Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm:"Spuren" - Die Opfer des NSU

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Von Martina Knoben

"Man bleibt halb zurück." So sagt es Elif, die Witwe von Mehmet Kubaşik, der 2006 von Mitgliedern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) in Dortmund ermordet wurde. Als Elif mit anderen Frauen kocht und dabei Lieder von verlorenen Geliebten singt, kommen ihr die Tränen. Manche Wunden heilt auch die Zeit nicht.

Über die Täter wurde sehr viel berichtet, Filme, die die Angehörigen der Opfer in den Mittelpunkt stellen, sind dagegen rar. Aysun Bademsoy ist türkischer Herkunft, kam als Kind nach Deutschland. Die Anschläge des NSU, der zwischen September 2000 und April 2007 acht Männer mit türkischen Wurzeln, einen griechischstämmigen Mann und eine deutsche Polizistin ermordete, haben sie doppelt getroffen: als Deutsche und als geborene Türkin. Ausländische Kleinunternehmer hatte der NSU als Anschlagsziel ausgewählt. "Sie waren auf dem Weg in den deutschen Mittelstand. Sie waren auf dem Weg, Deutschland zu ihrer Heimat zu machen", sagt Bademsoy in ihrer Doku mit kleiner Stimme. "Es hätte auch meinen Vater oder meine Brüder treffen können." Mit Kommentaren hält sie sich sonst zurück. "Spuren" (Verleih: Salzgeber) lässt die Ehefrauen, Kinder und Geschwister der Toten zu Wort kommen, gibt ihnen endlich Raum für ihren Schmerz, ihren Zorn und ihr Gedenken. Die Regisseurin hatte den NSU-Prozess in München von Anfang an verfolgt, danach die Hinterbliebenen kontaktiert.

"Spuren" ist ein nötiger Film, dabei ein sehr leiser. Umso erschütternder ist es, wenn etwa Adile Şimşek erzählt, wie die Polizei nach der Ermordung ihres Mannes Enver 2000 in Nürnberg ihm Drogenhandel unterstellte und sogar eine Zweitfamilie erfand, um die Witwe zu einer Aussage zu drängen. Als ihre Unschuld bewiesen und ihre Ehre wiederhergestellt worden war, hätte sie wieder aufrecht gehen können, sagt Adile - und steht im Interview auf und geht eine Runde um den Couchtisch. Der Ausgang des NSU-Prozesses hat die Angehören schwer enttäuscht. Adile Şimşek und ihre Tochter leben jetzt in der Türkei. Dort endet auch der Film mit der schmerzlichen Frage, inwieweit Deutschland für die Kinder und Enkel der Gastarbeiter überhaupt eine Heimat ist. "Wir hatten und haben als ganze Gesellschaft etwas gutzumachen", sagt Bademsoy. "Spuren" ist ein Beitrag dazu.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2020
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