Süddeutsche Zeitung

Donald Trump:Die letzte Hemmschwelle der Trump-Kritiker ist gefallen

Die Komikerin Kathy Griffin posiert mit einer Maske, die wie der abgeschlagene Kopf des US-Präsident aussieht. Das ist indiskutabel, birgt aber eine wichtige Frage: Wie konnte es so weit kommen?

Analyse von Kathleen Hildebrand

Dieses Foto war dann doch zu viel. Eine rothaarige Frau hält einen blutverschmierten Kopf in der Hand. Sie hält ihn fest an seinem wattig-dünnen, gelbblonden Haar. Es ist der Kopf von Donald Trump. Der Blick der Frau: ernst, ein bisschen triumphierend.

Kathy Griffin, die amerikanische Komikerin und Fernsehmoderatorin, hatte sich die Reaktionen wahrscheinlich anders vorgestellt, als sie das Bild, das der Celebrity-Fotograf Tyler Shields von ihr gemacht hatte, auf ihrem Twitter-Account veröffentlichte. Vielleicht dachte sie an die biblische Geschichte von Judith, die dem Tyrannen Holofernes den Kopf abschneidet, um ihr Volk vor der Unterdrückung zu bewahren. Ganz sicher dachte sie an Rache. Griffin schrieb auf Twitter: "Es kam Blut aus seinen Augen, aus seinem ... was auch immer" - eine Variation der Menstruationsanspielung, die Trump im Wahlkampf über die Fox-Moderatorin Megyn Kelly gemacht hatte, nachdem diese ihn in einer Debatte hart angegangen war.

Aber das war schnell egal. Griffin schaffte mit ihrer Enthauptungs-Inzenierung, was momentan sonst niemandem in den USA gelingt: Sie brachte alle Amerikaner zusammen, egal ob Demokrat oder Republikanerin. Allerdings auf Trumps Seite. Die Reaktionen in den sozialen Medien waren einhellig: Das Foto sei ekelhaft, brutal, es gehe zu weit. "Das ist böse und falsch. Es ist nie lustig, über den Mord an einem Präsidenten Witze zu machen", twitterte etwa Hillary Clintons Tochter Chelsea.

Und tatsächlich: Das Bild erinnerte so sehr an die grausamen Enthauptungsszenen in Propagandavideos des IS, dass die meisten Betrachter dann doch eher nicht an eine Rebellion des Guten dachten. Und auch nicht an Kunst. Sondern an den, den man fast vergessen hatte: den Menschen Donald Trump. "Als Mutter, Ehefrau und Mensch verstört mich dieses Foto sehr", gab First Lady Melania Trump in einem Statement bekannt. "Wenn man an die Ungeheuerlichkeiten denkt, die heute in der Welt passieren, ist so ein Bild einfach falsch und lässt einen die psychische Gesundheit der Person anzweifeln, die es gemacht hat." Trump selbst hatte zuvor schon auf Twitter reagiert. Man kann sich ausnahmsweise vorstellen, dass der Tweet auch ein paar Likes von seinen Gegnern bekommen hat:

Der realistisch wirkende abgetrennte Kopf war zu viel. Punkt. Aber wie konnte es so weit kommen? So weit, dass auch liberale Komiker, die sich doch meist zugute halten, die Grenzen des Anstands zu kennen und schützen zu wollen, derart daneben greifen? Bei der Kritik an einem Präsidenten, der erst seit viereinhalb Monaten im Amt ist? Kathy Griffin ist ja nicht die erste, die diese Grenze überschreitet. Da war das Spiegel-Cover im Februar, auf dem Trump der Freiheitsstatue den Kopf abgeschnitten hatte. Das irische Magazin Village zeigte Trump mit Fadenkreuz auf der Schläfe, darunter die Worte: "Why Not?" Trump ermorden also - warum nicht? Und als Melania Trump ganz in Schwarz den Papst besuchte, wurde ein Tweet tausendfach geteilt: "Zieh dich für den Job an, den du haben willst. #Witwe".

Aber man entschuldigt niemanden, wenn man auch das feststellt: Die Grenzen von Satire und Kritik haben sich verschoben unter Trump. Und das liegt nicht nur an bösartigen Satirikern, die nicht an die Gefühle kleiner Kinder denken, sondern auch daran, dass Trump selbst vor so wenig zurückschreckt. Daran, dass dieser Präsident so schamlos ist wie keiner vor ihm. Und dass trotzdem alle Kritik an ihm abzuperlen scheint wie an einer nagelneuen Teflonpfanne.

