Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm:Die Leuchtkraft der Zerstörung

Jasmin Herold und Michael Beamish haben in einem Fracking-Eldorado gedreht. Und mit den Leuten geredet.

Von Fritz Göttler

"Es ist, als hätte man dir die Haut abgezogen und würde dich nun zwingen, das anzuschauen." Es geht um Fort McMurray in der kanadischen Provinz Alberta, die Athabasca Ölsande, das drittgrößte Erdölvorkommen der Welt. Ein Fracking-Projekt von Shell, das vielen Tausenden aus aller Welt Arbeit verschafft und guten Lohn. Aber dabei die Natur völlig zerstört. Denn beim Fracking wird das Öl nicht aus dem Erdboden gepumpt, sondern steckt im Sand und wird durch den Einsatz giftiger Chemikalien herausgefiltert. Wenn man im Hubschrauber die riesigen Ölfelder überfliegt, sieht das wirklich aus, als wäre der Landschaft die Haut abgezogen - die Felder, wo die Wälder abgeholzt und das Erdreich abgetragen ist und das giftige Wasser in großen Becken sich sammelt.

Jane Fonda hat das mit der Haut gesagt, sie war einen Tag in Fort McMurray und hat aktivistisch über die Naturzerstörung und die Erderwärmung geklagt. Einen anderen Zugang zu Fort McMurray und zum Fracking-Problem suchen die deutsche Filmemacherin Jasmin Herold und ihr Mann Michael Beamish. Sie zogen in die Stadt und lebten ein paar Jahre dort. Die Geschichten, die sie erzählt bekamen, sind traurig und resigniert, krampfhaft optimistisch oder einfach lakonisch. Barnabas aus Uganda zum Beispiel, der als Putzkraft arbeitet, Geld heim zur Familie schickt, als er seinen Job verliert und für einen neuen den Führerschein braucht, sich tapfer wieder in eine Fahrschule hockt - viermal ist er bei der Prüfung schon durchgefallen.

Die Bilder, die Janine Herold aufnahm, sind voller Schönheit und voller Schrecken. Es ist, als würde die umweltverschmutzende Chemie sie mit einer besonderen Leuchtkraft versehen, einer schrecklichen Schönheit. Die Nächte der Stadt sind tiefschwarz, aber schwärzer noch sind die Rauchschwaden, die unaufhörlich über den Himmel gepumpt werden. Und die Rehe des Waldes, die zögerlich in die Straßen kommen, sind fast alle verkrebst.

Die Fracking-Industrie hat den Ort mit einer soliden sozialen Struktur versehen, die Arbeit ist fast militärisch organisiert - aber für Handwerker oder Landwirte gibt es keine Arbeit in der Gegend. Immer wieder werden Jasmin und Michael Schwierigkeiten gemacht beim Drehen, manchmal meinte Jasmin, in einer Orwell-1984-Welt zu leben. Eine Boomstadt, wie einst beim Goldrausch in Amerika. Doch schließlich geht auch dieser Boom zu Ende. Ein Waldbrand zerstört die Stadt, hinterlässt niedergebrannte Häuser und verkohlte Autos. Ein alter Mann grübelt über die Drohung eines Armageddon. Bei Michael wird eine Krebserkrankung festgestellt.

Einer nur geht völlig unversehrt durch das Fort-McMurray-Projekt, der dynamische Ronnie Picard. Er hat die Organisation "I Love Oil Sands" gegründet, mit der er unermüdlich wider alle lügnerischen Naturschützer und Jane-Fonda-Anhänger von außen streitet. Er ist ein unverwüstlicher Exhibitionist. Jasmin wirft er vor, ihre Fragen seien zu weitschweifig und philosophisch, und wenn er seine eigenen Argumente auf den Punkt bringt, kriegt er kugelrunde Augen. "I am awesome", rutscht es ihm einmal vor der Kamera heraus.

Aber auch Ronnie hat seine introvertierten Momente. Einmal hockt er in seinem Wagen, er sammelt sich für einen Auftritt in einer Radiosendung, zieht einen "I Love Oil Sands"-Aufkleber hervor und pappt ihn versonnen neben die Windschutzscheibe.

Dark Eden, D 2018 - Regie, Buch: Jasmin Herold, Michael Beamish. Kamera: Andreas Köhler. Schnitt: Martin Kayser-Landwehr. Musik: Markus Aust. W-Film, 80 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2019
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