Süddeutsche Zeitung

"Don Giovanni" an der Berliner Staatsoper:Mozart light

Das war leider nichts: Daniel Barenboim dirigiert "Don Giovanni" an der Berliner Staatsoper.

Von Wolfgang Schreiber

Auf die Perfektion toxischer Männlichkeit wartet die tödliche Abrechnung in Mozarts Oper "Don Giovanni". Harvey Weinstein lässt grüßen, vor 235 Jahren. Das originale Personenverzeichnis der Oper nennt den Protagonisten schlicht nur "einen jungen, äußerst ausschweifenden Kavalier". Das war vom Bariton Michael Volle, dem authentischen Hans Sachs der "Meistersinger", kaum einzulösen. Er und Regisseur Vincent Huguet präsentieren den gewissenlosesten Frauenverführer der Weltgeschichte nicht triumphalistisch enthemmt, frech, lustvoll zynisch, sondern vielmehr behäbig, zögernd, grundverstört. Sie befördern so die Spannungsarmut der mit szenischer Ungereimtheit gepflasterten Aufführung.

Mit dem Franzosen Huguet hat Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper sein Projekt einer - so nicht konzipierten - italienischen "Mozart-Trilogie" abgeschlossen. Das Vorhaben, die drei auf Libretti des genialen Dichters Lorenzo Da Ponte komponierten Opern quasi aus einem Guss realisieren zu wollen: "Le nozze di Figaro" und "Così fan tutte" sind bereits bunt erschienen. Daniel Barenboim, der Ende des Jahres 80 Jahre alt wird, fordert sich wie stets die strikteste Disziplin ab, um seinen künstlerischen Höhenflug per Tatendrang aufrechtzuerhalten. Bei seinem Osterfestival jetzt, den Berliner "Festtagen" (bis 17. April), steht er unentwegt am Opern- oder Konzertpult.

Mozarts "Don Giovanni" ist das Drama der gewissenlosen Verführungsmaschinerie. Wieso da Faszination entsteht? Ihr böser Held und Mozarts seelenstarke Musik verbreiten den moralischen Morast verwandlungsvirtuos ins Gegenteil, in die maskuline Vitalität und den berauschenden Glanz eines Verführerhelden, der hier nicht auftrumpfen kann. Seine Opfer sind stärker, abwehrbereit. "Von den Frauen lassen?", verhöhnt Giovanni seines Kumpels Leporello Vorschlag, "sie sind mir so nötig wie das Brot, das ich esse, die Luft, die ich atme." Alle muss er lieben, denn "wer nur einer treu ist, ist gegen die anderen grausam". Singt das Monster der Liebe und der Frauen, an denen er scheitert.

Was haben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in dieser Aufführung zu suchen?

Mozart, der Feminist seines Jahrhunderts, hat die Frauen geliebt, er holt sie in all seinen Opern ganz nach vorn, befeuert ihre Verteidigungskraft, ermächtigt sie, den Männern Widerstand zu leisten mit subversiver List und Finesse. Drei liebende Frauen erheben sich gegen Giovanni, den Mörder von Donna Annas Vater: Slávka Zámecniková als die flammend rachedurstige Tochter, Elsa Dreisig als die wirklich liebende Donna Elvira mit loderndem Sopran, Serena Sáenz als die verführte Braut glockenhell. Das stimmgewaltige Terzett wird kontrapunktiert von Riccardo Fassi als nur beiläufigem Leporello, von Bogdan Volkov als jammerlappig dastehendem Don Ottavio sowie David Oštrek als Nebenfigur Masetto. Daniel Barenboim lässt im Klang der Staatskapelle alle schönen Details deutlich werden, doch seine extrem gedehnten Tempi können die musikalische Spannung nur selten herstellen.

Vincent Huguet hat mit Patrice Chereau gearbeitet, nur, dessen Weitblick im Denken und Bildklarheit ersetzt er, im laubsägeplattenbau grauen Bühnenraum von Aurélie Maestre, mit ambitiös kruden Regieeinfällen. Don Giovanni ist Fotograf geworden, und Huguet zeigt zu Beginn auf dem Monitor ein historisches Politikerfoto: Angela Merkel eng mit Nicolas Sarkozy - was soll das? Anwesend natürlich Laptop und Handy, geistesabwesend leider Giovannis Champagner-Arie, verschenkt die zerbröselte Friedhofsszene, zerfahren das finale Henkersmahl, prosaisch kalt Giovannis Tod: Der Komtur (Peter Rose) rächt sich aufgebahrt im Sarg, singt dann als beamteter Strafrichter das Urteil. Giovanni wird von Weißkitteln die Todesspritze verabreicht, danach kann er als Michael Volle sein eigenes Finalresümee gelangweilt am Bühnenrand beobachten. Unklar an der in der Substanz unbedarften Interpretation bleibt überhaupt, wieso eine so blass belichtete Männlichkeit Frauen überhaupt faszinieren sollte.

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