"Doktor Schiwago" und die CIA:Das Imperium schlägt zurück

Ein russisches Buch belegt: Die CIA finanzierte Boris Pasternaks Roman "Doktor Schiwago", um ihm den Literaturnobelpreis zu ermöglichen. Ein Raub aus dem Flugzeug und der Krieg der Bücher.

Sonja Zekri

Malta, Herbst 1956. Ein Flugzeug auf dem Weg von Mailand nach Rom. Der Pilot muss zwischenlanden, in Malta. Die Passagiere drängeln sich in die Abflughalle, ein paar Männer aber huschen über das Rollfeld, zum Flieger. Sie suchen einen Koffer (ein Paket? einen Luftpostbrief?), aus dem sie eine Mappe mit einem handschriftlichen russischen Manuskript ziehen, aufgegeben vom italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli an seinen Übersetzer. Heimlich bringen die Männer es in ein Büro, heimlich fotografieren sie den Stapel. Es sind 600 Seiten. Es dauert zwei Stunden. Dann legen sie den Koffer (das Paket, den Luftpostbrief) zurück. Die Passagiere steigen ein. Nichts ist geschehen. Nur der Lauf der Literaturgeschichte hat eine jähe Wendung genommen: Der amerikanische Geheimdienst (der englische? der holländische?) hat Boris Pasternaks Roman "Doktor Schiwago" gestohlen.

"Doktor Schiwago" und die CIA: Druck aus der russischen Heimat: Den Literaturnobelpreis für "Doktor Schiwago" musste Boris Pasternak zurückgeben.

Druck aus der russischen Heimat: Den Literaturnobelpreis für "Doktor Schiwago" musste Boris Pasternak zurückgeben.

(Foto: Foto: ap)

Vielleicht hat es sich wirklich so abgespielt, mit dieser smileyhaften Präzision. Der russische Journalist Iwan Tolstoi hat die Geschichte jedenfalls dreimal gehört: von Isaiah Berlin, der in den Fünfzigern britischer Diplomat war; vom Sohn eines russischen Verlegers; und von Feltrinellis Sohn Carlo. Der Coup auf Malta ist die Schlüsselszene in Iwan Tolstois soeben erschienenem Buch "Pasternaks gewaschener Roman" (Verlag Wremja, Moskau 2009) und der Schlussstein seiner Hypothese: Dass die CIA die russische Erstausgabe von Pasternaks Revolutionsepos im Westen finanzierte und so die Verleihung des Nobelpreises an den Russen im Jahr 1958 ermöglichte.

Im Frühjahr hatte Albert Camus Pasternak nominiert, Voraussetzung für die Auszeichnung aber war eine Veröffentlichung in der Originalsprache. Und die war in der Sowjetunion so wahrscheinlich wie eine Totenmesse für Lenin. Die Liebesgeschichte des Arztes Juri Schiwago und der Krankenschwester Lara, giftete die Zeitschrift Nowyj Mir im September 1956, kranke am "pathologischen Individualismus" des Helden und lasse erkennen, dass der Autor die Revolution für einen "Fehler" halte.

Ein schöneres Empfehlungsschreiben für die CIA war nicht denkbar.

"Die Amerikaner wollten dem Kreml eine Ohrfeige verpassen. Chruschtschow hatte nach dem Tod Stalins einen neuen Kurs angekündigt", sagt Tolstoi am Telefon aus Prag: "Aber die Amerikaner dachten sich: Wir werden der westlichen Linken schon zeigen, was das für eine Freiheit ist! Sie wollten unbedingt einen verbotenen Schriftsteller herausbringen. Sie hatten an Sinjawski gedacht, aber den kannte kein Mensch." Dann stießen sie auf "Doktor Schiwago".

Der Verleger Giangiacomo Feltrinelli hatte im Mai 1956 von Pasternak in Peredelkino bei Moskau eine Abschrift gekauft. Pasternak brauchte Geld, er wünschte sich Leser und verteilte "Schiwago"-Manuskripte an alle Welt, an Feltrinelli, an Isaiah Berlin und französische Slawisten. 1957 kursierten fünf "Schiwagos" zwischen Warschau und Paris. Es war kein Literaturschmuggel, kein kleinkalibriger Samisdat, Pasternak betrieb die globale Vermarktung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Einfluss die CIA auf die Verleihung des Literaturnobelpreises hatte.

Das Imperium schlägt zurück

Feltrinelli druckte eine italienische Ausgabe, aber was war mit der russischen? Die Frage brachte Feltrinelli, den Verleger, Kommunisten und rastlosen Revolutionär, in Nöte. Mit einem italienischen "Schiwago" wollte Feltrinelli dem Westen die Größe sowjetischer Literatur vor Augen führen, so Tolstoi: "Eine russische Ausgabe aber hätte bedeutet, dass er sich mit Moskau anlegt, mit dem Kommunismus selbst. Das war eine andere Liga." Dazu kam das Copyright: Feltrinelli hatte Pasternak zwar die Rechte für die weltweite Vermarktung abgekauft, aber er besaß nur eine unkorrigierte Fassung. Und Pasternak hatte in einem Brief erklärt, dass eine russische Ausgabe nur von jener fehlerfreien Version veröffentlicht werden dürfte, die er der Französin Jacqueline de Proyart gegeben hatte.

Feltrinelli stand vor einem Dilemma. Die CIA löste es in Malta.

