Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm "Return to Homs":Jetzt sind wir in der Fremde

Talal Derkis Dokumentarfilm schildert den syrischen Bürgerkrieg aus der Perspektive des jungen Kämpfers Basset. Als eine Flüchtlingsfamilie in Kairo "Return to Homs" ansieht, ist das Wiedersehen und Abschied zugleich.

Von Sonja Zekri, Kairo

Filme können auf unterschiedliche Weise altern. Die Action verschlafen, die Botschaft steinzeitlich, die Helden erzählerische Dinosaurier - das sind so Risiken. Talal Derkis Film "Return to Homs" ist auf die schlimmste Weise von allen überholt.

Dabei ist er kein Jahr alt. Talal Derki hat zwischen 2011 und 2013 in der syrischen Stadt Homs gedreht. Homs war einst die Wiege des Aufstands gegen das Assad-Regime, dann umkämpft, geteilt, belagert, zerstört. Außerdem war Homs einst die Heimat der Familie Saidan, die "Return to Homs" an diesem Herbstabend in Kairo als Stream auf einem Computer anschaut. Früher waren die Saidans eine der größten und ältesten Familien in Homs. Seit zwei Jahren sind sie Flüchtlinge. In Derkis Film erkennen sie jedes Haus und jeden Stein, den "Gardenien-Turm", auf dem die Scharfschützen saßen, die Hauptverkehrsader, wo Regime-Truppen und Assad-Gegner aufeinanderstießen, die Moschee, in der der alte Nadar 20 Jahre lang betete, die Schulen, die verrammelten Möbelgeschäfte.

Homs, sagen sie, war die schönste Stadt der Welt, freundlich, bezahlbar, die Hitze ohne Klimaanlage erträglich. Es wird kein leichter Abend in Kairo: Der Film ist für die Saidans Wiedersehen und Abschied zugleich.

Denn "Return to Homs" ist bereits auf furchtbare Weise Geschichte. Derkis Held ist Abdul Basset Sarut, zu Beginn keine zwanzig Jahre alt, Torwart mit besten Karrierechancen, dann Revolutionär, später Kämpfer, verbissener mit jeder Minute, mal hysterisch vor Siegeswille, dann praktisch katatonisch, aber bis zum Schluss ungebrochen. Er verliert Freunde, wird verwundet, und stöhnt noch im Delirium: "Das Blut der Märtyrer darf nicht umsonst geflossen sein." Einmal nur sieht man ihn in einer selten friedlichen Szene. Da sitzt er mit Vater, Mutter, Brüdern beim Picknick, aber in Kairo schaut Abdel Chader Saidan zu, der Basset gut kannte, weil er selbst einst mit den Rebellen kämpfte, und hält brutal nüchtern fest: "Die sind inzwischen tot, alle, Bassets Brüder wurden fast alle umgebracht, auch der Vater, nur Basset und seine Mutter leben noch."

Und so geht es Szene für Szene. Der Arzt, der im Film die Verletzten behandelt? "Der hat unsere Schusswunden operiert. Dann wurde er festgenommen. Wir haben ihn mit ein paar Tausend Dollar freigekauft", heißt es in Kairo. Einer der Protagonisten starb durch eine Bombe, berichten sie. Einer wurde verhaftet. Einer floh außer Landes, kehrte zurück und starb. Die soziale Kontrolle des Filmgeschehens funktioniert bis in die Diaspora hinein. Und sie verzeichnet bis ins letzte Familienmitglied, wie furchtbar das Personal in Derkis Film nach Drehende dezimiert wurde.

Dann eine Szene mit einem Beerdigungszug. Männer tragen den Sarg, andere ballern sinnlos in die Luft, ziehen an einem Geschäft vorbei. Und obwohl der Oktoberabend in Kairo mild ist, fröstelt es Abdel Chaders Mutter Mahdiha: "Vor diesem Laden wurde mein Sohn erschossen."

Natürlich ist es unfair, einen Dokumentarfilm so brutal mit dem Rest der Wirklichkeit zu konfrontieren. "Return to Homs" trifft eine so radikal subjektive Auswahl, wie Dokumentarfilme es tun müssen. Dafür ist er auf einem Dutzend Festivals ausgezeichnet worden, unter anderem in Sundance mit dem World Cinema Jury Prize für Dokumentarfilme. Wahrscheinlich, ganz sicher spielt es eine Rolle, dass Amerika neuerdings Syrien bombardiert, und die Welt sich plötzlich einem Konflikt zuwendet, der noch verstörender geworden ist, während keiner hinsah. Wie konnte das geschehen, lautet eine der Fragen. Und: Was kann noch alles geschehen?

