"Dolly Parton Challenge":Körperkunst seit 1946

Lesezeit: 3 Min.

  • Die "Dolly Parton Challenge" beweist, dass der Countrystar Dolly Parton besser mit Social Media umgehen kann, als manches Ministerium.
  • Ob ihr Ruhm als Sängerin nun wirklich auch endlich bei allen jüngeren Generationen ankommt, ist allerdings fraglich.

Von Theresa Hein

Wer wäre nicht gerne manchmal ein wenig anders? Countrysängerin Dolly Parton weiß, dass die Menschen oft besser sein wollen, als sie sind. Und sie weiß auch, dass dieses Bedürfnis im Jahr 2020 rasch in der Aktion gipfelt: Fotografier dich besser, als du bist.

Die 74-Jährige hat in den vergangenen Wochen nicht nur - zum wiederholten Mal - einen Grammy bekommen und ihren Geburtstag gefeiert, sondern auch, mutmaßlich mit voller Absicht, einen weltweiten Instagram-Trend ausgelöst, die "Dolly Parton Challenge". Auf einer Collage, die Parton vor etwas mehr als einer Woche auf ihrem Account veröffentlichte, ist sie in vierfacher Ausführung zu sehen: einmal in einem grauen Businesskostüm, einmal leger in einem hässlichen Weihnachtspullover, einmal posiert sie mit Gitarre in Schwarz-Weiß und einmal als Playboy-Bunny. Unter jedem Bild steht der Name eines sozialen Netzwerks: Linkedin, Facebook, Instagram, Tinder. Parton karikiert mit der Collage, wie unterschiedlich sich Menschen für einen bestimmten Zweck inszenieren, je nachdem, ob sie seriös (Linkedin) oder sympathisch (Facebook) wirken möchten, bewundert werden wollen (Instagram) oder sich mehr oder weniger ausgezogen präsentieren (Tinder).

Dolly Parton kann eigentlich alles, außer natürlich sein

Dass die Geschäftsfrau Dolly Parton die sozialen Netzwerke besser für sich zu nutzen weiß als die meisten Menschen, die halb so alt sind und denen dafür ganze Ministerien zur Verfügung stehen, ist keine Überraschung. Dolly Parton kann nämlich eine Menge: Singen und damit 25 Nummer-eins-Hits landen, Songs schreiben, Netflix-Serien produzieren, einen eigenen Vergnügungspark gründen, Elvis den Wunsch nach einem Song abschlagen. Also fast alles. Fast. Natürlich sein, das kann sie nicht, zumindest nicht die Kunstfigur Dolly Parton, die aktuell 2,9 Millionen Follower auf Instagram hat. Zu ihr gehört, abgesehen von der Countrystimme (neben der sich die von Taylor Swift anhört wie ein hustender Floh, der von einer Bettdecke erstickt wird) ein Körper, an dem alles überdimensioniert ist, Haare, Lippen, Brüste.

Vielleicht gehört der Körper auch nicht ihr, sondern der Mensch Dolly Parton diesem über die Jahre immer weiter operierten Körper, irgendwann in den vergangenen Jahrzehnten muss sich das Kräfteverhältnis da mal umgedreht haben. Wer Parton sieht, der fragt sich, wie es ihre Maßschneider nur anstellen, für sie immer noch glitzernde Bühnen-Outfits zu schneidern, die überall eng anliegen außer da, wo sie tief ausgeschnitten sind. Vor diesem Kunstwerk muss man sich verneigen, und Dolly Parton hat sich mit ihrer Fotocollagen-Instagram-Idee von Mitte Januar sehr geschickt selbst das einhunderttausendste Denkmal gesetzt.

Das ist der Preis, den sie fürs Berühmtwerden gezahlt hat

Natürlich hat die Frau aus Tennessee auch großartige und progressive Musik geschrieben, vor fünfzig Jahren etwa den Selbstmordversuch einer jungen Schwangeren besungen. Sie schrieb schon 1968 Songs über Gleichberechtigung und weibliche Selbstbestimmung ("Just Because I'm a Woman", "Dumb Blonde"), da drängte ein anderer Countrystar namens Johnny Cash gerade seiner Freundin auf der Bühne einen Heiratsantrag auf, weil die im Privaten zu oft "nein" gesagt hatte.

Aber im Zentrum steht bei Dolly Parton immer der Körper, den sie ganz offensiv zu ihrem allerersten Attribut macht. Sie ist Body first, egal, was man sonst noch alles über diese Frau erzählen muss. Kann sein, dass sie das manchmal in Wahrheit etwas nervt, ziemlich sicher ist es aber der Preis, den sie fürs Berühmtwerden gezahlt hat. "That's part of the deal" ist ein Satz, den man in Interviews mit Dolly Parton häufiger hört. Dabei spielt nicht nur wirtschaftliches Kalkül eine Rolle, denn Humor und Größe kann man ihr nicht ernsthaft absprechen.

Auch ein künstliches Ich, auch ein Körper, der böse gesagt, manchmal aussieht, als hätten HR Giger und Terry Gilliam sich für einen Film zusammengetan, hat das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Schönheit, das Menschlichste hinter alledem und das, worüber Parton seit fünfzig Jahren singt: Liebe. Partons Instagram-Post zeugt nicht nur von Humor, sondern von der Größe, sich zum eigenen Körper zu bekennen. Da ist sie dann nebenbei wieder ganz schön aktuell.

Ob jetzt mit einem Mal wirklich alle jungen Menschen Dolly Parton kennen und sich auch mit ihrer Musik auseinandersetzen werden, die unter dem ganzen Körperbrimborium natürlich vernachlässigt wird, ist fraglich. Zumindest, wenn man ein paar Dreißigjährige mal fragt, wer Dolly Parton eigentlich ist. Die Antworten: "Weiß nicht", "Porno Queen" und "Burlesque Tänzerin" sind nur eine Auswahl. Vielleicht braucht die Zukunft noch ein paar mehr "Challenges" der Sängerin, damit sie endgültig auch bei allen als Gesamtkunstwerk gewürdigt wird, das man zwar nicht schön finden muss. Aber respektabel, das allemal.

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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