"Born in Evin" im Kino:Fußabdruck auf der Seele

Filmstill

Die geflüchteten Eltern schweigen, die Tochter fragt nach.

(Foto: Real Fiction)

Die Schauspielerin und Regisseurin Maryam Zaree erforscht in ihrem Dokumentarfilm "Born in Evin", warum sie in einem iranischen Gefängnis geboren wurde, und warum ihre Eltern darüber lieber schweigen wollen.

Von Susan Vahabzadeh

Im Gefängnis Evin in Teheran haben im Laufe der Jahrzehnte so viele Intellektuelle eingesessen, dass es den Spitznamen "Universität von Evin" trägt. Schon zur Zeit des Schahs wurden dort politische Gefangene untergebracht, und mit dieser Tradition wollte das Regime nach der islamischen Revolution in Iran dann nicht brechen. Die Massaker an linken Oppositionellen Ende der Achtzigerjahre fanden dort statt, der Filmemacher Jafar Panahi beispielsweise war in Evin inhaftiert nach seiner Festnahme 2010, die britische Journalistin Nazanin Zaghari-Ratcliffe ist immer noch dort. Die Schauspielerin und Regisseurin Maryam Zaree wurde dort geboren. Davon, was das bedeutet, handelt ihr Dokumentarfilm "Born in Evin".

Aufgewachsen ist Maryam Zaree in Deutschland, ihre Mutter floh mit ihr nach der Freilassung nach Frankfurt, der Vater kam Jahre später nach. Maryam Zaree - sie spielt beispielsweise in "Systemsprenger" mit und in Christian Petzolds "Transit" - war erst zwei Jahre alt, als sie nach Deutschland kam und kann sich an das Gefängnis natürlich nicht erinnern. Und niemand möchte mit ihr darüber reden. Die Eltern sind inzwischen getrennt, die Mutter ist wieder verheiratet. An der Oberfläche sieht alles in Ordnung aus. Es gibt eine rührende Familienfeier zu Nouruz, dem persischen Neujahr, bei der Maryams Stiefvater hebräisch singt, und die jüdische Note fügt sich wunderbar in den alten Brauch.

Aber wenn sie nach Evin fragt, weicht der Vater aus, und die Mutter fühlt sich angegriffen. Maryam hat als Kind zufällig davon erfahren, sie rekonstruiert das mit ihrer Tante - die war diejenige, die sich verplappert hat, weil sie dachte, das Kind wüsste Bescheid. Inzwischen ist Maryam Zaree 36 Jahre alt, aber so recht Bescheid weiß sie immer noch nicht.

Schrecken, Angst und Unterdrückung hinterlassen in der Generation der Kinder Spuren

Sie sucht sich also andere Quellen. Die Kinder anderer Häftlinge wollen nicht reden. Es gibt ehemalige Inhaftierte, die sich bis heute treffen, die erzählen ihr ein wenig, und jedes dieser Gespräche ist auf eine andere Art schmerzlich. Sie sieht sich Aufnahmen vom Iran-Tribunal in Den Haag 2012 an, wo die ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen in Evin vorgetragen wurden. Was sie findet, sind Geschichten von Grausamkeit, Folter, Todesangst, letzten Gesprächen vor einer Hinrichtung. Und so bewegt sich "Born in Evin" weit heraus aus der Familie, hier wird kein Einzelschicksal verhandelt. Man lernt eine ganze Menge über die Achtzigerjahre in Iran, darüber, wie sich die frühe islamische Republik ihrer Kritiker entledigte; aber das, was Maryam Zaree über sich selbst lernt, wäre in jedem anderen historischen Kontext wohl gleich.

Es ist normal, dass Eltern etwas Furchterregendes von einem Kind fernhalten wollen; und vielleicht sogar, dass sie ein Leben lang dem Reden das Schweigen vorziehen. Aber Schrecken, Angst und Unterdrückung hinterlassen in der Generation der Kinder auch dann noch Spuren, wenn man mit ihnen nicht darüber redet. Als hätten auch die Kinder noch einen Fußabdruck auf der Seele.

Born in Evin, Deutschland/Österreich 2019 - Regie und Buch: Maryam Zaree. Kamera: Siri Klug. Mit: Maryam Zaree, Real Fiction, 95 Minuten.

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