Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm "Gestrandet" im Kino:Leben im Pause-Modus

Der Dokumentarfilm "Gestrandet" zeigt eindringlich, was in der deutschen Flüchtlingspolitik schief läuft.

Filmkritik von Kathleen Hildebrand

Am Anfang stehen große Worte: "Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, diesen Menschen Schutz, Hilfe und Unterstützung zu gewähren", sagt der Bürgermeister der kleinen ostfriesischen Gemeinde Großefehn, "und ihnen nicht mit Vorbehalten, Ablehnung oder Misstrauen zu begegnen, wenn sie zu uns kommen."

Er steht an einem Pult, als er diese Worte sagt, hinter ihm dunkelblaue Wimpel, vor ihm viele weißhaarige Köpfe mit Gesichtern, die bedächtig und ein wenig besorgt schauen. In seiner Rede geht es um Flüchtlinge. Worum auch sonst in diesen Zeiten. Fünf Männer aus Eritrea wird das Dorf Strackholt, Teil von Großefehn, wenige Wochen später aufnehmen. Was schon bereitsteht: eine Wohnung in einem rotgeklinkerten Haus. Sozialgutscheine zum Einkaufen im Supermarkt. Zwei ehrenamtliche Helfer. Aber das soll nicht alles sein. Die Strackholter sind ihren Neuzugängen wohlgesonnen, die Sache soll klappen, die Männer sollen Teil der Dorfgemeinschaft werden, und zwar so richtig. Voller Integrationsdampf voraus.

In der nächsten Szene wird eine kleine Maschine in die Aula der Strackholter Schule getragen. "Ah, die Negerkusskanone", sagt jemand.

Nach einem Jahr Wartezeit sind alle am Ende

Natürlich will mit dieser Negerkusskanone niemand etwas Böses. Wahrscheinlich nennen die meisten Strackholter sie sogar schon Schokokusskanone, und sie taucht in Lisei Caspers' Dokumentarfilm auch gar nicht weiter auf. Aber es sind diese Kontraste, völlig unkommentiert und nur durch sehr geschickten Schnitt erkennbar, die zeigen, wie schwer Integration in Deutschland sein kann, selbst wenn alle nur das Gute wollen.

Ja, selbst wenn es Menschen gibt wie die Journalistin Christiane Norda, die unfassbar herzlich und fast immer mit Kuchen in die Flüchtlingsunterkunft kommt. Christiane Norda redet, organisiert, rennt zu Behörden, sie bangt und hofft mit Aman, Hassan, Ali, Mohammed und Osman. Trotzdem: Nach einem Jahr Wartezeit, nach ein paar dürren Briefen in Beamtendeutsch sind die fünf Asylanträge noch immer nicht bewilligt. Dafür sind alle am Ende, Helfer wie Flüchtlinge. Sie sind erschöpft, desillusioniert und wütend. In Strackholt passiert im Kleinen, was mit der deutschen Gesellschaft seit Jahren geschieht.

Dabei fängt im Winter 2014 alles ganz sommermärchenhaft an. Aman, Hassan, Ali, Mohammed und Osman sind gerettet, endlich im Frieden angekommen und voller Neugier und Tatendrang. "Kraftfutter!" spricht Hassan begeistert nach, als der pensionierte Lehrer Helmut Wendt auf einer Deutschkurs-Stadtführung den Rinderhof zeigt. Es gibt einen traditionellen Marathon in der Nähe? Die Männer rennen mit. Es gibt Ein-Euro-Jobs im Bauhof? Die Männer pflastern die Strackholter Wege mit einem Enthusiasmus, wie der Bauhof-Chef ihn noch nie zuvor gesehen hat. Es gibt eine Kneipe im Ort? Der taubstumme Osman unterhält sich mit jedem, der Lust auf Zeichensprache hat.

Doch die Monate vergehen, und die Asylbescheide bleiben aus. Die Männer werden vom Migrationsamt vertröstet, Christiane Norda schreibt Briefe ans Amt, irgendwann sogar einen an Joachim Gauck. Ein Jahr ist vergangen ohne sichtbare Fortschritte im Anerkennungsverfahren. Als sie ihren Brief an den Bundespräsidenten vorliest, bricht Christiane Nordas Stimme.

Was auch bricht, das ist der Stolz von Aman, Hassan, Ali, Mohammed und Osman. "Wir wollen arbeiten wie echte Menschen." sagt Aman. Deshalb haben sie die Ein-Euro-Jobs nach vier Monaten wieder aufgegeben. Als der örtliche Sportverein sie fragt, ob sie beim Familienfest den Strackholter Kindern Spiele aus Eritrea zeigen möchten, der Integration zuliebe, wissen die Männer nicht, was sie sagen sollen. "Wir haben früher gespielt. Jetzt ist uns nicht nach Spielen zumute."

Irgendwann fangen die Strackholter, die von diesem schleichenden Mutverlust nichts wissen, dann an, sich zu wundern. Wieso kommen die Eritreer zu spät zum zweiten Marathon, ein Jahr vorher waren sie doch so begeistert dabei? Wieso üben sie nicht mehr Deutsch, fragt Helmut Wendt. Er ist einmal die Woche ins Klinkerhaus gekommen, um ihnen die Sprache beizubringen. Richtige Kurse gibt es für Flüchtlinge erst, wenn sie anerkannt sind.

Enthusiasmus wird vergeudet

"Wir sind nicht hier, um zu essen und zu schlafen", sagt Aman einmal, "sondern um uns ein besseres Leben aufzubauen." Seine Frau hat er im Sudan zurücklassen müssen. Als sie nicht mehr warten will, sondern allein durch die Wüste aufbricht, zerfrisst ihn die Sorge. Mohammed wird krank und depressiv, weil er seine Frau und Kinder nicht nachholen kann, bevor sein Asylantrag bewilligt ist.

Lisei Caspers' Film macht wütend, vor allem aber traurig. Darüber, dass Enthusiasmus, Dankbarkeit und Wille zum Lernen und zur Integration vergeudet werden, wenn Flüchtlinge gezwungen sind, Monat um Monat mit Nichtstun zu verbringen. Wenn man ihnen ihre Selbständigkeit versagt. "Was gibt es nicht alles für Geld, Ideen und Technik für die europäische Grenzschutzpolizei Frontex", sagt Christiane Norda frustiert. Und fragt: "Warum können wir nicht genauso viel in Programme investieren, um mit den Menschen, die hier sind, etwas zu machen, das für uns alle gut ist?

Gestrandet, D 2016 - Regie und Buch: Lisei Caspers. Kamera: Fabian Klein. Pandora, 80 Minuten.

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SZ vom 07.04.2016/khil
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