Doku:Was uns die Sex-Skandal-Doku "Weiner" lehrt

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US-Demokrat Anthony Weiner und seine Ehefrau Huma Abedin nach Bekanntwerden der Telefonsex-Affären 2013. (Foto: Eric Thayer/REUTERS)

Ab wann lassen Wähler einen Politiker fallen? Und wann kann er selber loslassen? Ein Film über den New Yorker Politiker Anthony Weiner versucht sich an Antworten.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Wenn ein Sex-Skandal die Karriere eines Berufspolitikers zerstört, bleibt meist nur eine Wegwerf-Pointe in Erinnerung. Oder, im Falle des ehemaligen New Yorker Kongressabgeordneten Anthony Weiner, das Foto seines Geschlechtsteils und sein Facebook-Tarnname "Carlos Danger".

Nun ist der Demokrat zurück, allerdings nicht mit dem nächsten Comeback-Versuch. Nein, ein gleichnamiger Dokumentarfilm über den gestrauchelten Politiker ist in den USA angelaufen, passend zum Präsidentschaftswahlkampf 2016 (ein deutscher Kinostart steht noch nicht fest).

Wer sich nicht erinnert: Der heute 51-Jährige gals als außergewöhnliches wie streitlustiges Politik-Talent der Demokraten, musste jedoch 2011 nach Bekanntwerden einer Cybersex-Affäre zurücktreten. Seine Ehefrau Huma Abedin, die engste Vertraute Hillary Clintons, war zu diesem Zeitpunkt schwanger.

Die Tragik der öffentlichen Ehe

Der Film steigt in den Bürgermeister-Wahlkampf von New York 2013 ein, als Weiner sein Comeback versucht. "Ich habe diese Dinge getan", erzählt Weiner und der erste Teil der Dokumentation zeigt, dass Wähler wirklich verzeihen können. In den Umfragen steigt der engagierte Politiker schnell zum Spitzenreiter auf, als kämpferischer Kandidat der Mittelschicht erhält er Unterstützung aus dem Publikum, als seine Rivalen ihn verspotten und seinen Charakter in Zweifel ziehen.

Doch die Vergangenheit holt den Politiker ein und macht die Dokumentation zu einem Karriere-Crashvideo in Zeitlupe: Unter großer medialer Anteilnahme implodiert die Kampagne, als bekannt wird, dass Weiner unter dem Namen "Carlos Danger" auch nach dem ersten Rücktritt Cyber- und Telefonsex mit fremden Frauen gehabt hatte.

Fall Anthony Weiner
:Fremdschämen für Carlos Danger

Warum tut dieser Mann das sich, seiner Familie und der Öffentlichkeit an? Der neue Sex-Skandal um den New Yorker Bürgermeister-Kandidaten Anthony Weiner lässt Politik und Privatsphäre auf neue Art verschmelzen. Dass sich ausgerechnet seine blamierte Ehefrau für ihn einsetzt, ist die zynische Pointe.

Von Johannes Kuhn

Die Aufnahmen zeigen von nun an die verschiedenen Ebenen des Konflikts: "Werden wir die nukleare Option ziehen und alles bestreiten?", fragen zunächst Mitarbeiter den Wahlkampf-Manager. Ein langes Schweigen, dann ein kurzes "Nein, das ist nicht unsere Strategie". Weiner hat auch diese "Dinge" getan. Später ist die Pressesprecherin zu sehen, wie sie die Krise zu steuern versucht. Wie viele Fernsex-Partner könnten noch an die Öffentlichkeit gehen? Weiner weiß es selber nicht so genau.

Dann ist da Weiners Ehefrau, deren Zurückhaltung gegenüber den Kameras in schweigende Missbilligung umschwenkt - gegen die TV-Dokumentation, vor allem aber gegenüber der kollabierenden Kampagne ihres Ehemanns. "Es ist wie ein Albtraum", sagt sie einmal, verloren in der Küche stehend. Ob sie die öffentliche Demütigung ihres Ehemanns oder ihre eigene - die Sex-Telefonate fanden nach ihrer öffentlichen Versöhnung statt - meint, bleibt offen. Und natürlich drängen sich Parallelen zu Abedins Mentorin Hillary Clinton auf, als diese mit den Verfehlungen ihres Mannes Bill konfrontiert wurde: Als Ehepartnerin ist sie in einer privaten Hölle gefangen, gleichzeitig nach den Regeln der politischen Partnerschaft jedoch dazu angehalten, ein gewisses Maß an Loyalität zu zeigen.

Doch Weiner ist nicht Bill Clinton, beinahe naiv wirkt der Versuch, über andere Themen zu sprechen und die Angelegenheit als Schnee von gestern zu behandeln. Die Wähler mögen ihn nicht mehr, die Medien verfolgen ihn. "Anthony, ich glaube, etwas stimmt nicht mit dir", sagt ihm ein MSNBC-Moderator ins Gesicht. "Junge, ich brauche deine Psychiater-Fragen nicht", ätzt Weiner zurück und spielt den Clip am nächsten Morgen seiner Ehefrau vor, die kopfschüttelnd das Zimmer verlässt - die Entgeisterung gilt nicht dem Moderator.

Moralische Autorität und der Nachbar-Faktor

Am Ende landet er in den Vorwahlen völlig abgeschlagen im hinteren Teil des Feldes, seine Wahlparty muss er durch eine Tür im McDonald's erreichen: Seine ehemalige Telefonsex-Partnerin, von seinem Team mit dem Codenamen "Ananas" versehen, ist angereist und verfolgt ihn medienwirksam. Als Höhepunkt (oder: Tiefpunkt) zeigt Weiner der Pressemeute noch den Mittelfinger.

Diese kuriosen, mitleiderregenden Szenen machen "Weiner" zu einem erstaunlichen Film. Das Persönliche ist politisch, heißt es, doch auch das Politische ist persönlich: Gerade in den USA kämpfen Politiker nicht nur in Sachthemen, sondern auch um Punkte in unsichtbaren Kategorien wie "wäre ein guter Nachbar" oder "würde ich gerne zum Bier trinken/Abendessen einladen". In diesem Kontext ist das Ende von Weiners politischer Karriere von Beginn an vorhersehbar, obwohl er seinen Ehebruch nicht körperlich vollzogen hat.

Doch die Gnadenlosigkeit ist nicht nur den gängigen Skandal-Mechanismen geschuldet. Politiker müssen moralisch argumentieren, um von sich und ihren Anliegen zu überzeugen. Ohne diese Autorität schrumpfen sie in aller Öffentlichkeit zu Selbstvermarktern - ein Verdacht, der auch über den Kandidaturen Donald Trumps als TV-Marke und Hillary Clinton als dynastische Politikerin schwebt. "Weiner" dokumentiert auch den Versuch, Authentizität mit Hilfe eines gewaltigen Mitarbeiter-Aparates zu schaffen, sie notfalls auch zu simulieren.

Irgendwann am Ende fragt die Stimme hinter der Kamera: "Warum in aller Welt haben Sie uns das filmen lassen?" Anthony Weiner weiß keine rechte Antwort. Als Trost bleibt ihm, dass jenseits aller Entblößung immer noch eine kleine private Ebene existiert, in der die Vergebung anderen Regeln folgt als die öffentliche: Weiner und Abedin sind noch heute zusammen.

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