Doku von Wim Wenders:Jenseits der Bilder

Doku von Wim Wenders: Mit Fotos aus der Goldmine Serra Pelada in Brasilien wurde Sebastião Salgado weltbekannt. Auch Wim Wenders entdeckte ihn über die Wucht der Fotoserie.

Mit Fotos aus der Goldmine Serra Pelada in Brasilien wurde Sebastião Salgado weltbekannt. Auch Wim Wenders entdeckte ihn über die Wucht der Fotoserie.

(Foto: Sebastião Salgado/Amazonas Images)

Seit mehr als 20 Jahren hängt ein Bild von Sebastião Salgado über Wim Wenders Schreibtisch. Nun hat er eine Dokumentation über den Fotografen gedreht, die von Begeisterung und Ergriffenheit handelt, von Würde und Schönheit. Und davon, wie sich die Wirkung von Bildern potenzieren lässt.

Von Tobias Kniebe

Eines Tages wird man gepackt. So beginnt die Geschichte. Bei Wim Wenders waren es die Bilder aus der Mine von Serra Pelada in Brasilien. Tausende Männer, ameisengleich, zusammengedrängt in einem gigantischen Lehmloch. Ein Anblick von biblischer, ach was, pharaonischer Wucht. Sie rutschen in die Tiefe, gleitend, fluchend in der feuchten Hitze. Und klettern dann wieder hinauf, Säcke auf dem Rücken, prallvoll mit Schlamm. Kein böser König hat sie verdammt, kein Sklaventreiber hetzt sie hinab - denn vielleicht ist ein Nugget Gold in diesem Schlamm.

Vor zwanzig Jahren hat Wim Wenders diese Schwarz-Weiß-Fotografie gesehen, in einer Galerie. Sie hat ihn nicht mehr losgelassen, er hat sie gekauft. Jeden Tag betrachtet er sie nun, sie hängt über seinem Schreibtisch. Und - er erzählt das am Anfang von "Das Salz der Erde", so vernuschelt, offenherzig und umstandslos, wie er nun mal ist - in all den Jahren haben diese Aufnahmen nichts von ihrer Wirkung auf ihn verloren.

Ein unverkennbarer Wender-Film

Nun hat er die Chance ergriffen, mehr über diese Bilder zu erfahren. Und alles über den Mann, der sie gemacht hat: Sebastião Salgado. Mit diesem Fotografen auf Weltreise zu gehen, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen - dieses Angebot kam direkt aus dem Salgado-Clan, zuerst wohl von Juliano Ribeiro Salgado, dem Sohn. Mit ihm teilt sich Wim Wenders den Regiecredit für diese Dokumentation. Und doch ist das Ganze ein Wenders-Film, unverkennbar. Als solcher wurde er auch in Cannes schon heftig gefeiert.

Andererseits darf man nicht verschweigen, die Entstehungsgeschichte suggeriert es schon - dies ist ein Familienfilm. Voll Verehrung und freundlicher Neugier. Wenn es am Ende nach Brasilien geht, wo Sebastião Salgado herkommt und wo er jetzt die Urwaldfarm seiner Vorfahren wieder aufforstet, wirkt der Filmemacher Wenders längst selbst wie ein Mitglied dieses weltumspannenden Clans.

Aber warum denn nicht? Es geht ja hier um Begeisterung, gelegentlich sogar um Ergriffenheit. Darum, wie man Bilder macht, die eben nicht nur Wim Wenders im Gedächtnis bleiben. In den vergangenen 20 Jahren ist Sebastião Salgado von einem großen Namen zu einer Institution geworden: Wie kein anderer Fotograf lockt er die Massen in seine Ausstellungen, wie kein anderer verkauft er Bildbände, zuletzt das Großprojekt "Genesis" im Taschen-Verlag - eine Ode an die Schöpfung, wie sie einmal war, vor dem unaufhaltsamen Aufstieg des Menschen.

Wie macht man das bloß?

Und das würde man dann schon gern wissen, wenn man ihn so fotografieren sieht, zum Beispiel beim entlegenen Stamm der Yali in Papua-Neuguinea, freundlich, unauffällig, leise und effizient: Wie macht man das, besonders inmitten einer humanitären Katastrophe? Wie nimmt man ein sterbendes Kind in den Sucher, einen Mann, der nur noch Skelett ist, eine Mutter am Ende ihrer Kraft? Wie fotografiert man den Hungertod in der Sahelzone? Oder den Völkermord in Ruanda?

Sebastião Salgado ist Zeuge dieser und vieler anderer Katastrophen geworden, und er hat sie in Bilder verwandelt. Aber eben nicht nur Bilder, wie sie jeder heute mit seinem Smartphone machen könnte, oder zumindest ein guter Pressefotograf. Es sind wirkliche Kompositionen: aufgeladen mit Anteilnahme und Mitgefühl, das sowieso, aber auch mit Pathos und Wucht und Würde und Schönheit, geschaffen, um die Betrachter zu packen und im Gedächtnis zu bleiben.

