Documenta:Hinter den Propaganda-Filmen in Kassel steht ein Ex-Terrorist und RAF-Freund

Lesezeit: 3 Min.

Logo der documenta am Fridericianum. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Auf der Documenta verbreitet eine Künstlergruppe pro-palästinensische Propagandafilme aus den Siebzigern. Den Anstoß für ihr Projekt gab ein japanischer RAF-Freund und früherer Kader einer antiisraelischen Terrororganisation.

Von Kia Vahland

Auf der Documenta sind viele großartige, konstruktive und weltoffene Werke zu sehen. Aber es gibt auch einige Arbeiten, bei denen man sich fragt, wie so etwas passieren konnte: Sie zielen nicht auf Dialog, sondern auf Propaganda-Effekte.

Besonders problematisch sind Filmarbeiten des Kollektivs Subversive Films aus Brüssel und Ramallah, zu sehen an den Documenta-Spielorten Hübner-Areal und Gloria-Kino unter dem Namen Tokyo Reels Film Festival. Das Künstlerkollektiv um Mohanad Yaqubi und Reem Shillem traf sich, wie sie auf der Website der Documenta schreiben, vor dem Projekt mit dem japanischen Agit Prop-Filmemacher und ehemaligem Mitglied von Terrororganisationen Masao Adachi, dies war demnach der Ausgangspunkt ihres Projekts. Danach erhielten sie Filme aus den Siebzigern diverser Regisseure mit Propaganda auch für die palästinensische Sache.

Die Gruppe bezieht sich auf einen Kader bei der terroristischen Japanischen Roten Armee

Der 1939 geborene Adachi war lange führender Kader der Japanischen Roten Armee. Diese trainierte in den Siebzigerjahren im Libanon für einen "revolutionären Krieg". Die Terrorgruppe verübte eine Reihe von Anschlägen in etlichen Ländern, darunter den Anschlag auf den Flughafen in Tel Aviv am 30. Mai 1972. Dabei starben 26 Menschen, 80 wurden verletzt. Die Sicherheitskräfte hatten nicht mit japanisch aussehenden Angreifern gerechnet.

Adachi hat sich der Japanischen Roten Armee 1974 im Libanon angeschlossen. 23 Jahre lang verantwortete er die internationalen Beziehungen der Terrorvereinigung, die in engem Kontakt mit der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) stand. So lernte er auch Mitglieder der westdeutschen Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) kennen. Deren Positionen zu Israel konnte er "gut verstehen", sagte er einmal in einem Interview.

In den späten Achtzigerjahren soll er unter dem Decknamen Bruno IM der ostdeutschen Stasi gewesen sein, was er als "Märchen" bezeichnet. 1997 wurde Adachi in Beirut verhaftet, 2001 nach Japan ausgeliefert und wegen eines Passvergehens verurteilt.

Die Documenta-Künstler erhielten vermutlich von Adachi selbst oder aus seinem weiteren Umkreis die umfangreiche Sammlung von 16-Milimeter-Filmen und Videokassetten mit Filmen diverser Autoren und anderen Dokumenten aus den Siebzigerjahren. Die Filme restaurierten sie aufwändig und untertitelten sie für die Kunstschau in Kassel.

Problematisch sind die Werke nicht, weil sie die palästinensische Binnenperspektive einnähmen - das tun sie gerade nicht. Zu sehen ist Propaganda, und zwar eine in Demokratien gewachsene. In einem heute unfassbaren Revolutionskitsch werden etwa wild geschnittene Bilder aus US-Western assoziiert mit den Palästinensern, diese also implizit als moralisch angeblich überlegene Ureinwohner verherrlicht. Was ein vergiftetes Kompliment ist, transportiert es doch alle Stereotypen vom edlen Wilden und läuft damit der Intention der Documenta entgegen, Menschen des globalen Südens eine Stimme zu geben.

Es geht auch um andere Staaten der Region wie Kuwait, stets realitätsfern. Kameraführung und die Wahl der Protagonisten sind nicht dokumentarisch, sondern es wird drauflos inszeniert, möglichst glorreich. Diverse eher antiisraelische politische Organisationen scheinen etliche der Filme gefördert zu haben.

Den Film "The Urgent Call of Palestine" hat der damalige Direktor der PLO-Organisation für Kunst und Nationale Kultur Ismail Shammout verantwortet. Es zeigt die Sängerin Zeinab Shaath, wie sie auf Englisch singt, die Alternative zum Kämpfen sei der Tod. Andere Filmausschnitte preisen die japanischen Unterstützer palästinensischer Kämpfer wie eine schlechte Dauerwerbesendung.

Es hätte ein aufklärerisches Projekt werden können. Das Gegenteil ist der Fall

Das Kollektiv beruft sich auf den Archivgedanken, es will bewahren. Wer aber in die Werke hereinschaut, bekommt den Eindruck, dass die Künstler auf der Documenta auch eine neue radikale Unterstützerwelle für Palästinenser initiieren möchten.

Zeinab Shaath, auf Englisch singend: Screenshot des Films "The Urgent Call of Palestine" von Ismail Shammout (1973). (Foto: Screenshot/Vimeo)

Denn die Kommentierung bleibt minimal. Es geht den Documenta-Teilnehmern offensichtlich nicht darum, die Propaganda zu entlarven und Möchtegern-Revoluzzern in den Industrieländern den Spiegel vorzuhalten, wie sie schon vor einem halben Jahrhundert ihre Wünsche nach erhabener Ursprünglichkeit auf die Palästinenser projiziert und dabei Ressentiments geschürt und Terror gegen Israel in Kauf genommen haben. Das wäre ein aufklärerisches Projekt gewesen. Es hätte zu einem wirklichen Dialog führen können mit den Documenta-Gästen aus Europa. Und zu einem Nachdenken über deren eigene, lange gewachsene ideologische Verstrickungen im Nahostkonflikt.

Das aber wurde verpasst. Und da fragt sich dann doch, ob das Oberkollektiv Ruangrupa kuratiert, also die Arbeiten mit ausgewählt und begleitet hat. Wenn ja, haben sie diese Propaganda so gewollt. Und wenn nein: ist es ohnehin ein Fehler.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivDocumenta in Kassel
:Mitten ins Herz

Im Zentrum der Weltkunstschau Documenta steht ein riesiges Banner des indonesischen Underground-Kollektivs Taring Padi, das massiv antisemitische Motive zeigt. Aufgehängt wurde es rätselhaft spät, jetzt wird es in Teilen abgedeckt.

Von Jörg Häntzschel, Catrin Lorch und Nele Pollatschek

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: