Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm:Zwischen Honig und Blattgold

Der Dokumentarfilm "Beuys" von Andres Veiel sticht aus den vielen Künsterporträts, die es zur Zeit gibt, deutlich heraus. Ein Plädoyer für Mut und Risiko.

Von Rainer Gansera

Beuys einmal ohne seinen Hut. Kopf und Gesicht sind von einer Schicht aus Honig und Blattgold überzogen. In seinen Armen hält er einen toten Hasen, mit dem er an den Exponaten der Ausstellung entlanggeht. Dann kniet er sich nieder, nimmt die Ohren des Hasen zwischen seine Lippen und lässt das Tier wie eine Marionette durch den Ausstellungsraum hoppeln.

Es war eine der spektakulärsten Beuys-Aktionen, die 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela unter dem Titel "Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt" stattfand. Die Aufnahmen davon, die Andres Veiel in seinem faszinierenden Beuys-Porträt zeigt, lassen die Schockwellen, die von dieser Aktion ausging, erahnen. Eine Provokation nach dem Motto: Selbst tote Hasen verstehen moderne Kunst besser als der heutige "rationalistische" Mensch, der sozusagen toter ist als ein toter Hase. Zugleich war es ein heiliges Ritual mit dem Künstler als Priester-Schamane und dem Hasen als Symbol kosmischer Weisheit und vitalen Neubeginns.

Andres Veiel, bekannt geworden mit seiner epochemachenden Dokumentation zum RAF-Terrorismus "Black Box BRD", formt seine Hommage an Joseph Beuys (1921 - 1986) aus einer klug destillierten Fülle von Archivmaterial sowie Interview-Akzenten mit Zeitzeugen und Beuys-Komplizen. Er bezeugt, dass die Strahlkraft des Künstlers ungebrochen ist, heute eher noch zunimmt, und manches Beuys-Potenzial erst noch wahrgenommen werden will. Veiel erspürt Beuys' rastlose visionäre Energie und macht sie zur treibenden Kraft seiner Filmerzählung. Er stellt keine Behauptungen auf, sondern befragt Werk und Gestalt. Er tastet sich heran, entdeckt den unerwarteten Beuys-Witz, fragt neugierig nach, schafft auch Distanz. Gleich zu Beginn verdeutlicht er mit einer Szene, dass es im Auftreten des Künstlers auch berechnende, manipulative Aspekte geben konnte.

Ein kluger Schachzug ist, dass die Erzählungen der Lebensgeschichte erst nach 40 Minuten beginnen. So verhindert Veiel vorschnelle Erklärungen des künstlerischen Universums aus dem biografischen. Er hält das Bild offen, stellt konkurrierende Berichte nebeneinander: von den traumatischen Kriegserlebnissen, der schweren Lebenskrise in den Fünfzigern, dem Rauswurf als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie. Kein anderer Künstler seiner Generation stand derart in der öffentlichen Aufmerksamkeit wie Beuys, kein anderer konnte derart viele Ehrentitel und Schimpfnamen auf sich ziehen. Er galt als Genie und Scharlatan, Schamane und Clown, Märtyrer und Rattenfänger.

Der Fokus auf das Archivmaterial seiner Auftritte prägt dem Zuschauer seine Züge ein: die traurigen Augen, das koboldhafte Lächeln. Das Künstlerische als Inbegriff des Kreativen wird zum archimedischen Punkt, von dem aus Freiheit, Selbstbestimmung und Lebendigkeit ins Werk gesetzt werden. Künstler-Biopics gab es schon immer, aber in letzter Zeit häufen sie sich auffällig, vor allem die von Künstlern. Zwei bemerkenswerte Dokumentationen widmeten sich aktuellen deutschen Top-Künstlern: Gerhard Richter und Neo Rauch. 2016 waren es gleich drei Spielfilme, die mit dem Blick auf Cézanne, Paula Modersohn-Becker und Egon Schiele Bilder vom genialischen Nonkonformismus des Künstlers mehr oder minder überzeugend variierten. Warum ist der bildende Künstler zurzeit filmisch so attraktiv? Weil er ein Rollenmodell für Nonkonformismus darstellt? Weil er Exempel der Selbstentfaltung und Selbstdarstellung liefert? Weil er nach dem Autoritätsverlust der religiösen Sphäre den Anspruch auf Prophetie und Hohepriesterlichkeit übernommen hat?

All diese Momente finden sich bei Beuys, aber er verkörperte sie in besonderer Eigenwilligkeit und Radikalität. Er schuf seinen ureigenen Fett-Filz-Honig-Hase-Kosmos, er kämpfte gegen die Zumutungen des akademischen und musealen Kunstbetriebs und wollte die Mauern zwischen Leben und Kunst einreißen. In einer Zeit der versunkenen politischen Utopien erscheint Beuys hier wie ein Quell frischer Inspiration.

Beuys, Deutschland 2017 - Regie: Andres Veiel. Schnitt: Stephan Krumbiegel, Olaf Voigtländer. Kamera: Jörg Jeshel. Piffl Medien, 107 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3511995
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.05.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.