Schon im Wahlkampf hatte sich Trump krasse Fehltritte geleistet, und auch diese verhinderten nicht, dass er Präsident wurde. Trump hat auf seinen Wahlkampfveranstaltungen offen zu Gewalt gegen Protestierende aufgerufen. "Beat the crap out of them", rief er Tausenden seiner Anhänger zu, oder: "In der guten alten Zeit wären sie auf einer Trage rausgebracht worden." Er hat sich vor Kameras über einen behinderten Reporter lustig gemacht und über die Eltern eines gefallenen muslimischen US-Soldaten. Er hat gesagt, dass seine Freunde vom Waffenverband doch sicher etwas gegen Hillary Clinton tun könnten. Wie sehr muss man so einen Mann schonen?

Satiriker stehen - nach einem Jahr Trump-Satire - vor mehreren Dilemmas. Nummer eins: Je mehr und je unbeschwerter Trump selbst Regeln und Anstand ignoriert, desto höher ist die Gefahr, dass sie wie Trump selbst ins Geschmacklose abdriften und den einen Schritt zu weit gehen. Kathy Griffins Aktion zeigt, wie hilflos sich Künstler, Comedians, Satiriker inzwischen gegenüber der Ungehobeltheit von Donald Trump fühlen. Sie wissen sich schon jetzt manchmal nicht anders als mit Ausfälligkeiten zu helfen. Trevor Noah hat ihn "Arschloch" genannt und hört nicht auf, Witze über seine angeblich kleinen Hände zu machen.

Dilemma zwei: Von Beginn seiner Präsidentschaft an stand das bedrohliche Wort von der "Normalisierung" im Raum, wann immer jemand Witze über Trump machte. Kein amerikanischer Satiriker will sich vorwerfen lassen, Trump zu verharmlosen. Aber wie vermeidet man das, wenn Late-Night-Moderatoren schon seit mehr als einem Jahr jeden Abend ihre mal mehr mal weniger fein gespitzten Beleidigungspfeile auf Trump abschießen? Irgendwann wird es schwer, die Witze über ihn noch zu steigern. Das abendliche Lächerlichmachen von Trump ist zum Ritual geworden. Die einzig noch mögliche Steigerung: rohe Schimpfwörter. Oder eben: ein abgeschlagener Kunstkopf.

Dilemma Nummer drei, und vielleicht das perfideste: An Trumps Beispiel sehen noch die elitärsten Satiriker, dass Ungehobeltheit eben leider funktioniert. Dass Schamlosigkeit Erfolg hat. Im Kampf gegen einen "school bully", den bösen Jungen in der Klasse, der alle verprügelt, ist die Verlockung groß, sich auch mal dessen Strategien zu bedienen. Es klappt ja offenbar so gut. Und heiligt der Zweck nicht die Mittel?

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der die Hemmschwelle der Satiriker Trump gegenüber gesenkt haben mag und der sehr direkt zu Kathy Griffins Enthauptungsfoto führt. Dieser Aspekt ist ikonographisch und betrifft genau das, was Griffin da blutverschmiert in der Hand hält: Donald Trumps Kopf. Der ist nämlich längst zur Pop-Ikone geworden, vergleichbar mit Che Guevara, mit Elvis oder Marilyn Monroe. Er hat sich damit aber auch abgelöst von der Tatsache, dass dieser Kopf einem Menschen gehört, einem Menschen, der eine Frau hat und einen kleinen Sohn.

Zuckerwattehaar, geschürzte Lippen, Truthahnhals

Man muss mit diesem Vergleich vorsichtig sein, aber in dieser spezifischen Hinsicht ähnelt Trump tatsächlich Adolf Hitler, und wirklich nur in dieser. Dessen strenger Scheitel und das Bartquadrat waren keine Herausforderung für Karikaturisten, sie waren die Vorwegnahme jeder möglichen Karikatur durch die Realität. So wie Trump mit gelbem Zuckerwattehaar, geschürzten Lippen und Truthahnhals immer schon selbst wie jede Comicfigur aussieht, die man von ihm zeichnen könnte. Und einer Comicfigur den Kopf abzuschlagen, das ist quasi Genrekonvention. In der nächsten Szene ist er wieder dran.

Eine Entschuldigung ist das freilich nicht, nur eine Beschreibung der Mechanismen, die am Werk sind, wenn eine lustige Frau den einen Schritt zu weit geht. Es hat Kathy Griffin nicht geholfen, dass sie sich noch am selben Tag sehr überzeugend in einer Videobotschaft auf Twitter entschuldigt hat. Sie hat die Moderation der Silvestergala auf CNN verloren und einen Werbevertrag für Kinder-Toilettensitze. Als Judith, die Holofernes besiegt, wird sie nicht in die Geschichte der Trump-Kritik eingehen. Sondern eher als ein Beispiel dafür, wie liberale Satire über Trump nicht aussehen sollte. Wenn sie ihre Autorität bewahren und sich nicht die Mittel des "school bully" zu eigen machen will.

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