Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm "Virunga" auf Netflix:Wem kann man überhaupt noch trauen?

Eigentlich war "Virunga" als Dokumentarfilm über die bedrohten Berggorillas im Kongo gedacht. Doch daraus wurde ein echter Wirtschaftskrimi: Eine britische Firma will an die riesigen Erdölvorkommen unter dem Park herankommen - mit allen Mitteln.

Von Karoline Meta Beisel

Was war das für ein Geraune, als Anfang Januar die Amazon-Serie "Transparent" den Golden Globe als beste Komödie und Hauptdarsteller Jeffrey Tambor den als bester Schauspieler bekam. Amazon! War das nicht neulich noch ein Buchhändler?

Die Kollegen von Netflix fischen zwar schon länger Trophäen im Fernsehsektor ab. Recht neu ist aber, dass der Dienst auch mit Langfilmen auf Festivals unterwegs ist, vergangene Woche zum Beispiel auf der Berlinale mit dem Dokumentarfilm "What Happened, Miss Simone?" Eine andere Dokumentation aus dem Angebot des Streamingdienstes darf in dieser Woche sogar auf einen Oscar hoffen: "Virunga" war im vergangenen April zuerst auf dem Tribeca Film Festival in New York zu sehen. Danach lief der Film noch auf einigen kleineren Dokumentarfilmfesten, bis Netflix Ende Juli die Ausstrahlungsrechte erwarb. Im normalen Kinoprogramm war die Dokumentation nie zu sehen.

Dabei ist die Geschichte, die sie erzählt, so spannend wie ein Thriller. Der Virunga-Nationalpark im östlichen Kongo ist eines der letzten Refugien der stark vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Ursprünglich hatte der Filmemacher und frühere Profi-Snowboarder Orlando von Einsiedel einen Film darüber machen wollen, wie der Nationalpark der von Krieg und Gewalt geschüttelten Region dabei hilft, wieder Anschluss zu finden an die Zukunft, und was die Ranger unternehmen, um ihre Tiere vor Wilderern zu schützen.

Zwei bis fünf Handlungsstränge zu viel. Eigentlich

Aber während der Dreharbeiten lernte er noch einen ganz anderen Teil der Geschichte kennen: Unter dem Park locken riesige Erdölvorkommen, und der Status als Schutzgebiet hindert eine britische Firma daran, dieses Öl zu fördern. Hier wandelt sich der eigentlich als Erfolgsgeschichte gedachte Film in einen investigativen Wirtschaftskrimi inklusive entlarvender Aussagen, die mit versteckter Kamera gefilmt wurden: Weil die Rohstoffjäger sich nicht die Hände schmutzig machen wollen, schmieren sie die Rebellen vor Ort, und die wiederum bezahlen Mitarbeiter des Parks, damit sie bei den Aktivitäten der Ölfirma ein Auge zudrücken. Wem kann man überhaupt noch trauen?

Als wäre all das noch nicht genug Erzählstoff, eskalierten während der Dreharbeiten 2012 die Kämpfe zwischen der kongolesischen Armee und den Rebellen der Bewegung des 23. März. Um ihr eigenes Leben zu schützen, müssen die Ranger die Berggorillas alleine lassen. Für einen einzigen Film sind das eigentlich zwei bis fünf Handlungsstränge zu viel. Aber gerade diese Vielschichtigkeit und die Unvorhersehbarkeit der Geschehnisse macht "Virunga" so reizvoll.

"The Legend of Cambo": Geschichte eines Jungen im Wald

Der amerikanische Regisseur Harmony Korine ist vor allem für seine filmischen Jugendporträts bekannt: 1997 sorgte er mit seinem Drehbuch für den Film "Kids" von Larry Clark, in dem Jugendliche beim Drogennehmen und beim Sex zu sehen sind, für einen kleinen Skandal. 2012 führte er diese Themen in seinem Sex- und Gewaltfilm "Spring Breakers" fort. Der Junge Cambo könnte ebenso gut eine Figur aus diesem Universum sein. Aber er ist der Protagonist eines Dokumentarfilms, den Harmony Korine für die Webpräsenz des Vice Magazin gedreht hat - jenem Magazin also, das genau diese Jugendwelt in verschiedensten Formaten mit großem Erfolg abbildet.

"The Legend of Cambo" erzählt in knapp zehn Minuten die Geschichte eben dieses Jungen. Cambo ballert mit seiner Flinte rum, trinkt Dosenbier am Lagerfeuer und mag es, Dinge in die Luft zu sprengen. Nach der Scheidung seiner Eltern hielt er es zu Hause nicht mehr aus - und floh in die Wälder Alabamas.

Eigentlich wollte er nur bleiben, bis er auch rechtlich alleine leben dürfte. Am Ende blieb er zwei Jahre, allein in der Wildnis. Eine Höhle im Boden, die er als Kind entdeckte, war sein Zufluchtsort. Angst habe er nie gehabt: "Ich fühlte mich sicherer als im Haus meiner Eltern." Einmal träumte er davon, dass seine Mutter mit einem Kissen versuchte, ihn zu erwürgen.

Cambo, das wird schnell klar, muss Traumatisches erlebt haben. Die Stärke dieses Kurzfilms liegt darin, dass Harmony Korine die nur angedeutete Vorgeschichte nicht ausleuchtet. Stattdessen begleitet er den zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 21-jährigen Einsiedler auf einem Streifzug durch seinen Wald und lässt ihn seine Geschichte selbst erzählen, auf Augenhöhe und ohne zu urteilen. So entsteht ein fast traumhaftes Porträt eines jungen Menschen, der schon vieles hinter sich, aber noch viel mehr erst vor sich hat.

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SZ vom 16.02.2015/jobr
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