Karriere-Ende von Don Winslow:Faust statt Feder

Lesezeit: 5 min

"Jetzt sind die sozialen Medien das Schlachtfeld. Vielleicht eignet sich meine Fähigkeit, kurze, scharfe Sätze zu schreiben, ganz gut dafür." - Don Winslow. (Foto: Alamy Stock Photos/Erik Simander/Mauritius Images)

Don Winslow hat einen neuen Mafiathriller geschrieben. Jetzt will er sich nur noch dem Kampf gegen Donald Trump und andere Rechtspopulisten widmen.

Von Jörg Häntzschel

Don Winslow hat Jahrzehnte seines Lebens der Grausamkeit und dem Verbrechen gewidmet. Er hat sich für die Protagonisten seiner Romane immer neue Methoden des Mordens und Sterbens ausgedacht. Hat das Schlimmste, zu dem Menschen fähig sind, in blutigen Details geschildert und war damit enorm erfolgreich. Wenn einer das so lange gemacht hat, muss er eine enorme Toleranz für das Böse besitzen. Nicht so Winslow. Er will nicht mehr. Vor ein paar Tagen ist sein neues Buch erschienen, "City on Fire", der erste Teil einer Trilogie, deren zweiten und dritten er bereits fertiggestellt hat. Damit will er im Alter von 68 Jahren seine Schriftstellerkarriere beenden.

Doch es ist nicht die fürchterliche Welt der Drogenkartelle und Mafiaclans, die ihn in die Schreibabstinenz getrieben hat. Es ist Donald Trump. "In den USA, vielleicht weltweit, befinden wir uns in einer existenziellen Krise der Demokratie. Von jetzt an will ich alles, was ich an Talent besitze, in den Kampf für sie investieren", erklärt er am Telefon. Und diesen Kampf will er nicht mit Büchern ausfechten, sondern mit seinen enorm erfolgreichen Videos, die so viel Durchschlagskraft besitzen, dass sie seine Mafia- und Drogenthriller erscheinen lassen wie elisabethanische Bildungsromane. Der hard boiled Krimi-Autor, der sich in einen radikalen Politaktivisten verwandelt - dieser Karriereschlenker ist ungewöhnlich.

"Es ist immer am interessantesten, ein Milieu im Niedergang zu zeigen."

Klar ist immerhin, dass Winslow auf der Höhe seines Könnens geht. "City on Fire" ist so spannend wie alle Winslow-Bücher, aber viel komplexer. Wie viele der zahllosen Fäden, die er in diesem ersten Teil seiner Trilogie spinnt, er im zweiten und dritten wieder aufnimmt, wird sich zeigen.

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Für Winslow ist das große Karrierefinale eine Art Heimkehr. Schauplatz ist die Stadt Providence im US-Bundesstaat Rhode Island. Er ist in der Nähe aufgewachsen, bevor er nach New York und Kalifornien zog. Zur Zeit der Handlung, 1986, hatte die Stadt noch einen wichtigen Hafen. Von dem leben auch die beiden lokalen Mafia-Familien in beinahe rechtschaffen wirkender Bescheidenheit: die irischstämmigen Murphys und die italienischstämmigen Morettis. Erstere kontrollieren die Docks, letztere die Speditionen, daneben gehen sie ihren übrigen Geschäften nach, Kredite und Schutzgelderpressung. Gern verstehen sich die beiden Kleinstadt-Clans als eine Art Sozialhilfeinstitution von unten: Wenn die Kinder in Dogtown, ihrem ärmlichen Viertel, neue Turnschuhe brauchen, kaufen die Eltern die aus dem Container gefallene Ware bei ihnen zum Freundschaftspreis aus dem Kofferraum.

Providence, Rhode Island, 1985. Die Iren und die Italiener, schreibt Winslow, "verteilten die Stadt wie einen Sonntagsbraten, waren aber schlau genug, den alten Yankees so viele Scheibchen zu lassen, dass sie fett und zufrieden blieben". (Foto: Bill Powers/AP)

Die Murphys und die Morettis verbindet eine herzliche Feindschaft, aber als Nachkommen der alten Einwanderergruppen sind sie auch unausgesprochene Verbündete gegen die verhassten "Yankees". Und wenn der alte italienische Clanboss Pasco Ferri am Labor-Day-Wochenende immer ein großes Grillfest veranstaltet, sind die Iren selbstverständlich eingeladen. Mit raffinierter Leutseligkeit lässt Winslow seine Charaktere auftreten, als seien sie Menschen wie du und ich, samt ihren Sorgen: schwindende Leidenschaft von Eheleuten, Alkoholismus, Brustkrebs, Kindheitstraumata. Doch von den ersten Seiten an verdichten sich die ominösen Zeichen: Nachdem bereits die Fischerei nicht mehr viel einbringt, verliert der Hafen an Bedeutung. Und auch die großen Zeiten des organisierten Verbrechens sind vorbei. "Es ist immer am interessantesten, ein Milieu im Niedergang zu zeigen. Je weniger übrig ist, um das gekämpft werden kann, desto brutaler der Kampf", erklärt Winslow.

