Documenta:Eindeutig disqualifiziert

Documenta: Der Vertrag von Sabine Schormann, bislang Generaldirektorin der Documenta, soll "kurzfristig" beendet werden, heißt es.

Der Vertrag von Sabine Schormann, bislang Generaldirektorin der Documenta, soll "kurzfristig" beendet werden, heißt es.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Endlich steht fest: Sabine Schormann wird als Generaldirektorin der Documenta abgelöst. Sie und die Politik hinterlassen ein Chaos, das nur schwer aufzuräumen sein wird.

Von Jörg Häntzschel

Vier Wochen nachdem die Documenta in Kassel in die schwerste Krise ihrer Geschichte gestürzt ist, wird die Generaldirektorin der Schau, Sabine Schormann, abgelöst. Am Freitagabend traf sich der Aufsichtsrat der Documenta zu einer Sitzung, die sechs Stunden gedauert haben soll. Am Samstagnachmittag wurde das Ergebnis dann schließlich verkündet: Man habe sich "einvernehmlich" darauf verständigt, Schormanns Vertrag "kurzfristig" zu beenden. Damit wird nun endlich der Schritt vollzogen, der seit der Entdeckung der antisemitischen Karikaturen auf dem Großbanner "People's Justice" vom indonesischen Kollektiv Taring Padi nahezu jedem unvermeidlich erschien - außer Schormann selbst und Kassels Bürgermeister Christian Geselle. Schon seit Januar war über vermeintlich israelfeindliche oder gar antisemitische Tendenzen bei den Kuratoren spekuliert worden. Schormann hatte damals versprochen, Antisemitismus werde es auf der Documenta nicht geben. Dann gab es ihn doch. Eindeutiger hätte sie sich nicht disqualifizieren können.

Und dennoch, trotz des Ernsts der Lage, hat die Sitzung vom Freitag kaum Klarheit gebracht. Selbst der Rückzug Schormanns wird in dem Statement nur angekündigt, er scheint noch nicht vollzogen zu sein. Sie soll offenbar im Amt bleiben, bis Ersatz gefunden ist ("Zunächst wird eine Interimsnachfolge angestrebt"). Dass Geselle, der Aufsichtsratsvorsitzende, und seine Vize, Hessens Kunstministerin Angela Dorn, am Freitag keinen Namen nennen konnten, obwohl die Misere bereits einen Monat dauert, sagt einiges über deren Vorstellung von Krisenmanagement.

Ein Drittel der Gesamtdauer der Documenta ist bereits unter dem Donnergrollen des Skandals verstrichen. Ein gefährlicher Erosionsprozess ist längst im Gange, seit der zunächst um Hilfe gebetene, dann sitzen gelassene Meron Mendel als Berater in Antisemitismusfragen aufgab und die prominenteste Künstlerin der Schau, Hito Steyerl, ihre Werke aus der Schau entfernen ließ. Dennoch nehmen sich die Verantwortlichen weiter Zeit. Und wie schon in den letzten vier Wochen wollen sie dabei von lästigen Fragen bitte verschont werden. "Öffentliche Statements" werde es "zunächst nicht geben", "die interne Kommunikation" stehe "im Vordergrund". Die mit 25 Millionen Euro an Steuergeldern finanzierte "Weltkunstschau" wird geführt wie ein Privatmuseum.

Solange die Führungsfrage nicht geklärt ist, wird nichts passieren

Auch was die Antisemitismusfälle in der Ausstellung angeht, bleibt das Statement des Aufsichtsrats beim wohlklingenden aber, nebulösen Lied von "Aufklärung", "Aufarbeitung" und Zurückgewinnen von "Vertrauen". Konkrete Schritte, Namen, Maßnahmen werden nicht genannt. Solange die Führungsfrage nicht geklärt ist, wird nichts passieren.

Die Probleme der documenta fifteen sind teils viele Jahre alt. Sie begannen damit, dass der Bund im zwölfköpfigen Aufsichtsrat nur zwei Sitze besaß, während die restlichen zehn Sitze von zumeist fachfremden Lokal- und Landespolitikern besetzt sind. Frustriert über den mangelnden Einfluss verließ der Bund das Gremium - ein Schritt, den Kulturstaatsministerin Claudia Roth im Zuge einer umfassenden Reform rückgängig machen will.

Der Aufsichtsrat war mutig genug, die nun gerne verdammte Entscheidung seiner Findungskommission zu unterstützen, die Documenta dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa zu unterstellen. Doch dann kümmerte er sich nicht darum, die Strukturen zu schaffen, in denen Ruangrupa hätten erfolgreich arbeiten können. Schormann wurde zwar mit dem Titel "Generaldirektorin" geschmückt, hat sich aber nur für Organisation und Finanzen zuständig gefühlt. So waren die indonesischen Kuratoren weitgehend alleingelassen mit der Aufgabe, das Kulturflaggschiff Documenta durch die ihnen fremden, aufgepeitschten deutschen Gewässer zu lenken - kein Wunder, dass sie auf Grund liefen.

Es brauchte zwei: einen, der in die Falle reinläuft - und eine, die reinlaufen lässt

Dass Schormann ihre Nicht-Aufsicht wieder und wieder mit der "Kunstfreiheit" rechtfertigte, ist Heuchelei. Kunst ist kein Spiel von Autisten, sondern hat sehr viel mit Kommunikation zu tun, das gilt nirgends mehr als auf der documenta fifteen. Doch Kommunikation ist nur möglich, wenn man sich auf sein Gegenüber einstellt. Dass Ruangrupa sich nicht genauer informierten, dass sie den Kontrollverlust zum Prinzip erklärten und weder wussten, was da mitten auf dem Friedrichsplatz aufgehängt wurde, noch es als antisemitisch erkannten, zeugt von erstaunlicher Naivität. Doch Schormann hätte sie nie in diese Falle laufen lassen dürfen, nicht zuletzt aus Verantwortung für die Documenta.

Ebenso unverzeihlich ist, dass sie auch vier Wochen nach dem Entfernen von "People's Justice" keine Schritte unternommen hat, um zwei andere problematische Werke von Fachleuten bewerten zu lassen, sie entweder aus der Ausstellung zu nehmen oder deren Inhalt für die Besucher plausibel zu erklären. Stattdessen hoffte sie, den Skandal auszusitzen, beantwortete wochenlang das Telefon nicht, bagatellisierte die Probleme, schwärzte Mitarbeiter, Kuratoren, sogar die Kulturstaatsministerin für ihre eigenen Versäumnisse an. So konnten Stimmen immer lauter werden, die nicht nur die gesamte Documenta, sondern auch weitere Institutionen unter pauschalen Antisemitismusverdacht stellten.

Umso schwerer wird es nun sein, jemanden zu finden, der willens und in der Lage ist, in den nur zwei verbliebenen Monaten das Chaos, das Schormann hinterlassen hat, aufzuräumen.

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