Album "Not Tight":Meisterhandwerk

Album "Not Tight": Bereitfrisiert für die Westminster Kennel Club Dog Show: DOMi & JD Beck (v.r.).

Bereitfrisiert für die Westminster Kennel Club Dog Show: DOMi & JD Beck (v.r.).

(Foto: Tehillah De Castro)

DOMi & JD Beck sehen aus wie minderjährige Mangafans und spielen Jazzrock, als wollten sie sich mit Drum-Computern duellieren.

Von Andrian Kreye

Das Debütalbum von DOMi & JD Beck erinnert einen gleich mal an den grandiosen, grundlegenden Unterschied zwischen Jazz und Pop. Im Pop findet man im Idealfall Gleichgesinnte, die einem aus der Seele sprechen. Die Gegenwart. Im Jazz findet man das nie Gehörte, erst mal Überfordernde. Die Zukunft. Genau dazwischen spielen DOMi & JD Beck einen Jazz aus fernen Zeitgalaxien, während sie sich ganz bewusst so geben, als seien sie exakt auf der Messerschneide der Gegenwart zu Hause. Sie sehen dabei außerdem so aus, als würden sie zusammen Mangas lesen und einander Snapchats schicken. Meist tragen sie sehr kuschelige Kleidung mit Comicmotiven und ihre Haare wirken, als hätte ein Hundefriseur die beiden für die Westminster Kennel Club Dog Show präpariert.

Es ist vielleicht nicht die Zukunft des Jazz, aber ein buntes, wirbeliges Stück davon

Die Keyboarderin DOMi wurde im Jahr 2000 geboren, heißt eigentlich Domitille Degalle und stammt aus Nancy in Frankreich. Der Vorname des Schlagzeugers JD Beck bleibt ein Geheimnis, man erfährt aber immerhin, dass er 2003 geboren wurde und aus Texas stammt. Gemeinsam spielen sie diese neue Form des Jazzrocks, in der die Instrumentalisten handwerklich zeigen, dass sie es mit den Computern lässig aufnehmen können. Mindestens. Das Affentempo und die komplexen Verschachtelungen, die die beiden vorlegen, verhalten sich zum traditionellen Swing des Modern Jazz ungefähr wie eines dieser Beschleunigungsmonster des Drag Racing zum Cruiser-Cabrio.

Gefährlich natürlich. Das mit den Geschwindigkeits- und Komplexitätsorgien war ja schon mal der Tod des Jazzrocks. In den Siebzigerjahren, als sich die Musiker hinter Schlagzeug- und Keyboardbergen Wettkämpfe lieferten, die dann irgendwann nur noch ermüdend waren. Da unterscheiden sich DOMi & JD Beck. Sie holen mit ihrem Meisterhandwerk Dinge aus ihren Instrumenten, die nicht überwältigen, sondern mitziehen. Das sind keine klassischen Grooves mehr. Es sind Kaskaden aus in sich verzinkten Linien und Motiven, die sich zu einem Gesamtstrom vereinen. DOMi beherrscht die Parallelität aus massiven Basslinien und Akkordflächen, über denen sie Synthesizerläufe spielt, die sich in Höchstgeschwindigkeit um die Songstrukturen legen. JD Beck zerlegt die klassischen Schlagzeugmotive dazu in tausend Einzelteile, die er mit seiner inneren Uhr wieder zusammenbringt.

Das wirkt, als hätte jemand ein Bild verpixelt und dann als GIF animiert. Es steckt aber auch viel enzyklopädisches Handwerk in alldem. Die Kapriolen der Drumcomputer aus den elektronischen Dance-Genres, die Polyrhythmen der Modern-Jazz-Pioniere, die halsbrecherischen Perlmotive der ganz großen Pianisten und die Elektrowucht des Jazzrocks, die sie mit der Ironie von Clubkids überdrehen.

Album "Not Tight": DOMi & J.D. Beck mit ihrem Mentor Anderson .Paak.

DOMi & J.D. Beck mit ihrem Mentor Anderson .Paak.

