Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm:Paradies mit Hindernissen

Für ihren Dokumentarfilm "Alles gut" hat die Regisseurin Pia Lenz zwei Flüchtlingsfamilien aus Mazedonien und Syrien ein Jahr lang in Hamburg begleitet. Auch in gutbürgerlicher Umgebung gibt es nach der Ankunft noch genug Hindernisse.

Von Anna Fastabend

Wenn es um Integration geht, ist vieles ungerecht. Als Schulleiter Henrik Klüver entscheidet, dass Djaner die zweite Klasse besuchen darf, strahlt der Achtjährige übers ganze Gesicht. Doch die Freude bleibt nicht lange ungetrübt. Sein älterer Bruder Mahmud kann noch nicht so gut Deutsch lesen und schreiben, er soll erst mal anderswo einen Sprachkurs belegen. Wann der losgeht, kann ihm niemand sagen.

Die Roma Djaner, Mahmud und ihre Mutter Alisa sind 2015 vor dem prügelnden Vater und der Diskriminierung aus Mazedonien nach Deutschland geflohen und haben in einer Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Othmarschen Zuflucht gefunden. Ebenso wie die sechsköpfige syrische Familie rund um Vater Adel. Regisseurin Pia Lenz hat beide Familien ein Jahr lang mit der Kamera begleitet. Daraus ist die Dokumentation "Alles gut" entstanden, die zeigt, wie schwer es ist, in der Fremde Fuß zu fassen. Adel ist wie ausgewechselt, als Frau und Kinder endlich nachkommen. Doch seine Tochter hat Heimweh, und die Wohnungssuche erscheint aussichtslos.

Die beiden Familien gehören zu den 890 000 registrierten Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen und den Staat vor große Herausforderungen stellen. Die Bearbeitung der Asylanträge stockte, die medizinische Versorgung erwies sich als schwierig, die Schulplätze waren knapp und die Unterkünfte überfüllt. Gleichzeitig ging eine Welle der Hilfsbereitschaft durchs Land, die versuchte, die staatlichen Lücken zu kompensieren.

Pia Lenz hat sich für ihre Dokumentation absichtlich keinen Extremfall ausgesucht, sondern eine gutbürgerliche, tolerante Umgebung als Schauplatz. Damit zeigt sie, dass Ankommen selbst unter Idealbedingungen schwierig ist. Den traumatisierten Djaner überfordert die liebevolle Zuwendung seiner Klasse, und irgendwann kratzt sein Verhalten an der Toleranz seines Umfelds. Als seinetwegen eine Krisensitzung einberufen wird, merkt man, wie sehr Geflüchtete auf den guten Willen anderer angewiesen sind. Pia Lenz, Jahrgang 1986, ist eine mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmerin. Mit "Hudekamp - Ein Heimatfilm" über die Bewohner einer Hochhaussiedlung in Lübeck gewann sie 2013 den Deutschen Fernsehpreis. Mit "Alles gut", für den sie zum größten Teil selbst hinter der Kamera stand, hat sie einen Film realisiert, der nicht nur aufgrund der vorurteilsfreien Darstellung sehenswert ist. Er beeindruckt auch durch sein kinotaugliches Erscheinungsbild: Die Luftaufnahmen von Unterkunft und Parkanlage zeigen eine surreale Idylle, die im harten Kontrast zur Lebenssituation der Bewohner steht. Die Alltagsszenen sind symbolkräftig: Erwachsene, die sorgenvoll in die Heimat telefonieren, Vater Adel, der ruhelos eine Zigarette nach der anderen raucht. Im entscheidenden Moment geht die Regisseurin nah an ihre Protagonisten ran, ohne aufdringlich zu werden.

Die Geflüchteten sind mit einer syrischen Familie und einer Roma-Familie gut gewählt. Damit veranschaulicht Lenz, wie sehr es bei der Gewährung von Asyl auf die Herkunft ankommt und wie ungerecht das System für die Betroffenen ist. Während Adel stolz dem Chorauftritt seiner mittlerweile in Hamburg glücklichen Tochter lauscht, zittern Djaner, Mahmud und Alisa in ihrem winzigen Zimmer davor, abgeschoben zu werden.

Alles gut, Deutschland 2016 - Buch, Regie, Kamera und Ton: Pia Lenz. Verleih: Rise and Shine Cinema 95 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2017
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