Literarische Kriegsführung

Tolstois Buch führt zurück in eine Zeit, als der Feind noch erkennbar und Bücher Waffen waren, in ein Universum großer Ideale und noch größeren Verrats. Die Welt war eine Arena für das Kräftemessen der Dienste, die einander unterwanderten, umdrehten und so sehr hassten, wie sie sich ähnelten. In den Siebzigern und Achtzigern finanzierte die CIA im Westen Literaturkontore, betrieben von russischen Emigranten, die halbe Auflagen russischer Exil-Verlage abnahmen und kostenlos an sowjetische Touristen abgaben. "Da habe ich selbst eingekauft", erzählt Iwan Tolstoi: "Es gab alles, was in der Sowjetunion verboten war - Sacharow, Lermontow, Erotisches von Puschkin". Im titanischen Ringen der Ideen war kein Wort zu gering. Am Beginn dieser literarischen Kriegsführung aber stand "Doktor Schiwago".

Nach dem Raub von Malta schickte die CIA je eine Schiwago-Kopie nach Amerika und eine nach Deutschland, ließ das Buch in München in einem Emigranten-Verlag setzen und sandte die Vorlage nach Den Haag, zum Wissenschaftsverlag Mouton. So hat es der holländische Agent Joop van der Wilden einem holländischen Historiker berichtet. 10 000 Dollar zahlten die Amerikaner für den Druck, gegen Quittung erstatteten sie sogar die Kosten für den Laster, mit dem van der Wilden die Bücher abholte.

Raubkopie mit falschem Namen

In letzter Sekunde war noch Feltrinelli nach Den Haag gedonnert in seinem blauen Buick, hatte mit einer Klage gedroht und wollte wissen, wie, verdammt, seine "Schiwago"-Variante überhaupt nach Holland gekommen war. Die Holländer stellten sich stur, sprachen von einem privaten, sehr lukrativen Auftrag. Und Feltrinelli entschied, wenn schon eine Raubkopie veröffentlicht werden sollte, dann unter seinem Namen. So druckte Mouton den ersten russischen "Schiwago" in einer Auflage von 1160 Exemplaren im dunkelblauen Cover mit goldener Prägung und einer bibliographischen Angabe - "Feltrinelli, Mailand, 1958" -, an der außer der Jahreszahl nichts stimmte, nicht mal die Umschrift von Feltrinellis Namen ins Russische.

Heute kostet ein Exemplar dieses ersten russischen "Schiwago" 900 Euro. Iwan Tolstois Vater aber, ein Arzt, brachte damals aus Brüssel ein druckfrisches Exemplar für einen Pappenstiel mit nach Russland. Im September 1958 lag das Buch auf der Weltausstellung aus, gegenüber dem gigantischen Komplex der Sowjets, vor dem Pavillon des Vatikans. Pasternak im fernen Peredelkino war überglücklich. Weder er, noch Feltrinelli, noch Mouton wussten etwas von der CIA. Eine russische Ausgabe erschien in Moskau erst zur Zeit der Perestroika.

Selbstmörderisch mutig

Iwan Tolstoi, entfernt verwandt mit dem Leo Tolstoi, ist Redakteur für Radio Liberty in Prag und hat zwanzig Jahre lang Material über Pasternak gesammelt, Interviews geführt, Memoiren, Verlagsunterlagen und Briefe ausgewertet. In seinem Buch belegt er, was sich belegen lässt, und kreist die verbliebenen weißen Flecken ein. Stockholm ist ein besonders großer Fleck. Hat die CIA, so grübelten unlängst russische Medien, die Auszeichnung Pasternaks nicht nur ermöglicht, sondern auch beeinflusst? Van der Wilden behauptet, im August 1958 habe ihm die CIA erklärt, sie habe "ihren Mann" in Stockholm. Spanische Medien spekulieren nun, wer das sein könnte: UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, Mitglied der Schwedischen Akademie? "Er hätte es tun können, er sympathisierte mit der Idee, einem unterdrückten Künstler zu helfen", sagt Tolstoi: "Es ist plausibel. Sicher ist es nicht."

Als die Schwedische Akademie Pasternak am 23. Oktober 1958 den Literaturnobelpreis zuspricht, ist dieser erst ergriffen, dann betäubt. Ihn trifft die volle Wucht der Sowjetmacht. Die Prawda schmäht ihn als "Stümper", seinen Roman als "Schmutzfleck der sozialistischen Gesellschaft". Sollte er nur einen Funken Anstand im Leib haben, müsse er den Preis zurückgeben. Pasternak rechnet mit seinem Ausschluss aus dem Schriftstellerverband und schreibt den Kollegen einen selbstmörderisch mutigen Brief: "Sie können mich erschießen, verbannen, tun, was Sie wollen. Ich verzeihe Ihnen schon jetzt. Aber übereilen Sie nichts. Es wird Ihnen kein Glück und keinen Ruhm bringen. Sie wissen, dass Sie mich ohnehin wieder rehabilitieren müssen. Bei Ihrer Praxis ist das ja nicht das erste Mal." Es nützt nichts. Er muss den Preis zurückgeben, wird aus dem Verband ausgeschlossen. Seine Popularität bewahrt ihn vor Schlimmerem.

In Italien, so schreibt ihm Feltrinelli, verkaufe sich sein Roman zehntausendfach. Während aber in Peredelkino Berge von Leserbriefen eintreffen, setzen bolschewistische Blätter eine letzte ungeheuerliche Behauptung in die Welt: "Doktor Schiwago", schreiben sie, sei vom CIA finanziert.

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