Klar, Elvis hatte diesen Hüftschwung, nicht nur eine Bewegung des Beckens, sondern eine der Gesellschaft, die der Jugend den Auftrag gab, gegen die Erwachsenen zu rebellieren. Die Beatles hatten schnell die lauteren Gitarren (die Rolling Stones die noch viel lauteren). Die Beach Boys mischten allem die freie Seligkeit des LSD bei, die Bee Gees die fetzigen Disco-Beats. Simon & Garfunkel - als sie Ende der Fünfziger noch, kein Witz, unter dem Namen Tom & Jerry aufnahmen, nichts, aber auch gar nichts anderes als eine Eins-zu-eins-Kopie -, brachten später die Ostküsten-Bohèmehaftigkeit in den Pop. Crosby, Stills, Nash & Young die irre Mischung aller im Repertoire zu findenden Möglichkeiten von Eigensinn und Launenhaftigkeit sperriger Einzelcharaktere.
Alle irgendwie gefährlicher, lockerer, verstrahlter. Alle mehr Unterleib, damit auch bald mehr Zeitgeist. Alle aber auch: Schüler.
Alle haben sie ja die Everly Brothers gehört, deren zweite Hälfte, Don, nach seinem Bruder Phil (2014) nun auch gestorben ist, mit 84. Haben ihren Sound aufgesogen, verinnerlicht, kopiert und dann wohl auch ein bisschen hinfort gefegt. So ist das im Pop nun mal - Söhne müssen Väter töten, Schüler die Meister demütigen.
Heile-Welt-Wehmut und herrliche Kleinstferkeleien über "Little Susie"
Wie die Meister selbst es ja getan hatten, als sie im Aufbruchsjahr 1957 ihre Karriere starteten. Ein Gesangsduo, schmalzig genug, um noch an der Heile-Welt-Wehmut des Country anzudocken. Listig genug aber auch, dem Ganzen die aufkommenden Rock-'n'-Roll-Rhythmen mitzugeben. Brüder, von klein auf fürs spätere Harmonie-Wirken in der Öffentlichkeit trainiert, denen man aber auch bald herrliche Kleinstferkeleien (wenigstens für die damalige Zeit) ins Repertoire schmuggelte. Die kleine Susie etwa, die dem Songtitel gemäß aufwachen soll, nachdem sie im Kino eingeschlafen ist. Was, man lässt das etwas im Dunkeln, wohl nicht nur dem langweiligen Film anzukreiden ist. Womöglich erschöpfte sie auch das, was während der Vorstellung passierte ("What are we gonna tell our friends, when they say 'Oooh lala!'?").
Grandiose Mischung in jedem Fall. Absolute Wahnsinns-Harmonien. Phil im Tenor über, um und - auch das - gegen Dons stützenden Bariton. Dazu das Gitarrenspiel. Im ersten Eindruck sonntagsfein, adrett und zweckdienlich, tatsächlich aber - bitte: die ganzen wilden sogenannten Gitarren-Helden, die kommen sollten, lernten damals gerade noch ("A wie Arpeggio", "V wie Verstärker") in den Vorschulen das Alphabet - auch hier die Grundlage von so vielen danach.
Keith Richards verwandelte "Cathy's Clown" mit seinem krähenhaften Geklampfe in einen rotzbesoffenen Schmerzens-Blues. So viel nur zu der Frage, wie viel Tiefe in der Musik der Everly Brothers steckte. Wenigstens unter der Oberfläche. Und wie viel auch in ihrem eigenen Songwriting.
Richtig bekannt wurden sie schließlich eher mit Songs, die andere für sie geschrieben hatten. "Bye Bye Love", "Wake Up Little Susie", "All I Have to Do Is Dream" - die meisten der Teenager-Balladen stammten vom Ehepaar Felice und Boudleaux Bryant. "I Kissed You" aber kam von Don und Phil selbst. Und eben "Cathys Clown", acht Millionen Mal verkauft im Jahr 1960. Ein Jahr bevor die Marine sie zwischenzeitlich aus dem Spiel nahm. Auch verdiente Millionäre wurden damals eben noch eingezogen.
Auf der UK-Tour kollabierte Don nach einer Überdosis, die man als Lebensmittelvergiftung ausgab
Und wie die vielen Musiker ohne Millionen-Verkäufe kamen die Brüder mit einer ordentlichen Tabletten-Sucht zurück. Vor allem Don setzte sie immer mehr zu. Die British Invasion, die Hit-Dominanz britischer Bands im Radio, hatte den Vorbildern noch mal Ruhm vor allem in Europa und Kanada gebracht. Auf der zunächst sehr erfolgreichen UK-Tour kollabierte Don aber nach einer Überdosis, die man als Lebensmittelvergiftung ausgab. 1973 war es dann Phil, der seine Gitarre während eines Konzertes zertrümmerte und die Band damit für beendet erklärte.
Es folgten ein paar Solo-Alben, nicht unbedingt Flops, aber auch nicht dringend der Rede wert. Die wahre Harmonie, den ganz großen Einfluss auf die Nachfolger erreichten sie eben gemeinsam. Nicht mehr so sehr mit der Re-Union in den Achtzigern, aber auch dort natürlich: dieser Gesang! Die Brüder-Stimmen, die - Todesphrase, aber hier halt so schrecklich wahr - gemeinsam so viel mehr waren als die Summe ihrer Teile.
Man sollte sich nun, da auch die zweite Hälfte des Engelsstimmen-Duos tot ist, unbedingt dem Drang widersetzen, von einer Wiedervereinigung im Himmel zu sprechen - oder wo auch immer man eben hinkommt, als Vorreiter aus der Frühgeschichte der westlichen Kulturrevolution. Aber waren da, an diesem trüben Sonntag, nicht diese zwei Sonnenstrahlen, die noch einmal, ganz kurz, durch die grau-suppige Wolkentristesse geschossen sind und, "Bye, Bye, Love", noch einmal ... Nein? Ach, auch egal.