Kunstfest Weimar:Der Volksredner

Kunstfest Weimar: Polit-Clown, Demagoge, Phrasendrescher: Dominique Horwitz spielt beim Kunstfest Weimar "Der Tribun" von Mauricio Kagel - und tourt damit durch thüringische Städte und Dörfer.

Polit-Clown, Demagoge, Phrasendrescher: Dominique Horwitz spielt beim Kunstfest Weimar "Der Tribun" von Mauricio Kagel - und tourt damit durch thüringische Städte und Dörfer.

(Foto: Candy Welz)

Dominique Horwitz ist als Schauspieler und Sänger ein genialer Glücksfall. Beim Weimarer Kunstfest spielt er einen Demagogen in Mauricio Kagels Solo "Der Tribun". Begegnung mit einem Teufelskerl.

Von Christine Dössel

Während sein Volk um ihn herum Platz nimmt, pennt der Tribun auf zwei Stühlen. Sonnenbrille, Bart, Hoodie. Die Hose hat er ausgezogen. Männer wie er sind immer schon da, und sei es als Schnapsleiche. Auf dem Boden verstreut liegen DIN-A4-Blätter. Er scheint lange an seiner Rede gearbeitet und sich in ein Delirium gesoffen zu haben. Aus den Boxen jault Rockmusik. Allmählich fährt Leben in den Mann, er räkelt sich, hustet, greift erst mal zur Pulle und macht sich dann sofort wieder an sein Redemanuskript: "Mein Volk. Liebes Volk. Volk!", hebt er an zu sprechen. "Ihr seid eine große Nazi...", kurze Pause, dann: "Nation." Und schon kommt er in Fahrt, der exaltierte Volksredner aus Mauricio Kagels One-Man-Stück "Der Tribun", imaginiert ein Bad in der Menge und probt die Phrasen und Floskeln, mit denen er seiner Zuhörerschaft zu imponieren und sie zu manipulieren gedenkt.

Kunstfest Weimar: "Ich will und ich kann": Dominique Horwitz als Phrasen übender Volksredner in Mauricio Kagels "Der Tribun".

"Ich will und ich kann": Dominique Horwitz als Phrasen übender Volksredner in Mauricio Kagels "Der Tribun".

(Foto: Candy Welz)

Gab er eben noch den Verkaterten, steigert sich der Schauspieler Dominique Horwitz - trotz des ungewohnten Bartes sofort zu erkennen an seinem Markenzeichen: den Segelohren - aufs Süffigste in einen neuen Rausch hinein: den des Textes. Das populistische Ego-Shooter-Potenzial darin ist genau sein Ding. Horwitz spielt und jongliert damit, probiert die Sätze in den unterschiedlichsten Ton- und Gemütslagen, von schmeichlerisch-säuselnd über pathetisch-heroisch bis aufbrausend-aggressiv. Er zieht sich dabei bis aufs Unterhemd aus, später dann seriös wieder an, schwingt seine Rede wie ein Dirigent am Pult oder bietet sie feil wie ein Handelsvertreter, posiert auch mal als Gekreuzigter mit blutendem Herzen. Das Publikum spricht er immer wieder direkt an: "Ihr seid mein Geschäft." Vor allem aber ist es sein Geschäft zu reden, ohne etwas auszusagen. Dieser Mann - ein Diktator? Ein Rechtspopulist à la Trump? - ist ein Meister der Hohlformel-Demagogie. Bei Horwitz ist er auch: ein Rumpelstilzchen. Ein Politclown. Ein sentimentaler Poser mit Giftzwerg-DNA. Würde Torsten Fischer, seit vielen Jahren Horwitz' Lieblingsregisseur, den Gaga-Monolog noch weiter ins Absurde treiben, dann hätte er etwas von "Ubu Roi".

Aberwitzig ist die "Tribun"-Rede allemal. So worthülsenmusterhaft, dass sie auf eine rechte Ideologie ebenso passen könnte wie auf eine linke. 1979 vor dem Hintergrund der argentinischen Militärdiktatur als Hörspiel entstanden, führt das Stück die manipulativen Mechanismen von Sprache und Musik vor - und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Der in Argentinien geborene und früh nach Deutschland emigrierte Experimentalkomponist Mauricio Kagel hat dafür extra zehn Märsche komponiert. Die werden, genauso wie der Applaus der Massen, per Tonband zugespielt. Unangenehmes Getöse, das im Kopf ganze Truppen aufmarschieren lässt.