(Foto: Tehillah De Castro)

Getroffen haben sie sich vor vier Jahren durch Zufall bei der Musikmesse NAMM in Kalifornien. Der Schlagzeuger Robert "Sput" Searight II von der Gruppe Snarky Puppy brachte sie zusammen. Er hatte zuvor schon mit beiden gearbeitet. Degalle war da gerade 17 und mit einem Stipendium vom französischen Konservatorium ans Berklee College in Boston gewechselt. Beck war 14, Schützling von Searight und wurde in Drummer-Kreisen als Wunderkind gehandelt. Sie verstanden sich sofort. Endlich war da jemand, der mithalten konnte. Die beiden spielten also auf der Geburtstagsparty von Erykah Badu, danach formierten sie ihr Duo. Seither haben sie mit Leuten wie Herbie Hancock, Thundercat, Anderson .Paak und Ariana Grande gespielt. Paak war es auch, der sie als ersten Act für sein neues Sublabel der ehrwürdigen Jazz-Heimat Blue Note namens Apeshit unter Vertrag nahm.

Erst mal veröffentlichten sie ihre Musik aber vor allem auf Youtube. Wer die Wirkung der beiden verstehen will, sollte dort auch anfangen. Da gibt es zum Beispiel dieses wunderbare Video von ihrem Tribut an die Hip-Hop-Avantgardisten Madlib und MF Doom. Wie sie ein Publikum mitreißen, sieht man während einer Vorführung bei der Demokonzertserie des Becken- und Schlagzeugstecken-Herstellers Zildjian vor zwei Jahren. Es ging in dem Kontext natürlich vor allem um JD Beck. Aber zusammen mit einem Haufen Musiker aus dem Snarky-Puppy-Dunstkreis legen die beiden einen Groove hin, den Beck mit stoischer Miene hinter seinen Cockerspaniel-Fransen in diese Affentempi treibt, die gerade deswegen so aufbrausen, weil die anderen Musiker eher in traditionellen Geschwindigkeiten bleiben.

Die Kamera zeigt dann die Gesichter im recht kleinen Publikum, das vor allem aus Schlagzeugern aller Altersstufen besteht. Wie die ihre Mienen in verzückte Krämpfe verziehen, Kopf und Schultern unter dem Groove verbiegen und immer mal wieder ungläubig auflachen, ist alleine schon das Video wert. Beck lächelt freundlich, als sie am Ende in frenetischen Applaus ausbrechen. Und bürstet sich erst einmal das Haar.

Das Album "Not Tight" (Ironie, Ironie) ist nicht ganz so explosiv. Die Mentoren und Weggefährten Anderson .Paak, Thundercat und Herbie Hancock kommen als Gäste dazu. Ein paar weitere Superstars haben sie auch mitgebracht, die Rapper Snoop Dogg und Busta Rhymes etwa, oder den Gitarrenvirtuosen Kurt Rosenwinkel. Aber wie so oft in dieser Ära des Jazz bleibt trotzdem viel Energie auf der Strecke, sobald die Musik im Studio gespielt wird. Das Album bringt den nervösen Sci-Fi-Comic-Hip-Hop-Fusion-Groove der beiden in einen Kontext, den man früher als radiotauglich bezeichnet hätte, immerhin aber ohne, dass die beiden sich allzu sehr verrenken oder gar verraten.

Man muss also nicht gleich verkünden, dass man gerade die Zukunft des Jazz gehört habe. Aber ein Stückchen davon auf alle Fälle. Brüche, Kanten und die tiefe Leidensfähigkeit des Blues fehlen den beiden in ihrer Virtuosität. Wie ein Wiener Jazzmusiker mal über junge Musiker sagte: "Na geh, die hamm' ja noch gar keinen Schweinskram erlebt." Es gibt auch noch ein paar andere, die solchen elektronischen High Speed Jazz spielen. Blue Lab Beats, Yussef Dayes, Kamaal Williams, Morgan Guerin. Aber so bunt und wirbelig das alles auch ist, man sollte sich nicht täuschen lassen. Da rollt eine neue Welle an, und DOMi & JD Beck sind ganz vorne dabei.

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