Doku:Punk und Pinochet

Rodrigo "Rod" Gonzalez, Bassist der Band "Die Ärzte", reist in dieser Doku durch sein Heimatland Chile und erkundet die dortige Musikszene.

Von Rainer Gansera

Mit Nietzsche habe er sich ausgiebig befasst, zum Beispiel einen Kommentar zu "Also sprach Zarathustra" geschrieben. Wie eine Randnotiz erwähnt Eduardo Carrasco das. Ein zauberhafter Garten umgibt sein Haus am Rand von Santiago de Chile, sein Wohnzimmer mit den überquellenden Bücherregalen wirkt wie eine prächtige Philosophenklause. Der Gast aus Deutschland blickt sich mit staunenden Augen um, es entsteht ein beinahe ehrfürchtiger Moment. Denn der 75-jährige Carrasco ist nicht nur Philosophieprofessor, sondern auch Musiker und Mitbegründer der legendären Folkgruppe Quilapayún, die Salvador Allendes Partei Unidad Popular unterstützte. Beim Militärputsch von General Pinochet 1973 war er mit Quilapayún auf Tour in Frankreich, musste in Paris bleiben und konnte erst 1989 aus dem Exil zurückkehren.

Die Schatten der Vergangenheit sind in Nahuel Lopez' Dokumentarfilm immer gegenwärtig. Im Zentrum von "El Viaje" (Der Weg) steht Rodrigo "Rod" Gonzalez, Bassist der Band Die Ärzte, der sich auf eine Reise durch Chile begibt und sie mit persönlichen Erinnerungen beginnt: "Als Sechsjähriger musste ich nach Pinochets Putsch mit meinen Eltern flüchten und landete in Deutschland. Was mir aus meiner Kindheit in Chile blieb, waren Momentaufnahmen und verschwommene Bilder, vor allem aber der Canto Nuevo, die chilenische Musik." Rod will chilenische Musiker treffen und mit ihnen ein Album aufnehmen: von Protestsängern der Siebzigerjahre bis zu heutigen Bands und Liedermachern, die sich in der Traditionslinie des Canto Nuevo sehen.

Doku: Rodrigo "Rod" Gonzalez reist durch seine chilenische Heimat.

Rodrigo "Rod" Gonzalez reist durch seine chilenische Heimat.

(Foto: Mindjazz)

Zuerst besucht er den bärtigen Aldo "Macha" Asenjo, Frontmann von Chico Trujillo, mit dem er schon länger befreundet ist. Er lässt sich Empfehlungen geben, wen er kennenlernen müsse, und so entsteht die Reiseroute. Aber "El Viaje" bietet weit mehr als ein musikalisches Panorama. Die Neugier, mit der Rod seine Erkundungen vorantreibt, entfalten ein Kaleidoskop, in dem Milieus und Schicksale, die Geschichte und die aktuelle Stimmungslage des Landes spürbar werden. Manchmal blitzt das in zufällig eingefangenen Straßenszenen auf, dann wieder vertiefen sich die Eindrücke bei Gesprächen und Erinnerungen - alles eingebettet in einen locker fließenden Rhythmus, der Reportage und Reflexion, Poesie und Musik-Sessions verbindet.

An ein klappriges Schlagzeug setzt sich Rod in Valparaíso, um den melancholischen Liedermacher Chinoy bei einem Song zu begleiten. Die beiden besuchen Freunde in einer Punk-WG und Rod, verblüfft über die Szenerie, geht in seinem Kommentar hier einmal über seine ansonsten nüchternen Anmerkungen hinaus: "Erinnert mich an meine Punk-Zeit in den Achtzigerjahren in Barcelona. Überall so Zeug: Viecher, kaputte Sofas und antiautoritäre Parolen. Wie geil, dass es so etwas auch hier in Chile noch gibt!"

Trailer "El Viaje"

Ansonsten zeigt er sich bei den Gesprächen zurückhaltend: Die Musiker sollen zu Wort kommen. Er besucht Camila Moreno, Star der neuen Generation chilenischer Singer-Songwriter; er begleitet Aldo Asenjo zu einem Open-Air-Konzert, bei dem seine Band das Publikum in Volksfesttaumel versetzt; und er lässt sich das traditionelle Zupfinstrument Charango erklären, das wegen seiner Beliebtheit bei politisch oppositionellen Sängern während der Pinochet-Diktatur verboten war.

Eine besonders schöne Station der Reise ist der Besuch beim indigenen Volk der Mapuches, die ihr Misstrauen nur zögernd ablegen und dann vom Kampf um die Wiedergewinnung ihrer Ländereien erzählen. Am nachhaltigsten ist der Augenblick, in dem es bitter ernst wird, wenn Rod mit dem Sänger Eduardo Yañez das Fußballstadion von Santiago de Chile aufsucht. Also den Ort, an dem unmittelbar nach dem Pinochet-Putsch Oppositionelle zusammengetrieben und gefoltert wurden. Stockend erzählt der 69-Jährige von den Misshandlungen. Über dem Eingang der damaligen Gefängniszellen steht heute die Inschrift: "Ein Volk ohne Erinnerung ist ein Volk ohne Zukunft!"

El Viaje - Ein Musikfilm mit Rodrigo Gonzalez, Deutschland 2016 - Regie: Nahuel Lopez. Kamera: Florian Kirchler. Protagonist: Rodrigo Gonzalez. Mindjazz Pictures, 92 Minuten.

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