Doku über Arcade Fire:Verborgen hinter Pappmaché

Doku über Arcade Fire: Wenig reflektiert ist der Mythos von Arcade Fire.

Wenig reflektiert ist der Mythos von Arcade Fire.

(Foto: Arcade Fire)

"The Reflector Tapes" will zeigen, wie das aktuelle Album von "Arcade Fire" entstand - und will vor allem dabei sein.

Von Tobias Sedlmaier

Vorhersehbarkeit ist nicht das Ding der kanadischen Indie-Rockband Arcade Fire. Im Rahmen der Promo-Tour zu ihrer Konzert-Dokumentation "The Reflektor Tapes" beim Filmfest Toronto lobte Frontmann Win Butler seinen Landsmann Bryan Adams und dessen All-Time-Nerv-Hit "Summer of 69" als "kanadischen Klassiker". Ein Song, bei dem manch anderer schreiend den Sender wechselt. Ein Stück auf jeden Fall, das nicht so recht passt zu einer Band, die für das Progressive, Innovative in der gegenwärtigen Rockszene bekannt ist.

Aber womöglich funktioniert diese Band genau deshalb. Weil sie wie ein Schwamm die unterschiedlichsten Einflüsse aus der Musikszene aufsaugt, mit Stilrichtungen spielt und experimentiert.

Wer ist diese Band eigentlich - das könnte die Frage dieses Langzeitprojekts sein, das über die Truppe gedreht wurde. Wer ist diese Band, die vor zwei Jahren ein Staatsgeheimnis um ihr viertes Album "Reflektor" machte, auch wenn sie da schon längst kein Geheimtipp mehr war, sondern Stadien füllte. Die sich nahezu keine Note aus dem neuen Werk entlocken ließ, ehe nicht gut verkleidet ein spontanes Geheimkonzert in Montreal gegeben wurde? Auf all das könnte "The Reflektor Tapes" eine Antwort geben, schließlich ist Regisseur Kahlil Joseph der Erste, der der Band mit der Kamera so richtig nahe kommen durfte.

Doch an Antworten ist der Film erst interessiert, nachdem im Kino der Abspann gelaufen ist und drei Bandmitglieder noch knapp zehn Minuten etwas zum Entstehungsprozess sagen dürfen - genau gesagt darf nur Win Butler sonnenbrillenverspiegelt etwas sagen. Das wirkt recht lieblos hinterher geschoben und wertet die 75 Minuten davor eher ab, als sie zu bereichern.

Denn "The Reflektor Tapes" trägt nicht wirklich zum Verständnis von Arcade Fire bei, sondern schürt deren selbstgebauten Mythos noch. Der Film ist so offen für alle Einflüsse, dass er beinahe hermetisch wirkt. In wilden, assoziativen Bildern wird die Entstehung des Albums gezeigt, die Ideenfindung auf Haiti, die Proben und Konzerte.

Erkennbar ist ein unbedingter Kunstwille

Dazwischen raunen Bandmitglieder backstage etwas von ihrer Inspiration, und dann drehen sich die kreisenden Bilder schon wieder mitten im Publikum. So richtig greifbar ist "The Reflektor Tapes" also nicht, dafür fließt zu viel Bildmaterial durcheinander, muss die Konzentration gegenüber der Assoziation zu sehr zurückstecken. Da ist ein unbedingter Kunstwille erkennbar, ein Wunsch, zur Legende der Band beizutragen und ein wenig dazuzugehören. Allerdings in einer spontaneren und aufdringlicheren Weise als dies beispielsweise bei der Dokumentation "20 000 Days on Earth" über den australischen Musiker Nick Cave der Fall war.

Deswegen ist der Film weniger etwas für diejenigen, die gerade erst beginnen, Arcade Fire kennenzulernen, oder gar für alle, die mit ihrer Musik überhaupt nichts anfangen können. Er ist für die Fans. Für die zappelnden Indie-Traumtänzer, die schon 2004 zu "Wake Up" die Arme in Clubs nach oben reckten. Für jene, die die Band vom streichergeschwängerten "Funeral" über das orgelige "Neon Bible" und die Vorstadthymnen aus "The Suburbs" bis hin zu jenem letzten Album "Reflektor" treu begleiteten, bis in eine Zeit, in der alles Club hieß, was mit Musik zu tun hat. Was schon wieder passt, da Independent selten so zeitgemäß war wie heute.

Das Ausgefallene ist der Mainstream, der Rand die Mitte. Wenn die Bandmitglieder am Strand stehen und zu den schwappenden Wellen über neue Instrumentierungen sinnen, könnte man sich fast in den Spielfilm "Frank" versetzt sehen. Darin spielt Michael Fassbender den gleichnamigen Bandleader einer radikal-kreativen Truppe, die auf so ziemlich jedem verfügbaren Ding Musik zu machen versucht.

Und genau wie Frank den ganzen Tag einen Pappmaché-Kopf übergestülpt hat, hatten sich auch Arcade Fire zur Veröffentlichung von "Reflektor" mit überdimensionalen Glitzerhäuptern ausgestattet unter die Menge gewagt. Was unter der Pappe vorgeht, bleibt verborgen.

The Reflektor Tapes, Kanada 2015 - Regie: Kahlil Joseph. Kamera: Lol Crawley, Autumn Durald, Malik Hassan Sayeed. Schnitt: George Dutton. Arts Alliance, 75 Minuten.

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