Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm:Geschlossene Kreise

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Die Filmemacherin Carolin Genreith hat lange in der Idylle von Bergen am Chiemsee gedreht; dort leben auch Asylbewerber. Ihre Dokumentation "Das Golddorf" zeigt, warum es für diese Menschen schwer ist, dort eine neue Heimat zu finden

Von Anna Steinbauer

Am schlimmsten ist das Warten. Auf Nachricht von der Familie im Kriegsgebiet, auf den nächsten Anhörungstermin, auf die Bewilligung der Aufenthaltsgenehmigung. Das Leben eines Flüchtlings fühlt sich an wie Zwangsurlaub oder Gefängnis - mit dem Unterschied, dass es zumindest theoretisch möglich ist, Türen zu öffnen. Wenn Ghafar gewusst hätte, dass seine Hauptbeschäftigung das Warten auf eine ungewisse Zukunft ist, dann wäre er nicht nach Deutschland gekommen. Er hätte seine Frau und seine beiden Kinder nicht in Kabul zurückgelassen. Dies gesteht er in einer der bewegendsten Szenen aus "Das Golddorf" von Carolin Genreith.

Die 1984 geborene Filmemacherin hat einen berührenden Dokumentarfilm über Flüchtlinge gemacht, die in Bergen am Chiemsee landen. "Ich wollte diese beiden Parallelwelten, die da aufeinanderprallen, verbildlichen.", sagt die junge Regisseurin. Das Resultat: Oberbayerische Heimatidylle mit weißblauem Himmel und Kühen trifft auf Heimatlosigkeit, Flüchtlingsschicksal und Kriegserfahrung. "Jeder einzelne Flüchtling, der zu uns kommt, ist Botschafter für das Leid, das in der Welt passiert", so Genreith. Dass sie Bergen zum Drehort erkor, war reiner Zufall, wie sie erzählt: "Ich wollte ein ganz klischeehaftes bayerisches Dorf haben. Das hätte ich aber vielleicht auch überall anders finden können."

Die junge Regisseurin stammt aus der Eifel, lebt aber nun in Hamburg. Die Idee zu dem Film kam ihr, da es dort so viele Lampedusa-Flüchtlinge gibt. Bei Recherche stieß sie auf eine Meldung im Traunsteiner Tageblatt, in der berichtet wurde, dass Asylbewerber in Bergen eingetroffen seien. "Die waren plötzlich da", sagt Annemarie in "Das Golddorf" über die Flüchtlinge. Sie trägt Dirndl und spricht bayerisch, niemals würde sie es wagen, mit einer anderen Frisur als dem hochgesteckten, geflochtenen Haarkranz in den Trachtenverein zu gehen. Wie alle Frauengenerationen zuvor, die Tradition ist stärker und gibt Sicherheit: "Es ist ein Weiterführen aber kein Hinterfragen", sagt Genreith.

Die Regisseurin fängt diese Tradition und ihre Formen behutsam ein, ohne sie vorzuführen: "Ich will niemanden als konservativen Almbauern bloßstellen. Ich zeige Positionen, die viele haben. Nicht unbedingt politisch korrekt, aber ich glaube, dass an vielen Stammtischen so gesprochen wird." Ein gewisser bayerischer Rassismus, der sich mit Unwissen paart, wird trotzdem in Genreiths Bildern offenbar: Wenn der Bauer Vachenauer in der Mittagssonne beim Bier darüber spricht, dass es schon gewöhnungsbedürftig sei, im Wirtshaus plötzlich schwarze Köpfe zu sehen. Oder die gängige Meinung vertritt, dass die Asylbewerber nur erwünscht sind, wenn sie auch arbeiten. Die Heimat verlassen, das würde der Bauer niemals tun: "Da sind wir geboren, da sterben wir."

Im Kontrast hierzu stehen die beiden Protagonisten Ghafar und Fishatsyon, der aus Afghanistan stammende Filmemacher und der Flüchtling aus Eritrea. Genreith begleitet die beiden in ihrem Flüchtlingsalltag, in behutsamen Interviews erzählen sie von ihren schrecklichen Schicksalen. Sie sind in Zweierzimmern in der Dorfwirtschaft untergebracht, ehrenamtliche Flüchtlingshelfer bringen ihnen Deutsch bei, und sie erkunden die oberbayerische Landschaft. Kontakt mit den Einwohnern gibt es fast keinen. Mit dem Konzept für "Das Golddorf" gewann Genreith den ARD Doku-Pitch auf der Berlinale 2014. Die anschließenden Dreharbeiten dauerten neun Monate, wie die Filmemacherin erzählt: "Wenn sich jemand dir so öffnet und seine Geschichte erzählt, kann man nur Demut empfinden und froh sein, dass man in so einer Wohlstandsgesellschaft lebt."

Und immer wieder heißt es warten. Eine Geduldprobe für die Flüchtlinge, die den quälenden Zustand mit so bewundernswerter Akzeptanz hinnehmen wie Fishatsyon. Wenn er von seiner Flucht aus Eritrea erzählt, von der Angst, jede Sekunde erschossen zu werden und zwei Monate in einem Container ohne Toilette und Essen zu verbringen. Dennoch hätte er es in Kauf genommen, auf dem Weg zu sterben, in Eritrea zu bleiben, war für ihn keine Option: "Wenn das nun mein Leben ist, ist das mein Leben." Zumindest für den 29-jährigen Ghafar hat das Warten nun ein Ende. Er hat Ende März eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und darf seine Familie nachholen. Das hat er auch Genreith und ihrem Engagement zu verdanken, die mit ihrem Film Druck und Aufmerksamkeit bei den Behörden aufbauen konnte. "Die Angst vor dem Anderen, dem Fremden haben wir alle", sagt die Regisseurin. "Das wichtigste für mich ist aber, das wir begreifen, dass die Heimat sich nicht verändert, wenn wir sie teilen."

Das Golddorf , Regie: Carolin Genreith, läuft beim Dokfest: 13.5., 14 Uhr, City; 15.5., 18 Uhr, City; 16.5., 18 Uhr, Atelier, jew. mit Regiegespräch am Ende

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Quelle:
SZ vom 13.05.2015
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