Soziale Netzwerke:Das Internet ist eben doch zu kontrollieren

US-Präsident Donald Trump bei einer Videoansprache in Washington

Eingeschränkt: Trumps Macht auf Twitter.

(Foto: THE WHITE HOUSE/via REUTERS)

Es war richtig, Trump bei Twitter und Youtube rauszuwerfen. Doch wer sollte Kontrolle über das Netz ausüben? Ein Vorschlag.

Von Andrian Kreye

Hier ist das Dilemma. Laut einer Untersuchung der Analysefirma Zignal Labs nahm die Zahl der Falschnachrichten über die US-Wahlen auf Twitter nach der Sperrung von Donald Trumps Konto um 73 Prozent ab. Die Kampf-Hashtags seiner radikalen Anhänger #FightForTrump und #HoldTheLine nahmen auf den Plattformen Twitter, Facebook und Instagram um 95 Prozent ab. Deplatforming funktioniert. Also der Ausschluss eines reichweitenstarken Influencers wie Donald Trump, wie ihn fast alle großen Dienste umsetzten. Um das Abwandern der Trump-Radikalen auf andere Plattformen zu bremsen, warf Amazon dann auch noch Parler von seinen Cloud-Servern. Das ist ein Kurznachrichtendienst, den die rechtsnationale Milliardärsfamilie Mercer gegründet hat. Jack Dorsey (Twitter), Mark Zuckerberg (Facebook) und Jeff Bezos (Amazon) haben also eine klare politische Grenze gesetzt.

Eine Utopie? Mag sein. War das Internet auch mal

Was da letzte Woche im Reflex der politischen Notwehr vollzogen wurde, zeigt vor allem, wie leicht das Internet eben doch zu kontrollieren ist. Und wie unbeholfen die Politik zunächst auf den Machtbeweis reagiert. Angela Merkel, Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador und das gemäßigte Kommentariat der Weltpresse meldeten Bedenken an. Doch wenn das Netz so leicht zu kontrollieren ist, wer sollte diese Kontrolle ausüben? Eine Handvoll weltfremder amerikanischer Milliardäre? Oder Politiker, die in sehr vielen Ländern und Organisationen, darunter bald auch wieder die USA, durchaus rechtsstaatlich denken und handeln, dafür aber viel zu viel Zeit brauchen?

Ein vernünftiges Kontrollorgan darf weder aus der Netzwelt selbst noch aus der aktiven Politik kommen. Nicht einmal die Vereinten Nationen oder die EU wären mit ihren endlosen Proporzkämpfen ein Vorbild. Nur eine wirtschaftlich unabhängige, nichtstaatliche Organisation könnte ein freies Netz garantieren. Das Rote Kreuz mit dem Roten Halbmond wäre ein Vorbild, eine Organisation, die einen so strengen Anspruch an die eigene Neutralität hat, dass sie sich in ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte eine Autorität erarbeiten konnte, die fast alle Welt anerkennt. Politik und Wirtschaft müssten dieser Organisation ähnlich wie dem Roten Kreuz mit einer bindenden Konvention ein Mandat geben. So ein digitales Rotes Kreuz wäre allein befugt, radikale Zensurmaßnahmen wie das deplatforming eines Regierungschefs zu beschließen. Rasch, wenn es sein muss. Es müsste die Fähigkeit bekommen, schädliche Auswirkungen von Automatisierungsprozessen zu minimieren, auch wenn das den Börsenkursen schadet. Es müsste Rechtsstaaten beraten, damit die Gesetzgebung mit dem technischen Fortschritt mithalten kann. Und es müsste in Ländern einschreiten, die das Netz gegen ihre Bürger oder gegen andere Nationen verwenden.

Eine Utopie? Mag sein. War das Internet auch mal.

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