Dokumentarfilm:Traumkämpferinnen

Die Filmhochschülerin Manuela Bastian will sich als Regisseurin etablieren. In ihrer preisgekrönten Doku "Where to, Miss?" porträtiert sie eine Inderin, die ebenfalls ein starkes Ziel hat: Sie möchte Taxifahrerin in Delhi werden

Von Bernhard Blöchl

Die junge Münchnerin hat einen Traum. Manuela Bastian will Filme machen. Wie Caroline Link, deren Lebensweg sie "sehr inspirierend" findet, möchte sie sich in einer "männerdominierten Branche" durchsetzen. Einer Branche, in der es Frauen noch immer schwer haben. Frauen mit Kinderwunsch ganz besonders. Manuela Bastian, geboren 1987, wächst in verschiedenen Dörfern am Westufer des Ammersees auf, sie studiert zwei Jahre Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München, doch eigentlich will sie nur eins: unbedingt auf eine Filmhochschule.

Die junge Inderin hat einen Traum. Devki Verma will Taxifahrerin werden. Ausgerechnet in der Millionenstadt Delhi, in der selbst emanzipierte Frauen nachts nicht alleine auf die Straße gehen. Devki sagt: "Frauen in Delhi leben in Angst. Daran möchte ich was ändern." Ihr Vater sagt: "Der Job ist ok, aber nicht für ein Mädchen." Devki ist Anfang 20, trägt lieber Jeans als Sari und hat eine gescheiterte Ehe hinter sich. Sie will selbständig sein. Sie sagt: "Ich habe Vater gesagt, dass ich arbeiten werde. Daraufhin hat er mich geschlagen." Devki bewirbt sich bei der Initiative "Women on Wheels", bei der Frauen zu Taxifahrerinnen ausgebildet werden.

Manuela Bastian lässt nicht locker. "Meine Familie hat mich sehr unterstützt", sagt sie, spricht aber von einem "langen, schwierigen Prozess". An der Hochschule für Fernsehen und Film München wird sie abgelehnt, sie zögert, ist irritiert. Aber nur kurz. 2012, mit Mitte 20, wird sie an der Filmakademie Baden-Württemberg angenommen. Seitdem studiert sie Regie. Im selben Jahr findet sie das Thema für ihr erstes großes Hochschulprojekt, einen Film, der ihr zahlreiche Preise, darunter den Dokumentarfilmpreis "Granit" auf den Hofer Filmtagen und kürzlich den Deutschen Menschenrechts-Filmpreis einbringen wird: Manuela Bastian möchte Frauen zeigen, die sich gegenseitig unterstützen. In einem Land, wo Gleichberechtigung ein Fremdwort ist, in einem Land, wo es im Dezember 2012 zu einer Gruppenvergewaltigung mit Todesfolgen kommt. Ein Weckruf ist das für die Deutsche, die fortan Frauen porträtieren möchte, die sich zur Wehr setzen und für ihre Träume kämpfen. Frauen wie Devki.

Devki weint. Bei der Fahrprüfung hat sie Fehler beim Einparken gemacht, konnte Teile des Motors nicht erklären. Sie soll noch mal üben. Sie gibt nicht auf und besteht den Test. Ihr Leben verändert sich. Sie hat einen neuen Mann - und neue Probleme. Auf dem Land versteht sie die Sprache ihrer Mitmenschen nicht, Devki ist wütend. Ihrer Schwiegermutter sind ihre Lippen zu voll, ihr Schwiegervater sagt: "Jungs sind besser als Mädchen." Devki wird schwanger und erzählt, wie viel Spaß sie beim Taxifahren hat.

Manuela Bastian und Devki Verma lernen sich 2013 kennen. Zwei junge, starke Frauen, die die Dinge verändern möchten, jede in ihrem Kulturkreis. Die Regisseurin, die seit mehreren Jahren von Indien fasziniert ist und dort auch schon einen früheren Film über Frauenrechte gedreht hat ("Kampf in Pink", 2011), findet ihre Protagonistin bei Recherchen, nachdem sie von der indischen Ausbildungsinitiative "Women on Wheels" gehört hat. Bei den ersten Probeaufnahmen wird schnell klar: Devki soll es sein. "Sie war neugierig, mutig, sehr selbstständig. Und sie hatte Interesse an dem Film", erzählt Bastian. "Man kann in ihren Gesichtszügen alles sehen." Obwohl der Verlauf der Geschichte noch nicht ganz klar ist, obwohl das deutsche Team nur in den Semesterferien drehen kann, obwohl Devki kein Englisch spricht und die Kommunikation über eine Übersetzerin laufen muss, trotz all dieser Hürden meistert die Hochschülerin ihren Film - mit finanzieller Unterstützung der Schule und ihrer Eltern, von 2013 bis 2015, in drei Drehphasen.

Devki ist eine hinreißende Protagonistin, ein Glücksfall für jeden Dokumentarfilmer. Sie lacht, sie heult, sie kuscht, sie muckt auf. "Halt den Mund", sagt sie zu ihrem neuen Ehemann, und: "Trink so viel du willst." Der Film, rundum ein Ausnahmewerk, zeigt Devki als Taxifahrerin, am Ziel ihrer Träume, und doch tun sich weitere Story-Ebenen auf. Die Geschichte entfaltet sich spannend wie ein Spielfilm, überall lauern Konflikte. "Where to, Miss?" begleitet die Inderin in ihren Lebensphasen als Tochter, Ehefrau und Mutter. Denn das, nur das, wird von ihr erwartet. Dabei will sie etwas anderes: "Ich möchte nur Devki sein", sagt sie. In der Haut an ihrem Hals ist ihr Name verewigt. Manuela Bastian erzählt in ästhetischen Bildern, ohne Off-Stimme und Erklärungen, durchaus verspielt. Trotz der Rückschläge und des gesellschaftlichen Korsetts gibt es lebensbejahende Bilder. Menschen, die sich mit Wasser übergießen, in Zeitlupe, lachende Gesichter. Auch die Musik ist nicht nur stimmig, sondern stark. Der Crossover-Folk-Pop der Indie-Band Milky Chance vertont die Bipolarität des Lebens.

Manuela Bastian ist dankbar. "Where to, Miss?" wurde auf 20 Festivals gezeigt, die Studentin darf viel reisen. Drei Preise haben sie und ihr Team bereits gewonnen. "Das ist schon wichtig für die Motivation", sagt sie. "Ich persönlich habe dreieinhalb Jahre lang nichts anderes gemacht." An diesem Mittwoch steht die München-Premiere an, im Januar folgt der offizielle Kinostart. In Kürze dreht Bastian in München und Umgebung ihren nächsten Film, einen Spielfilm, ihren Diplomfilm. Und Devki? Zu ihr habe die Münchnerin sporadisch Kontakt, über die Übersetzerin. "Sie hat dort ja kein Internet." Dennoch glaubt Manuela Bastian zu wissen, dass es ihr gut geht. Regelmäßig gehe Devki nach Delhi, um zu arbeiten. "Ihr Kind hat sie dabei."

Where to, Miss?, München-Premiere mit der Regisseurin Manuela Bastian, Mi., 21. Dez., 19 Uhr, Arena Filmtheater; Preview mit Filmgespräch, Mi., 4. Jan., 19 Uhr, Monopol; regulärer Kinostart am Donnerstag, 18. Januar

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