Und schon bricht er los. Kaum steigt vor den Augen der urlaubenden Gangster eine schöne Fremde aus dem Meer, ist es vorbei mit dem fragilen Waffenstillstand. Sie wirkt wie der Katalysator einer tödlichen chemischen Reaktion. Und nicht einmal der besonnene Danny Ryan kann sie aufhalten, der Sohn des früheren Clanchefs Marty, der die Hoffnung bis zuletzt nicht aufgibt, das Mafia-Business in eine friedliche bürgerliche Existenz einzubauen.

"Ich bin es leid, dass wir immer mit Löffeln zur Messerstecherei kommen"

Weder feiert Winslow seine Helden, noch denunziert er sie. "Manche von ihnen liebe ich, andere nicht", sagt er. "Es ist nicht meine Aufgabe, moralische Urteile über sie zu fällen. Ich versuche, den Leser ihre Welt durch ihre Augen erfahren zu lassen." Doch je kaputter er diese Welt darstellt, desto mehr fragt sich der Leser, warum Winslow nicht mal das Leben einer Cellistin erzählt oder das eines Archäologen. Winslow lacht und meint: "Ich schreibe nun mal Krimis, das ist mein Genre", als sei er ein Klempner, der nicht erklären muss, warum er keinen Tisch bauen kann. Und dann fällt ihm doch noch eine Erklärung ein: "Beim Krimi geht es um Menschen in extremis, Menschen in schwierigen und ernsten Situationen, in denen sich ihr Charakter zeigt. Außerdem erlaubt das Genre mir, mich mit sozialen Fragen zu beschäftigen."

Wäre es nicht naheliegender, statt nun gleich das Medium zu wechseln, es mit einem anderen Genre zu versuchen, politische Thriller zu schreiben oder jene packende Nonfiction , die in Amerika eine so große Tradition hat? "Das können andere besser", winkt Winslow ab. Und außerdem: "Clausewitz hat gesagt, man soll den Kampf immer auf dem Schlachtfeld seiner Wahl führen. Doch das ist nicht immer möglich. Jetzt sind die sozialen Medien das Schlachtfeld. Vielleicht eignet sich meine Fähigkeit, kurze, scharfe Sätze zu schreiben, ganz gut dafür."

Don Winslow: City on Fire. Roman. Aus dem Englischen von Conny Lösch. HarperCollins, Hamburg 2022. 400 Seiten, 22 Euro. (Foto: N/A)

Mit den Videos hat Winslow im letzten amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf begonnen. Auf Youtube haben sie schon 250 Millionen Menschen gesehen. Er produziert sie gemeinsam mit dem Autor Shane Salerno, der unter anderem die Drehbücher für "Armageddon", "Avatar", "Shaft" und die Verfilmung von Winslows Drogenroman "Savages" geschrieben hat. Winslows Satzhiebe und Salernos Blockbuster-Dramaturgie münden da tatsächlich in eine überwältigend effektive Kunst der Drastik.

Ob beißender Sarkasmus, Schläge unter die Gürtellinie oder triefender Kitsch, die beiden schrecken vor nichts zurück, um rechte Kandidaten, Mitglieder der Trump-Familie oder Republikaner-Schranzen anzugreifen. Sie verhöhnen sie mit demaskierenden Bildern, Zeitungsausrissen und peinlichen Videosequenzen. Sie befeuern ihr Ätzen mit Streichersoße, Trommelwirbeln, Bassbomben und dem Rest von Hollywoods Sound-Arsenal. Doch der Gänsehauteffekt dieser meist etwa zweiminütigen Clips rührt vor allem von Winslows Sätzen her: Wie in einem der jüngsten Videos, das gegen Ivanka Trump schießt: "Ivanka Trump ist eine Betrügerin. Alles an ihrem Leben ist eine Lüge", knattern einem die Worte zu peinlichen Bildern der Trump-Tochter entgegen wie aus einem aufgebohrten Auspuff. "Sie hat das Betrügen von dem größten Lügner der Welt gelernt. Sie ist gegen Frauen, sie ist antiamerikanisch." Und wie meist gegen Ende ihrer Spots drehen Winslow und Salerno die Lautstärke gegen Ende richtig auf: "Sie ist nicht für Amerika, sie ist nicht für Frauen, sie ist nur für Ivanka."

Dass er mit diesen hyperaggressiven Attacken gerade diejenigen unter den Zuschauern verlieren könnte, die noch am ehesten für seine Botschaften empfänglich wären, lässt Winslow nicht gelten: "Sie können das aggressiv finden", sagt er, "aber ich bin es leid, dass wir immer mit Löffeln zur Messerstecherei kommen. Die andere Seite ist bereit, alles zu tun und zu sagen, und wir wollen immer so freundlich und so vernünftig sein. Warum soll ich nett sein, wenn Leute versuchen, wie am 6. Januar 2021 die demokratisch gewählte Regierung der Vereinigten Staaten zu stürzen? Nein, ich habe wirklich kein Problem damit, ihnen - metaphorisch gesprochen - mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. Sie brauchen es." Wie man Fausthiebe richtig platziert, damit kennt sich Winslow aus.

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