Dokumentarfilm "Where to Invade Next":Michael Moore marschiert in Europa ein

Dokumentarfilm "Where to Invade Next": Moores Film "Where to Invade Next" spielt in Deutschland, Frankreich und Italien - aber er handelt von Amerika.

Moores Film "Where to Invade Next" spielt in Deutschland, Frankreich und Italien - aber er handelt von Amerika.

(Foto: IMG Films)

Mit einer Doku über das Paradies Europa und den Höllenschlund USA meldet sich der Regisseur und Provokateur zurück.

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Er ist wieder da, der Mann mit den immer gleichen Jeans, dem Kapuzenpulli und den Wuschelhaaren - und viele, die Amerika in diesen Tagen nur durch das Gebrüll Donald Trumps wahrnehmen, werden sich denken: Na endlich!

Man kommt nicht umhin, den Regisseur Michael Moore und den Präsidentschaftsbewerber Donald Trump miteinander zu vergleichen: Sie gehören zu den Babyboomern, denen alles offenstand, in Moore aber projiziert man eine Art Korrektiv, den Anti-Trump, den guten Amerikaner. Einer, der schon wüsste, wie man den steinreichen Immobilientycoon in die Schranken weisen könnte - schließlich hat Moore schon einmal eine große öffentliche Figur vom Sockel gestoßen. In seinem Dokumentarfilm über Waffengewalt - "Bowling for Columbine" (2002) - entlarvte er den Schauspieler und Waffenlobbyisten Charlton Heston mit seinen Fragen, bis der ehemalige Leinwandheld das Interview abbrach und fortan nichts anderes mehr war als ein weiterer zorniger, weißer Waffennarr.

"Wieso haben wir das nicht?"

"Where to Invade Next" heißt Michael Moores neuer Film, und er ist trotz des martialischen Titels vielleicht seine vergnüglichste Doku. Moore marschiert in Europa ein, um dort die besten Ideen zu stehlen und sie in die USA zu bringen. "Denn wir haben Probleme, die mit Kriegen nicht zu lösen sind", wie es gleich zu Beginn heißt. Moore sitzt zum Beispiel mit einem jungen italienischen Paar in Florenz am Küchentisch, trinkt Wein und hört sich an, wie sie ihm von bezahlter Elternzeit erzählen, von sechs Wochen Urlaub - und er kann es nicht fassen. "Wieso haben wir das nicht?", fragt er, während seine Kinnlade immer mehr nach unten rutscht.

Von Italien reist er nach Frankreich in ein kleines Dorf, wo er lernt, dass gesundes Essen für Kinder preisgünstiger ist als die "undefinierbare Fleischpampe", die man amerikanischen Schülern auf die Pappteller knallt, und dass es tatsächlich Kinder gibt, die lieber Wasser trinken als Cola. So geht die Reise weiter, Slowenien, Island, Portugal, der Film spielt ausschließlich in Europa - doch er handelt von Amerika.

Blumen statt Unkraut

Moore stellt in jedem Land eine seiner Fragen: warum in Finnland die Schüler so gut abschneiden, warum in Norwegen Mörder und Vergewaltiger in Gefängnissen frei herumlaufen dürfen, während in den USA die Anzahl der Häftlinge immer nur steigt. Dabei blendet er alle Probleme, die es natürlich auch in diesen Ländern gibt, aus, spricht nicht von Arbeitslosigkeit, nicht vom harten Alltag in den Vorstädten von Paris, London oder Rom. Er nimmt sich "nur die Blumen" des alten Kontinents, "nicht das Unkraut", was natürlich naiv ist und viel zu simpel - aber für seine Zwecke umso effektiver.

Moore spricht über das gute Europa, mit dem Finger aber bohrt er in den hässlichen Wunden Amerikas, der Fettleibigkeit, der Unterdrückung der Schwarzen, den maroden Schulen. Über allem schwebt die unverarbeitete Geschichte seines Landes: "Wir stellen uns nicht unserer Vergangenheit", sagte der Regisseur nach der Vorführung des Films bei einer Podiumsdiskussion in New York. "Diese Lektion lehrte mich mein Aufenthalt in Deutschland."

"Wir müssen lernen, unsere dunkle Seite zu akzeptieren"

Eigentlich wollte er nur in "diese Bleistiftfabrik", erzählt er, wollte mehr über die deutsche Mittelschicht erfahren, weil die in den USA zusehends verschwindet, da sei er bei Faber-Castell gelandet und habe nach ein paar Tagen gemerkt, dass Nürnberg auch der Ort sei, "wo Leni Riefenstahl ihre Filme drehte".

Die Episode aus Nürnberg ist die emotionalste in seinem Film. Während er einer Deutschstunde über die Deportation der Juden beiwohnt, wird ihm bewusst, wie wenig sich Amerikaner mit der Geschichte der Sklaverei befassen würden, die bis heute unverarbeitet sei und deshalb bis in die Gegenwart strahle. "Wir müssen lernen, unsere dunkle Seite zu akzeptieren", sagte er beim Auftritt in New York in den Applaus des vornehmen Upper-West-Side-Publikums hinein.

Fast eine Million Flüchtlinge hätten die Deutschen diesen Sommer bei sich aufgenommen, fährt er mit seiner Tirade gegen sein Land fort, "und wir nahmen nicht mal 2000. Dabei haben wir das ganze Chaos angerichtet."

Rock 'n' Roll, Hip Hop und Frühstücksflocken

Ob denn Amerika gar nichts Gutes zustande gebracht habe, wird Moore am Ende der Diskussion gefragt, worauf er antwortet: "Doch, Rock 'n' Roll, Hip-Hop und Frühstücksflocken. Ich habe in Europa gelernt, dass man uns Amerikaner eigentlich mag, weil wir so niedlich sind und immer Fragen stellen. Nur unser Land mag man nicht." Dennoch bleibe er Optimist, denn es gebe ein Klischee über Amerika, das tatsächlich zutreffe: "Hier ist alles möglich, wenn man nur will."

Er hat in den Tagen nach den Attentaten in Paris verkündet, sein Haus in Michigan syrischen Flüchtlingen zu überlassen und soll bereits 150 Familien gefunden haben, die dasselbe tun wollen, darunter die Schauspielerin Susan Sarandon. "Donald Trump wird zwar die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten gewinnen", sagt Moore, das sei die schlechte Nachricht. Die gute aber laute: Er hat gegen Hillary Clinton keine Chance. "Denn die Zeit der zornigen weißen Männer ist vorbei." Es sei denn, sagt Moore, es passiere noch etwas Außergewöhnliches, aber daran wolle er gar nicht denken.

Am Tag nach der Filmvorstellung, einem sonnigen Mittwoch, erschießen Syed Farook und Tashfeen Malik in der kalifornischen Kleinstadt San Bernardino auf einer Weihnachtsfeier 14 Menschen. Keine 48 Stunden später werden die Anforderungen für US-Visa verschärft, Politiker fordern Bodentruppen. Die Zeit der zornigen Männer ist vorbei? Von wegen, vielleicht erleben sie gerade ihr Comeback. Donald Trump darf ein generelles Einreiseverbot für alle Muslime fordern und wird dafür zwar kritisiert - aber seine Popularität scheint ungebrochen zu sein. Wie Moore sagte: Alles ist möglich in Amerika.

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