Genau deshalb, wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der aktuellen Verweiskraft von Kagels Monolog, haben Horwitz und Fischer dieses nicht mal eine Stunde lange Stück für das Kunstfest Weimar aus der Schublade gezogen. Es ist noch bis zu diesem Sonntag in der Reihe "Dirty Talking - Thüringer Verführungen" zu sehen. Das Besondere an dieser von der Bundeszentrale für politische Bildung geförderten Reihe ist, dass sie aus Weimar hinaus geht ins Umland, in 14 Thüringer Städte, auch in kleine und kleinste Ortschaften wie Schmalkalden, Friedrichsrode, oder Kleinneundorf, wo das Stück im "Gasthof Fridolin" spielt. Im Anschluss gibt es jeweils eine Diskussion mit dem Publikum, denn das ist der Hintersinn dieser "Verführungen", die der Kunstfest-Chef Rolf C. Hemke sehr entschieden betreibt und auch noch mit einer Kunstaktion der Weimarer Galerie ACC flankiert: "Um mit Menschen möglichst niedrigschwellig ins Gespräch zu kommen." In Thüringen, wo die AfD ein Wählerpotenzial von 25 Prozent hat und sich in manchen Winkeln Reichsbürger und Querdenker gute Nacht sagen, ist es Hemke ein Anliegen, "auch die Ränder zu erreichen".

Für Dominique Horwitz ist das Gespräch mit dem Publikum das Wichtigste. Ohnehin sei das Stück ein "unausgeschriebener Dialog", das Publikum habe letztlich die Hauptrolle. Am liebsten mag er es, wenn die Zuschauer in manchen Dorfsälen ganz nah an ihm dran sitzen. "Was die Leute bekümmert, ist die fehlende Kommunikation zwischen Politik und den Bürgern", fasst er die Nachgespräche zusammen. "Sie fühlen sich nicht wahrgenommen, nicht ernst genommen, verschaukelt." Ist das auch Stammtisch: Luft ablassen und schimpfen auf "die da oben"? Nein, sagt Horwitz, "es ist mehr eine Zustandsbeschreibung - und Ausdruck einer tief sitzenden Enttäuschung."

Kunstfest Weimar: "Dirty Talking - Thüringer Verführungen": Nach jeder Aufführung wird mit dem Publikum geredet. Hier im historischen Rathaussaal von Neustadt an der Orla. In der Mitte: Dominique Horwitz (r.) und Moderator Janek Müller.

"Dirty Talking - Thüringer Verführungen": Nach jeder Aufführung wird mit dem Publikum geredet. Hier im historischen Rathaussaal von Neustadt an der Orla. In der Mitte: Dominique Horwitz (r.) und Moderator Janek Müller.

(Foto: Christine Dössel)

An diesem Abend in Neustadt an der Orla gastiert "Der Tribun" im historischen Rathaussaal der Stadt, also tatsächlich an einem politischen Ort. Ein ehrwürdiger Raum aus dem Jahr 1365 mit schwerer Holzkassettendecke. Dass nur 30 Zuschauer gekommen sind, ist eine Ausnahme, andernorts sind es oft um die 70. ­­Beim lockeren Gespräch hinterher sagt eine Frau, das Stück sei und bleibe "Nonsens". Ein Mann führt aus, warum er im Tribun "die Blaupause eines Viktor Orbán" sieht. Dann geht es noch ein wenig um "früher", als ein Helmut Kohl für einen "alten Sozi" wie Horwitz schon zum Politiker-Feindbild taugte. ­­Das Gespräch ist ein bisschen ziellos und von dem Dramaturgen Janek Müller nicht wirklich moderiert. Aber Horwitz findet das genau richtig so. "Wichtig ist nicht, was, sondern dass miteinander geredet wird." Im Vorfeld hat das Kunstfest an den einzelnen Aufführungsorten sogenannte Erzählcafés veranstaltet, als Brainstorming mit Bürgern zum Thema "Verführung". Die Idee, das gesammelte Material in das Stück einzubauen, wurde dann aber aufgegeben. Verführung ist ein weites Feld - und nicht immer zielführend.

Dass "Der Tribun" in Thüringen auf ein großes Medienecho stößt, ist dem Zugpferd Horwitz zu verdanken. An dem Abend in Neustadt an der Orla ist der MDR da und filmt mit. Die Thüringer Allgemeine hatte ihn zuvor bereits auf die Titelseite gehoben. Der bekannte Schauspieler, Chansonnier und Rezitator mit der markanten Stimme, 1957 als Sohn deutscher Juden in Paris geboren, ist in Thüringen ein Star und Publikumsliebling. Ein prominenter Zugereister, mit französischem Pass. Seit 2004 lebt Horwitz mit der Frau seines Lebens, einer Thüringerin, in einem Dorf nahe Weimar - jener Stadt, der er schon in zwei Romanen ein liebevolles Denkmal gesetzt hat. Der Stadtführungs-Kutscher Roman Kaminski, der in beiden Büchern vorkommt, in dem Krimi "Tod in Weimar" (2015) sogar als ermittelnde Hauptfigur, hat seinen Ursprung in jenem einprägsamen Kutscher Caspar Bogdanski, den Horwitz zuvor in zwei Weimarer "Tatort"-Folgen (mit Christian Ulmen und Nora Tschirner) spielte. Auch am Nationaltheater Weimar hat er bereits reüssiert: In der Regie von Hasko Weber spielte er Schillers Feldherrn Wallenstein. Alle drei Teile an einem Abend. Möchte da irgendjemand an Horwitz' Weimar-Befähigung zweifeln?

