Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung":Die Riefenstahl unserer Zeit

Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung": Die Rechtspopulisten und die Bilder, eine große Liebesgeschichte: Jörg Haider bei einem Fototermin.

Die Rechtspopulisten und die Bilder, eine große Liebesgeschichte: Jörg Haider bei einem Fototermin.

(Foto: Herbert Pfarrhofer/picture-alliance/dpa)

In Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung" geht es um die Macht der Bilder in der Ära der permanenten Grenzüberschreitung. Aktuelle Bezüge zu Österreich sind unübersehbar.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Schon auf der ersten Seite geht es los: Jener Politiker, der da beschrieben wird, der "auf einer Kundgebung volksnah, bei einem Galadinner charmant und vor Firmenvorständen weltgewandt" aufzutreten versteht, ist das Jörg Haider? Parallelen zwischen dem Politiker, der den Aufstieg der FPÖ in den Achtzigerjahren bewirkt hat und als Vorreiter des Rechtspopulismus in Europa gilt, und der Figur Ulli Popp im Roman sind evident. Aber auch Facetten von Donald Trump, Viktor Orbán und Matteo Salvini blitzen durch. Auch die Hauptfigur August Becker scheint ein literarisches Konglomerat zu sein, das sich aus mehreren bekannten Pressefotografen zusammensetzt. Bei der Figur von Flo Maus, dem Mitarbeiter des Bundeskanzlers, sind Ähnlichkeiten zu illustren PR-Beratern zu erkennen.

Im neuen Roman von Doron Rabinovici gibt es häufig Bezüge zur aktuellen Politik und den Medien sowie Anleihen bei real existierenden Personen. Das macht den Reiz dieses Buches aus, dessen Anspielungen Leserinnen und Lesern, die mit den Entwicklungen in Österreich vertraut sind, sicher klarer erkennen und entschlüsseln können als andere. Es geht auch um "Staatsaufträge und Beteiligungen an heimischen Firmen im öffentlichen Besitz", die einem skrupellosen, offensichtlich aus Russland stammenden Geschäftsmann versprochen werden - Bezüge zur Ibiza-Affäre sind offensichtlich. Auch ein neues Online-Boulevardmedium spielt eine Rolle - ein solches wurde in Österreich jüngst gegründet.

Aber Rabinovici geht es nicht nur um Österreich. Sein Roman ist mehr als die literarische Verdichtung von Tagespolitik in seinem Heimatland. Der Historiker und Publizist zielt auf die grundsätzliche Ebene. In diesem Roman geht es um die Macht der Bilder, um das Verhältnis zwischen Politik und Medien. Deshalb ist der Titel "Die Einstellung" treffend doppeldeutig, weil er nicht nur auf die Arbeit des Fotografen, sondern auch auf Gesinnung abzielt. Rabinovici versteht es, die großen Themen Populismus und Pressefreiheit einzubetten in eine Handlung, die sehr im Heute und Jetzt verankert ist. Er zeigt die Gefährdungen auf, die Kipppunkte im öffentlichen und privaten Diskurs. Letztlich geht es um Toleranz und Aufklärung sowie den Fortbestand der liberalen Demokratie.

Doron Rabinovicis Roman "Die Einstellung": Doron Rabinovici: Die Einstellung. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.224 Seiten, 24 Euro.

Doron Rabinovici: Die Einstellung. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022.224 Seiten, 24 Euro.

Die Figur Popp ist ein rhetorisch gewandter, autoritärer Politiker, der auszieht, um die Stimmung in Stimmen zu verwandeln, um die Unzufriedenheit in einer Protestbewegung zu bündeln. "Unsere Bewegung ist ein Aufstand der einfachen Leute." Er braucht kein Programm, es reicht, gegen "die da oben" zu sein, gegen die bösen "Eliten" und die "Lügenpresse", die attackiert wird: "Wir sprechen nur aus, worüber der Mainstream nicht zu reden wagt." Hier wird literarisch das verhandelt, was auf Maßnahmen gegen die Corona-Maßnahmen diskutiert wird.

Die sozialen Medien und Chat-Nachrichten spielen eine große Rolle, die eingestreut auch zur Dynamik der Handlung beitragen. Dieser in rasantem Tempo vorwärtsdrängende höchst politische Roman passt ins Zeitalter von Instagram. Der Autor setzt sich mit der Wirkung von Bildern in den Medien auseinander - in den traditionellen und denen, die als sozial bezeichnet werden.

Zentral geht es um ein Foto, das Becker von Popp macht, das den Politiker vermeintlich entstellt beim Bieranstich steigt: Da "entgleiste ihm das Gesicht, die Augen weit aufgerissen, der Blick stier, der Mund verzogen vor Anstrengung", so beschreibt Fotograf Becker seine Aufnahme. Für ihn sieht der Politiker "wie ein Mörder" aus, "wie ein Koloss, ein Monster, ein Unmensch". Sein Auftraggeber, das Magazin Forum, will das Bild nicht drucken aus Angst, dass das Motiv als Einmischung in der Endphase des Wahlkampfes wahrgenommen wird.

Etwas mehr Subtilität und sprachliche Raffinesse hätten dem Roman gutgetan

Becker verkauft es schließlich an Popp - überzeugt, dass er mit diesem Bild, das ihn in dieser Einstellung zeigt, nichts anfangen kann. Aber der Populist nimmt es als Motiv für seine Plakatkampagne getreu dem Motto: Auffallen um jeden Preis. Der Fotograf wird zum Verräter in der linksliberalen Szene gestempelt. In sozialen Medien bricht ein Shitstorm aus. Becker wird vorgeworfen, er sei "die Leni Riefenstahl unserer Zeit".

Dann nimmt der Roman noch einmal rasante Wendungen, das Tempo der Handlung zieht mit. Aber gleichzeitig wird immer deutlicher, dass viele Darstellungen zu klischeehaft und Dialoge zu holzschnittartig sind, zu bemüht und zu konstruiert: die Debatten zwischen August Becker und seinem Sohn, die als typischer Generationendialog gelten sollen oder die Beschreibung und Rezeption von Ausländern oder Österreichern mit Migrationshintergrund. Und dann auch noch eine Liebesgeschichte.

Etwas mehr Subtilität und sprachliche Raffinesse hätten dem Roman gutgetan, denn die Botschaft ist von der erste Seite an mehr als deutlich. Rabinovici hat eine flott erzählte Momentaufnahme der Gegenwart vorgelegt, die in literarischer Form politische Mechanismen bloßlegt.

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