Süddeutsche Zeitung

Doku über Alexander McQueen:Zwischen Porno und Melodram

  • Der Dokumentarfilm über das Leben des britschen Modedesigners Alexander McQueen erscheint knapp neun Jahre nach dessen Tod.
  • Die Regisseure Ian Bonhôte und Peter Ettedgui haben ihn aus Archivaufnahmen, alten und neuen Interviews mit Mitgliedern seiner Familie, Mitarbeitern, Models und Musen zusammengestellt.
  • Sie zeichnen das Bild eines unsicheren Genies, das sich vor den Augen der ganzen Welt selbst auslöschte.

Von Tanja Rest

Am 28. September 1998 betrat das Model Shalom Harlow eine in den groben Bretterboden eines Londoner Lagerhauses eingelassene Drehscheibe, die sich langsam in Bewegung setzte. Sie trug ein weißes Kleid, kaum mehr als ein Tüllbausch; man hatte es ihr mit einem Ledergürtel über die Brüste geschnallt. Während Harlow sich um sich selbst drehte, erwachten rechts und links von ihr zwei Industrieroboter zum Leben - Stahlleiber, die hochrückten, Greifarme, die sich entfalteten - und begannen mit erbarmungslosen, exakt abgezirkelten Maschinenbewegungen die schutzlose Frau in ihrer Mitte ins Visier zu nehmen. Es sah aus, als werde Harlow gleich im Blitz der Laserkanonen zu Boden gehen, doch was die Roboter dann auf sie abfeuerten, war: Farbe.

Was war das, eine Kunstperformance, ein Jungfrauenalbtraum, die Vergewaltigungsfantasie eines misogynen Nerds? Es war das Finale der Show von Alexander McQueen für Frühjahr/Sommer 1999. Er selbst sagte: "In meinen Shows geht es um die Aufregung und die Gänsehaut. Ich will Herzattacken. Ich will die Krankenwagen." Und wenn man in den ersten Minuten des Dokumentarfilms "Alexander McQueen" kurz denkt, dass dieses Leben auch einen herzerschütternden Spielfilm hergegeben hätte, so besinnt man sich schnell eines Besseren. Warum sollte das Kino Inszenierungen re-inszenieren, die so grandios verstörend, tieftraurig und quälend schön waren wie seine?

In ein Sakko für Prinz Charles näht McQueen die Worte "I am a Cunt"

Die Geschichte von Glanz und Elend des britischen Modemachers "Lee" Alexander McQueen wird hier also völlig zu Recht mit den Mitteln des Dokumentarfilms erzählt. Die Regisseure Ian Bonhôte und Peter Ettedgui haben ihn zusammengestellt aus Archivaufnahmen, alten und neuen Interviews mit Mitgliedern seiner Familie, langjährigen Mitarbeitern, Models, Musen. Sie zeichnen das Bild eines unsicheren Genies, das Saison für Saison so hell lodert, als wolle es sich vor den Augen der ganzen Welt selbst auslöschen. Am Ende hat sich McQueen in seiner Wohnung in Mayfair erhängt, es war der Vorabend der Beerdigung seiner abgöttisch geliebten Mutter. Er war erst 40.

Wenn man diesen bitteren Tod (und seine zuletzt fragile Physiognomie) kennt, ist es beinahe ein Schock, den pummeligen Teenager aus dem Londoner East End zu sehen, der Mitte der Achtzigerjahre die Bildfläche betritt, sprühend vor Talent und derbem Witz. Während seiner Ausbildung bei einem Schneider auf der Savile Row näht er die Worte "I am a Cunt" in das Futter eines Sakkos hinein, das für Prinz Charles bestimmt ist.

Später studiert er am renommierten Central Saint Martins College und hat das Glück, dass eine berühmte Mäzenin seine komplette Abschlusskollektion aufkauft. Das Geld und die Freundschaft dieser Frau werden McQueens Startkapital. Ihr Name: Isabella Blow. Der Film verwendet viel Zeit auf die Beziehung dieser beiden zügellosen Exzentriker, die sich erst in gegenseitiger Bewunderung zugetan sind, die dann in Hassliebe umschlägt und zuletzt nur Bitterkeit übrig lässt. Denn als sein Stern so richtig aufgeht, er nicht nur mit seinem eigenen Haus Erfolge feiert, sondern auch Designer wird bei Givenchy in Paris, da lässt er Blow fallen.

Seine Shows sind Horror, Porno, Sadismus und Melodram

Die verzeiht ihm das nie. War sie es nicht, die in dem dicken Jungen den Künstler gesehen hat? Und McQueens Kunst liegt erst in zweiter Linie darin, dass er einem Mann einen Anzug auf den Leib schneidert, ohne ein einziges Mal Maß zu nehmen. Sie liegt in der Bereitschaft zur Selbstausbeutung, in der Hemmungslosigkeit, mit der er seine inneren Teufel einkleidet und über den Laufsteg schickt.

Seine Shows sind zu gleichen Teilen Horror, Porno, Sadismus und Melodram. Models treten als Missbrauchsopfer mit Zombie-Pupillen auf ("The Highland Rape Collection"), wanken in silbernem Korsett auf Stilettos durch den Schnee ("The Overlook Collection"), tasten sich als Psychopathen mit bandagierten Köpfen durch einen Glaskubus, sie führen lebende Wölfe spazieren, balancieren auf Hufen, werden mit Wasser übergossen.

Einmal beamt er ein Hologramm seiner Freundin und Muse Kate Moss im wehendem Spinnwebenkleid in den Saal und spielt dazu die Musik von "Schindlers Liste". Es ist morbide. Es ist pervers. Es ist definitiv frauenverachtend. Aber es gibt in diesem gnadenlosen Bildersturm für den Betrachter kein Entrinnen - und schon gar nicht für ihn selbst, für Lee.

Der Verzicht auf grellen Voyeurismus macht den Film so erschütternd

Wie Lee McQueen zugrunde geht, das ist ein ganz eigenes Horror-Movie, das sich auf der Leinwand im Zeitraffer vollzieht. Der permanente Heißhunger des Monsters Mode, das ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Die Brutalität, mit der er Freunde von sich stößt, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht als Liebe. Sein neuer, vom Chirurgen geschneiderter Körper, mit dem er einem Schönheitsideal genügen will, das er miterschaffen hat. Schließlich die HIV-Erkrankung und eine (hier nur angedeutete) Kokainsucht, die sein Wesen endgültig verändert.

Als sich Isabella Blow 2007 das Leben nimmt, ist von ihm schon nicht mehr viel übrig. Bonhôte und Ettedgui erzählen das behutsam, mit viel Einfühlungsvermögen; es ist gerade der Verzicht auf grellen Voyeurismus, der den Film so erschütternd macht, dass man am Ende heulen möchte. Eine tiefere Wahrheit hier besagt, dass es nicht die Mode ist, die den Menschen zugrunde richtet. Dass sie menschliche Abgründe aber auszubeuten bereit ist bis zum Letzten - wer würde daran zweifeln?

Alexander McQueen - Der Film, GB 2018 - Regie: Ian Bonhôte, Peter Ettedgui. Buch: Peter Ettedgui. Kamera: Willard E. Pugh. Schnitt: Cinzia Baldessari. Musik: Michael Nyman. Prokino, 111 Minuten.

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SZ vom 29.11.2018/jmau
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