Kleine imitiert das munter mit einem Grashalm. Eine hübsche szenische Vignette mit bedrohlichen Untertönen.

Erst allmählich erkennen wir, dass für Hedi alles nur ein Spiel ist. Sie spielt mit Gefühlen, Zuneigungen, Leidenschaften, riskiert, dass aus ihrem berechnenden Spiel bitterer Ernst werden kann. Sie wird in Ivas Leben eindringen, von ihrer Tochter Besitz ergreifen und dann von Iva selbst. Sie wird sich als manipulatives Biest entpuppen und ihre Krallen ausfahren.

Zuerst aber erscheinen Hedis Dominanz-Spielchen vergnüglich. Wenn sie einen Lover für eine Nacht aus der Disco abschleppt, dann kommandiert sie ihn herum, macht sich lustig über seine mangelnde Beischlaf-Virtuosität, und wenn der Verschreckte nicht bereit ist, ihr die große Zehe zu lecken, wird er schnöde abserviert. Die Libertinage, die Hedi an den Tag legt, lässt die "Freizügigkeiten" der Spaßgesellschaft spießig und blass aussehen. Sex und Verführung werden hier nicht als Teil eines Beziehungstheaters verhandelt, sondern als elementare Mächte vorgeführt.

Nur Josef Bierbichler versucht, dieser Frau zu widerstehen, und zitiert lieber traurige Brecht-Verse

Besonders schön, wenn Hedi darangeht, Iva den Kopf zu verdrehen. Eine Beinahe-Liebesgeschichte, die leidenschaftlich in Gang kommt und kippt, als auch hier das Besitzergreifende und Kommandierende in Hedi hervortritt. Sie impft Iva Schuldgefühle ein: "Du bist zu weich, zu schwammig." Sie verachtet das Selbstmitleid, in dem die überforderte Alleinerziehende bisweilen zerfließt. Dabei geht die Verführerin ohne offen erkennbare Bösartigkeit vor. Sie hüllt ihre Kritik an Ivas Opferrolle-Attitüde zuerst in Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft ein - bis sie den Bruch mit beispielloser Kälte inszeniert.

An die Grenzen ihrer Verführungskunst stößt Hedi, wenn sie Ivas Vater Sepp (Josef Bierbichler) begegnet. Der hatte seinen Besuch bei Tochter und Enkelin angekündigt, war dann aber nicht erschienen. Also besucht Hedi ihn in seinem Hotel, macht sich an ihn ran, landet mit ihm im Bett und verlangt Dinge von ihm wie: "Sag, dass ich dir gehöre, dass du mich besitzt!" Da murmelt der Alte: "Nein, das tu' ich mir nicht an!", und rezitiert melancholische Brecht-Verse über verwehende Liebe.

Großartig, wie Bierbichler dieses Zitat aus der Erinnerung hervorholt: " . . . und über uns im blauen Sommerhimmel war eine Wolke, die ich lange sah". Hier gewinnt der improvisatorische Gestus der Inszenierung seine stärksten Momente. Wie Hedi ist auch Ivas Vater ein Spieler, er nimmt, was er kriegt, lässt sich selbst aber nicht in Besitz nehmen.

Das Finale betont traumwandlerisch die thrillerhaften Aspekte, imaginiert blutige Rache und spinnt die Rahmengeschichte bis in die Mongolei weiter. Uisenma Borchus Debüt besticht als große Porträtkunst. Alle Figuren werden enthüllt, entblättert, aber niemals abgefertigt. Die Kamera von Sven Zellner ist nah dabei, konzentriert auf die Personen. Sie funktioniert wie ein Resonanzkörper der Stimmungen und Gefühle, immer darauf aus, den elektrisierenden Augenblick zu erhaschen. Sie folgt dem innersten Thema der Geschichte, sucht Intimität und Komplizenschaft, aber so, dass die Figuren dabei aufblühen dürfen. Vor allem die kleine Sofia, die als Prinzessin des kindlichen Spiels den utopischen Horizont des Dramas aufreißt.

Schau mich nicht so an , Deutschland/Mongolei 2015 - Buch und Regie: Uisenma Borchu. Kamera: Sven Zellner. Mit: Uisenma Borchu, Catrina Stemmer, Josef Bierbichler. Zorro, 88 Minuten.

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SZ vom 17.06.2016
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