Media Player

Unter der Rubrik "Media Player" richtet das Feuilleton ein besonderes Augenmerk auf neue Spielfilme, Dokumentarfilme und Serienformate, die auf digitalen Vertriebswegen zu den Zuschauern kommen - wie hier zum Beispiel als globale Internetpremiere (vimeo.com/ondemand/returntohoms). Das Filmerlebnis löst sich dabei zunehmend von physischen Trägern wie DVDs oder Blu-Rays. "Media Player" erscheint auch jeden Montag als Kolumne.

Auf die erste Frage gibt der Film eine Antwort, die zumindest die Saidans zufriedenstellt. Ja, doch, so sei es gewesen, sagen sie: der Freiheitsrausch zu Beginn, dann die Gewalt, schließlich Massaker, Bomben, Ruinen. Niemand in der Flüchtlingsfamilie, nicht der alte Nadar, nicht seine Frau Mahdiha und natürlich nicht ihr Sohn, der Ex-Kämpfer Abdul Chader, der im Laufe der Vorführung immer stiller wird und eigentlich sofort zurück und zu den Waffen will, hatte Sympathien für Assad. Sie hatten dem tanzenden Protest in Homs von ihrem Balkon aus zugesehen und ihr Herz hatte gebrannt. "Assad geht, sagten wir, nächste Woche, nächstes Jahr, nächsten Ramadan", erinnert sich Mahdiha: "Aber jetzt sind wir in der Fremde, und er ist immer noch da."

Sind Kämpfer wie Basset also Opfer dieser Tragödie - oder Teil des Problems? Helden, sagen die jüngeren Saidans: Die Welt hat Syrien im Stich gelassen, sonst hätten sie das Land von der Tyrannei befreit. Im Gegenteil, sagen die Älteren: Die Bewaffneten haben erst Tod und Verderben über Syrien gebracht. Der Tätowierte zum Beispiel, der neben Filmheld Basset, sitzt? "Ach, der! Der hat getrunken, ein schräger Vogel. Aber kaum kam die Revolution, war er plötzlich ein Scheich", spotten sie.

"Krieg heißt Planung"

Nadar, der Patriarch, schüttelt ohnehin den Kopf, wenn er die Kämpfer in Siegerpose sieht oder beim Absingen martialischer Lieder: "Krieg heißt Planung. Und die singen." Er, Nadar, hatte einen Gemüsestand auf dem Markt: "Jeden Morgen mussten wir die Leichen wegräumen, Polizisten oder Soldaten, die die Rebellen dort abgelegt haben."

Dies aber, die wachsende Gewalt auch auf Seiten der Aufständischen, erwähnt der Film nicht. Talal Derki hat selbst in Homs gedreht, wenn es ging, aber auch Material verwendet, das Basset und seine Männer aufgenommen haben. So entstand die intime, oft klaustrophobische Innenansicht eines isolierten Männerbundes. So entstand aber auch seine Verklärung. Die Beton-Islamisten etwa, die Salafisten und die Dschihadisten, tauchen praktisch gar nicht auf, obwohl sie 2013 schon ziemlich mächtig waren. Jede Gruppe dreht in diesem Krieg ihre eigenen Videos, hat sich über Internet-Plattformen einen eigenen Vertrieb geschaffen, ein eigenes Publikum. Als Zuschauer hat man gelernt, diese Werke als das zu sehen, was sie sind: Propaganda, wenn auch manchmal in bester Sache. Aber von den Clips bis zu den Dokumentarfilmen ist es nur ein kurzer Weg.

Auf dem Londoner Film Festival hat gerade ebenfalls ein Syrien-Dokfilm gewonnen: "Silvered Water" von Ossama Mohammed. Auch er stammt aus Homs, auch er wählt den radikal subjektiven Blick. Kritiker bemerkten vorsichtig, dass man viele Kinder sehe und zermalmte Katzen - die Schutzlosesten der Schutzlosen, die die Welt aufrütteln sollen. Aber was tun? Wo niemand eine rationale, tragfähige, auch nur durchsetzbare Lösung für Syrien weiß, heute so wenig wie vor drei Jahren, flüchtet sich das Kino in die emotionale Überwältigung.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2014/cag
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