"I Am the Tigress" im Kino:Unter der Haut ein Wuchern

Lesezeit: 3 Min.

Tischa, "die Tigerin", ganz vorne rechts bei einem Bodybuilding-Wettbewerb. (Foto: Four Guys Verleih)

Ein Regisseur, der in Berlin ein Bordell für Sexroboter betreibt, dreht einen Dokumentarfilm über eine alternde Bodybuilderin: "I Am the Tigress" von Philipp Fussenegger erzählt von Utopien im tiefsten Höllenkreis des Körperkults.

Von Philipp Bovermann

Sie spricht mit der Kamera wie mit einem Spiegel, der nie gnädig ist, der immer mehr will, sie setzt sich Ziele, und wenn sie die Ziele erreicht hat, dann setzt sie sich neue. Sie dreht und wendet und prüft sich von allen Seiten. Eigentlich müsste der Kapitalismus stolz auf sie sein. Tischa, "die Tigerin", wie sie sich nennt, lebt streng nach den Lehren der Selbstoptimierung, die kritischen Stimmen zufolge eine Falle sein soll, die Falle der Selbstausbeutung. Aber wenn eine Tigerin in die Falle geht, wer hat dann das Problem? Die Tigerin oder die Falle?

Es kommt wohl auf die Größe der Falle an. "I Am the Tigress", ein Dokumentarfilm des jungen österreichischen Filmemachers Philipp Fussenegger in Co-Regie mit dem - übrigens hervorragenden - Kameramann Dino Osmanović, handelt von Größe. Das ist einerseits metaphorisch gemeint: Tischa marschiert mit erhobenem Haupt durchs Leben. Sie ist Bodybuilderin und als Frau mit Riesenmuskeln Ziel ständiger Kommentare auf der Straße, die sie mal besser, mal schlechter wegsteckt, von denen sie sich aber nie beirren lässt.

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Sie ist mit gerade einmal 47 Jahren eine liebende siebenfache Oma. Sie hält ihrer Tochter, die einen Regenschirm dabeihat, die Taxitür auf, während sie selbst im Regen steht, droht ihr zum Scherz Prügel an, lässt die Muskeln spielen, und bricht dann mit einer Kreditkarte in ihrem eigenen Haus ein, weil sie sich ausgesperrt hat. Tischa ist cool, sie ist groß. Aber der noch interessantere Sinn, in dem es in diesem Film um Größe geht, ist der buchstäbliche.

Tischas Körper sprengt jeden Rahmen

Größe fällt ja immer erst auf, wenn etwas größer ist als die Norm. Tischas Körper, fast den gesamten Film über leicht bekleidet, scheint aus allen Nähten zu platzen. Osmanovićs Kamera folgt ihm wie einem außerirdischen Objekt, das sich nicht richtig scharfstellen lässt - beim Training, beim Posen, beim Ausgehen mit ihrem treuen Kumpel, einem nuschelnden, alten Ex-Bodybuilder, verliert sich gelegentlich in den tanzenden Fleischmassiven ihres Rückens. Etwas Urzeitliches, Unmenschliches scheint daraus hervorzutreten - je länger man hinschaut, desto weniger sieht man Tischa. So als trete der Körper vor den Geist, um ihn zu verdunkeln. Dort, in der Finsternis, hört man die Tigerin fauchen.

Woher die Dunkelheit kommt, bleibt Tischas Geheimnis. Sie hat früher mehr als 130 Kilo gewogen, so erzählt sie es in einem der vertikal aufgenommenen Selfie-Motivationsvideos, die immer wieder den Film unterbrechen. "Kreation" sei das Schlüsselwort, sagt sie mit durchgedrücktem Kreuz, "du hast das erschaffen".

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Aber Tischa hört nicht auf, wo man aufzuhören hätte, um auf Instagram zu punkten. Perfekte Körper strahlen etwas Müheloses aus, ihrer hingegen ist weniger Ergebnis der Selbstoptimierung als vielmehr von ihr gezeichnet, eine wuchernde Allegorie der Qualen, die sich über Jahrtausende in weibliche Körper eingeschrieben haben. In einer der berührendsten Szenen posiert sie auf der Bühne des "Romania Muscle Fest" in Bukarest vor dessen trashigem, aus einer Burgsilhouette und zwei Wappenadlern bestehenden Riesenlogo - eine komplizierte Muskelkreation im Glitzer-BH von einem fremden, wärmeren Planeten, extra angereist für die Punktwertungen irgendwelcher Männer. Ihre Vorbereitung hat sie trotz eines Mageninfekts durchgezogen. Nach dem Auftritt legt sie sich mit ihrer Jacke als Unterlage auf den Hallenboden, immer noch in dieser absurden Glitzerunterwäsche. Ihr Bauch hebt und senkt sich. Sie kriegt nur sechs Punkte.

Die schwarze Haut verschwindet unter der Bronzefarbe

Es rauscht hinter diesen Bildern. Etwa wenn ein Mann in einer Plastikkabine sie vor einem Wettbewerb mit bronzener "Posing-Farbe" besprüht. Die Szene erinnert an Vieh, das für den Markt zurechtgemacht wird. Man schämt sich für den Gedanken, denn er hat mit ihrer schwarzen Hautfarbe zu tun. Schließlich war es die Muskelkraft, deretwegen die Kolonialisten Menschen entführten und versklavten. Der Geist sollte gebrochen werden und nur der Körper übrig bleiben, idealerweise der männliche. Ein Körper, der arbeitet und funktioniert, ohne etwas Weiches daran. Weich ist wertlos.

Erschöpft in Bukarest: Tischa hat den Wettbewerb trotz eines Mageninfekts durchgezogen. (Foto: Four Guys Verleih)

Aber man sollte sich nicht täuschen, nicht in Tischa und nicht in diesem Film: Den Körper, auf den sie hinarbeitet, versteht sie als Kunst, das sagt Tischa ganz klar. Regisseur Philipp Fussenegger wiederum ist Teil einer Berliner Undergroundkultur rund um spielerischen, experimentellen Sex. Er betreibt dort, kein Witz, ein Bordell für Sexroboter - und vielleicht hilft der Cyborg als Denkfigur, um den Tiger in der Dunkelheit zu fassen zu bekommen. Nämlich in den kalt glänzenden Momenten der Ekstase, wenn alle angebliche Natürlichkeit beseitigt ist.

Tischas Routinen sind immer wieder Vorbereitung dafür. Sie rasiert sich den Bart, der ihr wegen der Muskelaufbau-Hormone wächst. Sie zieht sich die Perücke mit dem Zopf über den kahlen Schädel und die glitzernde Unterwäsche an, die absurden Requisiten ihrer Weiblichkeit. Die schwarze Haut verschwindet unter der schimmernden Bronzefarbe. Die Tigerin betritt die Bühne, lächelnd. Die Geschichte, aus der ihr Körper hervorgegangen ist, die soziale Ordnung, die sich darin spiegelt, ist versiegelt unter einer Glanzschicht, scheint unter der Haut zu pulsieren und aus ihr hervorbrechen zu wollen. Kameras klicken. Tischa spannt die Muskeln an.

I Am the Tigress , Deutschland, USA, Österreich 2021 - Regie: Philipp Fussenegger, Dino Osmanović. Kamera: Dino Osmanović. Musik: Mario Batkovic. Verleih: Four Guys, 80 Minuten. Kinostart: 14.4.2022.

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