Aber wie denkt man an Komposition inmitten des Sterbens und tiefsten Elends? Arbeitet das Schönheitsempfinden des Gehirns dann ganz von allein, wie auf Autopilot? Das wären natürlich entscheidende Fragen. Wim Wenders aber thematisiert das nicht - vielleicht, weil ihm das alles ganz natürlich vorkommt, wo er doch selbst so ein großer Pathetiker ist.

Die ungelöste Frage ist die nach der Moral

Er lässt die meiste Zeit einfach Salgado reden, der ein lakonischer, sehr präzise formulierender Mann ist. Dazu sieht man, oft wie in einer Diashow, all die Höhepunkte dieses Schaffens noch einmal im großen Leinwandformat: von den vergessenen Bergvölkern Lateinamerikas, die Salgado jahrelang begleitet hat, über die Heroen der körperlichen Arbeit, die er in "Workers" feiert, bis zu den Feuerwehrmännern in den Ölfeldern Kuwaits und den seltenen Tierarten am Ende der Welt, die er für "Genesis" aufgespürt hat.

Das ist eindrucksvoll genug, die entscheidenden Fragen muss man sich dann jedoch selber stellen. Einmal zum Beispiel lauert Salgado mit dem Teleobjektiv auf einen Eisbären in der Arktis und merkt an, der Hintergrund - eine Geröllwüste - sei einfach zu fade: "Das wäre dann das Foto eines Bären, aber mehr auch nicht."

Nur was ist dieses Mehr, das er sucht und so oft auch findet? Und wie kann man es moralisch noch rechtfertigen, sobald Tod und Vernichtung ins Spiel kommen? Das ist wirklich die ungelöste Frage - der blinde Fleck jeder engagierten Fotografie, die Wirkung erzielen will. Als Prototyp eines Fotografen, der das Elend der Welt mit genau diesem Mehr aufgeladen hat, um es unübersehbar zu machen, ist Salgado in den vergangenen Jahrzehnten auch in den Fokus der Kritik geraten.

Kritik von diversen Seiten

Seine Ästhetisierung menschlicher Tragödien verleite den Betrachter zur Passivität und betäube die Gefühle, statt zum Handeln aufzurufen, schrieb eine Kritikerin schon vor mehr als 20 Jahren im New Yorker. Sie forderte, damals war das gerade angesagt, das hässliche Schockbild. Inzwischen ist das hässliche Schockbild der Pausenhof-Standard auf Youtube, achselzuckend konsumiert, während Salgados Strategie noch immer gültig erscheint - denn Pathos, das musste dann auch Susan Sontag in ihrem Fotografie-Essay "Regarding The Pain of Others" eingestehen, nutzt sich nicht ab. Auch sie mag Salgado allerdings nicht - sie wirft ihm vor, die Protagonisten seiner Elendsbilder namenlos zu lassen und damit auf ihre "Machtlosigkeit" zu reduzieren.

Wenders thematisiert diese Kritik nicht, Salgado geht auch nicht darauf ein - nur einfach indem er hier erzählt, lässt er seine Kritiker am Ende seltsam kleinlich erscheinen. Verliert sein unvergesslich würdevolles Bild einer blinden Tuareg-Frau seine Kraft, weil er ihr nicht auch noch mit dem Schreibblock zu Leibe gerückt ist, bis er ihren Namen hatte? Selbstverständlich nicht.

Der Film potenziert die Wirkung der Bilder

Sehr spannend ist aber ein anderer Punkt. Alle Texte, in denen Salgado gefeiert wird, betonen gern, wie sehr diese Bilder für sich stehen, aus sich heraus schon die ganze Geschichte erzählen. Aber das stimmt nicht. Im dem Moment, wo er hier ganz knapp die Hintergründe erläutert - etwa was er auf seinen Ruanda-Reisen wirklich erlebt hat, und warum er danach keine Menschen mehr fotografieren konnte, diese schlimmste aller Spezies - verzehnfacht, verhundertfacht sich die Wirkung seiner Bilder noch einmal. Das ist das eigentliche Verdienst dieses Films.

Denn selbst große Fotografien sagen niemals mehr als tausend Worte - noch so ein populärer Irrtum. Sie sind machtvolle Einstiegspunkte, für das Interesse und für die Erinnerung. Sie ziehen uns in Geschichten hinein, die wir dann aber weiter und immer wieder neu erzählen müssen - jenseits der Bilder.

Bis 13. November 2014 sind Sebastião Salgados Bilder aus Brasilien in der Galerie Olga Benario in Berlin zu sehen.

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