Dokumentarfilm "A Film Memoir":Im Zweifel für den Hauptdarsteller

Das Leben Roman Polanskis ist ein krasses Wechselspiel aus Triumph und Tragödie. In "A Film Memoir" hat sein Freund und Verehrer Andrew Braunsberg dem Regisseur nun ein Denkmal errichtet. Die Doku will den "wahren Polanski" verkaufen - doch erzählt nur Bekanntes, als sei es neu.

Philipp Stadelmaier

Am 26. September 2009 wird Roman Polanski überraschend am Zürcher Flughafen verhaftet. Ein alter Haftbefehl aus den USA liegt gegen ihn vor, von wo er vor dreißig Jahren vor einem Gerichtsverfahren wegen Beischlafs mit einer Minderjährigen nach Europa floh.

Themendienst Kino: Roman Polanski: A Film Memoir

Roman Polanski bei Dreharbeiten in einer Szene aus dem Dokumentarfilm "Roman Polanski: A Film Memoir" von Laurent Bouzereau. Der Film kommt am 23. August 2012 in die deutschen Kinos.

(Foto: dapd)

Während Polanski nun in seinem Chalet in Gstaad unter Hausarrest der Schweizer Behörden steht, die über seine Auslieferung verhandeln, bekommt er Besuch von seinem alten Freund und Produzenten Andrew Braunsberg. Da die Vergangenheit wieder einmal präsent ist, und Polanski kaum Besseres zu tun hat, setzen sich die beiden Männer an einen Tisch, und Polanski erzählt vor der Kamera seine Erinnerungen aus einem bewegten Leben: "A Film Memoir".

Intime Details also, die Roman in diesem Interviewfilm seinem guten Freund Andy anvertraut, während das Haus von Journalisten belagert wird? Sicher - aber nichts, was nicht schon über ihn veröffentlicht worden wäre, etwa von ihm selbst in seiner Autobiografie "Roman Polanski" (1984). Der Film zeichnet einmal mehr das Bild einer Figur, in dessen Leben sich Triumph und Tragödie krass abgewechselt haben.

Einerseits große Erfolge wie "Rosemary's Baby", "Chinatown" und "Der Pianist", dazu die privilegierte Teilhabe am goldenen Zeitalter der Sixties in London und Hollywood. Andererseits die traumatischen Katastrophen: die Kindheit im Krakauer Ghetto, die Deportation der Mutter nach Auschwitz, die Ermordung seiner hochschwangeren Ehefrau Sharon Tate durch Anhänger der Manson-Sekte, im Sex-Verfahren dann die Flucht nach Europa vor einem korrupten Richter.

Dennoch wird unablässig bei Dingen, die nicht neu sind, so getan, als seien sie es. Einmal erzählt Polanski eine Geschichte aus dem Ghetto: Wie die Nazis eines Tages die Eltern eines dreijährigen Jungen deportierten und das Kind alleine zurückließen. Braunsberg steht der Mund offen: "Unfassbar!" Als könnte er es sich nicht vorstellen, dass Nazis tatsächlich zu so etwas in der Lage gewesen wären.

Warum nur diese blödsinnige, vorgespielte Naivität? Weil Braunsberg, sicher ein historisch gebildeter Mensch, so tun muss, als würde er derlei gerade zum ersten Mal hören. Als würde er gerade weniger die Geschichte selbst als eine Szene aus einem neuen, historisch "authentischen" Polanski-Film erzählt bekommen, eine unerhörte Story, an die sich noch keiner gewagt hat.

Bis zum "Pianisten" natürlich, aus dem hier immer wieder Aufnahmen eingeblendet werden. Wenn Braunsberg der Mund offen steht, dann deswegen, weil der großartige, begabte Erzähler Polanski, dessen Filme noch echter sind als die Geschichte selbst, aktuell am Drehen gehindert wird. Was ist schon das Krakauer Ghetto gegen den "Pianisten"?

Relikte einer leiderprobten Kinolegende

A Film Memoir" plädiert also für die Rechtsperson Polanski - Braunsberg führt sogar einige Originaldokumente aus der damaligen Verhandlung vor, die Polanski entlasten -, indem noch mehr für den Künstler plädiert wird. Niemand scheint für dieses Kalkül besser geeignet zu sein als Laurent Bouzereau, bekannt als Macher von "Making Ofs" für die unzähligen DVD-Collector-Editions dieser Welt, Verwalter der Memorabilien des Kinos.

Er reiht Szenen aneinander, die künstlerisches Gewicht und Schwere des menschlichen Schicksals demonstrieren sollen - der Rest wird hastig in eingeblendete, stichpunktartige Textblöcke gesteckt. Diese Power-Point-Präsentation eines filmbegeisterten Schülers sollte dann auch uns, wie Braunsberg, den Mund offen stehen lassen: Und dieser Mann, diese leiderprobte Legende des Kinos, soll im Gefängnis schmoren, soll nicht arbeiten dürfen?

Nach der Aufhebung des Verfahrens gegen Polanski im Juli 2010 wird dieses Plädoyer natürlich obsolet. Was bleibt, sind zwei alte Freunde, die sich endlich gemütlich am Kaminfeuer niederlassen können: "Same place, same cast", Roman und Andy. Das Bild, das die Leute von ihm aus den Medien hätten, habe ja nichts mit der Wahrheit zu tun, sagt der Regisseur: So will uns dann "A Film Memoir" letztlich doch den "wahren Polanski" verkaufen, als Freund und Familienmensch.

Sein Werk, für das er, wie er sagt, lieber berühmt wäre als für sein Leben, dient dem Film nur als Beweis der bescheidensten seiner Freuden: "to get on the set and shoot". Verteidigung und Imagepflege lösen sich schließlich in Luft auf. Der Mann ist geläutert und mit allem versöhnt. Denn was konnten ihm all die großen Triumphe und Katastrophen für ein anderes Gefühl gegeben haben als das, dass ohnehin längst alles für ihn geschrieben steht.

Roman Polanski - A Film Memoir, GB 2011 - Regie: Laurent Bouzereau. Kamera: Pawel Edelman. Musik: Alexandre Desplat. Verleih: Eclipse, 94 Min.

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