"Human Nature" im Kino:Biochemie als Thriller

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Poesie der Biologie: Animationen zeigen, wie die Genschere funktioniert. (Foto: Verleih)

Wie das menschliche Erbgut sich per Genschere verändern lässt, und warum Hitler zum Glück nichts von "Cas9" gewusst hat: der Dokumentarfilm "Human Nature".

Von Martina Knoben

Vor knapp einem Jahr schockierte der chinesische Forscher He Jiankui die Welt, als er die Geburt der ersten genveränderten Menschen verkündete. Die Zwillinge Nana und Lulu sind durch die Manipulation ihres Erbguts angeblich immun gegen den Aids-Erreger.

Möglich wurde das mit Hilfe der sogenannten Genschere Crispr-Cas9, mit dem sich fast jede Form organischen Lebens relativ einfach und relativ gezielt manipulieren lässt. Viele Menschen nahmen damit schockiert eine Technik zur Kenntnis, die wie Science Fiction anmutet, aber längst Realität ist - und die Welt womöglich stärker verändern wird als die Erfindung des Internets. Die Genschere "schneidet" vorhandene Erbgutabschnitte aus, um sie durch andere, zuvor programmierte Erbgutinformationen zu ersetzen. Crispr steht für "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats", was deutlich macht, wie kompliziert die Materie ist. Kaum ein Laie versteht, wie die Genschere genau funktioniert.

Adam Bolts Dokumentarfilm will das ändern und schafft es tatsächlich mit Hilfe von Animationsfilmen und Erläuterungen von Wissenschaftlern, das komplizierte Verfahren anschaulich zu erklären. "Human Nature" schildert, wie es zur der Entdeckung von Crispr kam, sehr mitreißend, die beteiligten Wissenschaftler staunen selbst darüber. Schön ihre Vergleiche: So gehen etwa "Proteine mit Fahndungsbildern auf Streife", und Crispr wird als eine Art "Textverarbeitungsprogramm für die DNA" beschrieben. Wer hätte gedacht, dass Biochemie so spannend sein kann!

Alle paar Wochen muss David ins Krankenhaus zum Blutaustausch, er nennt das "Ölwechsel"

Die Reise in die Geschichte der Gentechnik beginnt im Schwarz-Weiß-Zeitalter, 1966 mit einem Vortrag des Biologen Robert Sinsheimer, der seine Zuhörer als "fellow prophets", als Mit-Propheten, anspricht und voraussagt, dass der Mensch, seine eigenen Gene einmal gezielt wird verändern können. "Das kann Großes bewirken, aber auch in der Katastrophe enden", so Sinsheimer.

Gut 50 Jahre später kamen Nana und Lulu zur Welt, ein - noch illegaler, weltweit geächteter - Menschenversuch. Dennoch, Ärzte hoffen darauf, dass schwere Erbkrankheiten wie Chorea Huntington einmal ganz verschwinden werden. Genmanipulierte Schweine könnten Spenderorgane liefern, die vom menschlichen Immunsystem nicht abgestoßen werden. Durch den Klimawandel gefährdete Spezies könnten hitzeresistenter sein, ausgestorbene Arten wieder auferstehen.

Schöne neue Gentechnik-Welt also? Oder ein Albtraum, weil Eltern sich ihr Wunsch-Baby designen, blond, blauäugig und mit Super-IQ? Weil Soldaten gezüchtet werden, die keine Angst und keinen Schmerz empfinden? Und weil dies alles Großkonzerne vermarkten, die kaum einer staatlichen Kontrolle unterliegen?

Adam Bolt tut viel dafür, seine Zuschauer aufzurütteln, ihnen die Bedeutung des Themas nahezubringen. Im Gegensatz zu vielen anderen Natur- und Umwelt-Dokus, in denen der Regisseur als Mahner auftritt, seine Position klar ist und im Film nur noch illustriert wird, überlässt es Bolt allerdings dem Zuschauer, aus den vielen, akribisch recherchierten Fakten seine Schlüsse zu ziehen. Wann ist Gentechnik ein Segen? Wo soll man die Grenze ziehen?

Was wohl David zu dem Thema sagt? Er ist ein kalifornischer Jugendlicher, der leidenschaftlich gern Basketball spielt, obwohl er bei jedem Spiel damit rechnen muss, sich vor Schmerzen zu krümmen. David hat eine Sichelzellenanämie, ein Gendefekt, seine roten Blutkörperchen transportieren zu wenig Sauerstoff. Alle paar Wochen muss David ins Krankenhaus zum Blutaustausch, "Ölwechsel" nennt er das. Sichelzellenanämie wäre durch Crispr womöglich heilbar. Aber, sagt David im Film: "Ohne die Krankheit wäre ich ja nicht, was ich bin."

Die Molekularbiologin Jennifer Doudna, die Crispr mitentwickelte, erzählt von einem Albtraum, der sie immer wieder plagte, in dem ihr Adolf Hitler gegenüber tritt, der alles über Cas9 wissen will. So begeisternd die Forscher über Crispr referieren (einer kennt ein hinreißendes Haiku über Sequenzhomologie!), so groß sind ihre Skrupel, vor allem gegenüber Keimbahn-Editierungen.

Die Entwicklungen im Bereich der Gentechnik sind rasant; die Öffentlichkeit und vor allem auch der Gesetzgeber kommen kaum hinterher. Um so wichtiger ist es mitzureden. "Human Nature" ist dafür eine gute Basis.

Human Nature , USA 2019 - Regie: Adam Bolt. Buch: A. Bolt, Regina Sobel. Kamera: Derek Reich. Schnitt: Regina Sobel, Steve Tyler. Verleih: Mindjazz, 91 Minuten.

© SZ vom 07.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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