Süddeutsche Zeitung

Dokumentation:Grantler und Schelm

Ein Dokumentarfilm über den "Heimat"-Regisseur Edgar Reitz zeigt ihn als großen Erzähler. Leider gibt es zu viel filmische Gschaftlhuberei.

Von David Steinitz

Eine Dokumentation über Edgar Reitz ist eine hervorragende Idee, weil der 87-Jährige einer der klügsten und unterhaltsamsten Gesprächspartner ist, die man finden kann. Er gehört zu jenen Intellektuellen, bei denen man die Interviews, die sie geben, eigentlich gleichwertig neben das Werk stellen kann.

Die Regisseurin Anna Hepp hat ihn für ihr Projekt "800 Mal einsam - Ein Tag mit dem Filmemacher Edgar Reitz" getroffen. Reitz erzählt darin von seiner Liebe zum Kino und von dem "vampiristischen" Vorgang, aus der eigenen Biografie den Stoff für die Kunst zu schöpfen. Auch berichtet er noch mal aus der Urzeit des "Oberhausener Manifests", das in Wahrheit bei einem Chinesen in Schwabing entstanden sei. Und natürlich vom schwierigen Weg zu seiner weltberühmten "Heimat", die nach einem persönlichen Tiefpunkt entstand, als sein Film "Der Schneider von Ulm" brutal floppte, ihn finanziell ruinierte und auch seine Ehe vor dem Aus stand. Damals hatte er sich verzweifelt über Weihnachten bei Freunden einquartiert und zu schreiben begonnen. Die Geschichte der Familie, der Großeltern im Hunsrück, wollte er festhalten. Dabei sei ihm aufgefallen, wie wenig er über sie wusste. Also habe er begonnen, die Lücken mit Erfundenem auszufüllen - das Projekt wurde eine Lebensaufgabe. "Wie ein Maurer" habe er sich über Jahre täglich um acht an den Schreibtisch gesetzt, um das Drehbuch zu schreiben. Schreibblockaden? "Das spielt alles gar keine Rolle. Wenn man etwas kann, geht das nicht verloren, wenn man nicht in Stimmung ist." Reitz wechselt in seiner Rolle als Erzähler zwischen Grantler und Schelm, reflektiert die eigene Biografie aber immer mit neugieriger Distanz. Er sagt, dass er sich nicht gern in den Vordergrund drängt. Leider hält sich Regisseurin Anna Hepp, was ihre eigene Präsenz betrifft, nicht an dieses wertvolle Credo.

Sie zeigt sich und ihr kleines Team immer wieder, wie sie um ihren Protagonisten herumwuseln und ihm versonnen zuhören, wechselt zwischen Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen, zoomt herum, macht Zeitlupen und Zeitraffer. Diese filmische Gschaftlhuberei hätte ihre Dokumentation nicht gebraucht, sie lenkt von Reitz' ruhigem Erzähltempo ab. Weshalb man ihn an dieser Stelle gerne an die Autobiografie erinnern möchte, die er schon so lange zu schreiben versprochen hat.

800 Mal einsam - Ein Tag mit dem Filmemacher Edgar Reitz - Regie, Buch: Anna Hepp. Kamera: Oliver Freuwörth, Eli Roland Sachs, Christian Scholz. Déjà-vu Filmverleih, 84 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2020
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