Kunstfest Weimar: Dominique Horwitz vor dem Weimarer Restaurant "Anno 1900", in dem er vor zwanzig Jahren seine Frau kennengelernt hat. Seither lebt er in Thüringen.

Dominique Horwitz vor dem Weimarer Restaurant "Anno 1900", in dem er vor zwanzig Jahren seine Frau kennengelernt hat. Seither lebt er in Thüringen.

(Foto: Christine Dössel)

Der Schauspieler hat mit seiner zweiten Frau auch eine neue Heimat gefunden. Zum Gespräch lädt er in das Restaurant, in dem er sie vor 20 Jahren bei Dreharbeiten in Weimar kennengelernt hat. Sie war dort Mitbesitzerin. Jetzt ist sie Pilateslehrerin. Horwitz nennt sie das größte Glück seines Lebens und spricht überhaupt sehr viel von ihr. "Für kein Geld der Welt würde ich in Berlin leben wollen", sagt Horwitz. Er sagt es mit jener energischen Bestimmtheit, mit der er schimpfwortreich auch das Ensemble- und Repertoiretheater verdammt, dem er schon lange den Rücken gekehrt hat. Lieber geht er mit Stücken auf Tournee und nimmt dafür den Dünkel der Kollegen in Kauf. Im November wird er am Berliner Schlosspark-Theater in dem Boulevardstück "Das Abschiedsdinner" spielen. Er findet, der Hausherr Didi Hallervorden sei als Theatermann "eine Sensation".

Als Horwitz 1990 in Robert Wilsons Uraufführung des "Black Rider" am Hamburger Thalia Theater den Teufel spielte, war er ebenfalls eine Sensation. Die Rolle verhalf ihm zum Durchbruch, so wie dann auch sein Obergefreiter Fritz Reiser in Joseph Vilsmaiers Film "Stalingrad" (1993). Als Greenhorn stand der Junge mit der großen Klappe und dem sonnigen Gemüt zum ersten Mal mit 19 vor der Fernsehkamera, gemeinsam mit seinem Schul- und Lebensfreund Christian Berkel. Die beiden haben sich auf dem Französischen Gymnasium in Berlin kennengelernt. Horwitz war 14 und sprach kaum ein Wort Deutsch, als seine vor den Nazis nach Frankreich geflohenen Eltern, Betreiber eines Feinkostladens, mit den drei Kindern nach Berlin zurückkehrten. Eine Zeitenwende.

Eine Schauspielschule hat Horwitz nie besucht. Dafür hat er Kabarett gespielt und sich mit der ihm eigenen Furchtlosigkeit alles selber erobert, Theater, Film, Gesang, Regie (auch Opernregie). Niemand singt Jacques-Brel-Chansons so knarzig-authentisch und ausdrucksstark wie er; sein Timbre hält er mit ausgiebigem Zigarettenkonsum in Form. Aber Horwitz hat auch Serge Gainsbourg drauf und "Die Dreigroschenoper". Und seit "Black Rider" hat er den Teufel nicht nur im Blut, sondern als Gesangsentertainer auch im Programm, so etwa in der satanischen Revue "Me and The Devil" (2013).

Horwitz ist ein erfreulich uneitler Künstler, der die virile Kraft und Gewitztheit, die er als Schauspieler ausstrahlt, auch im Gespräch an den Tag legt. Boxer-Natur, wie sein Vater. Seine Standpunkte vertritt er mit rhetorischer Schlagkraft und kehligem Lachen. Ein Mann, der weiß, was er kann - aber auch, was andere besser können. Selten hat man einen Schauspieler erlebt, der Künstlerkollegen so lobt und sich selbst als "Schweizer Käse" begreift, also "mit Löchern drin". Dass er im April 65 wurde, hat ihm ein wenig zugesetzt. Er nennt sich jetzt "alt" und bezieht von Januar an Rente. Aber das rüttelt nicht an seiner "gottgegebenen Zuversicht". So schnell haut einen Horwitz eh nichts um: "Sternzeichen Stier, Aszendent Löwe, an einem Sonntag geboren, und dann heiße ich auch noch Dominique." Horwitz grinst wie der Tribun, der sagt: "Ich will und ich kann."

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