Gescheiterte Aufarbeitung bei der Documenta:"Das kann ich nicht mehr mittragen"

Gescheiterte Aufarbeitung bei der Documenta: Hat genug: Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank.

Hat genug: Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank.

(Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Die Documenta gerät ins Rutschen. Meron Mendel wirft als Antisemitismus-Berater hin, bevor die Arbeit begonnen hat, die bekannte Künstlerin Hito Steyerl zieht ihr Werk zurück.

Von Jörg Häntzschel

Meron Mendel war so etwas wie die letzte Hoffnung für die Documenta. Mit diesem aufgeschlossenen und fachlich renommierten Mann, er leitet die Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, hätte es gelingen können, den Skandal um die antisemitischen Darstellungen auf dem Großbanner "People's Justice" aufzuarbeiten und von der Ausstellung zu retten, was zu retten ist.

Doch nun hat die Generalsekretärin der Documenta, Sabine Schormann, auch ihn verprellt, den wohl einzigen prominenten Vertreter der jüdischen Community, der trotz des Vorgefallenen unbeirrt an den Dialog und auch an die Documenta glaubte. In einem am Freitag erschienenen Interview mit dem Spiegel erklärte Mendel, er stehe als Berater für Schormann nicht mehr zur Verfügung. Wie es zu dieser Entscheidung kam, beschreibt er im Gespräch mit der SZ.

Sie brüstete sich mit dem Antisemitismusexperten, doch verweigerte ihm das Gespräch

Als die antisemitischen Karikaturen auf dem Großbild des Kollektivs Taring Padi entdeckt worden waren, stand Schormann unter täglich wachsendem Druck. Die Öffentlichkeit forderte von ihr nicht nur eine Erklärung, warum das Bild hatte aufgehängt werden können, sie erwartete auch eine Strategie, wie es nun weitergehen könne. Hilfesuchend wandte sich Schormann an Mendel und fragte, ob er bereit sei, mit anderen Experten die Ausstellung nach weiteren antisemitischen oder israelfeindlichen Werken abzusuchen. Mendel sagte sofort zu. Nur Stunden später veröffentlichte Schormann auf der Website der Documenta ein Statement, in dem sie eigene Schuld von sich wies und mit großer Geste Aufklärung versprach:

"Aufgrund der möglichen Versäumnisse der Verantwortlichen lassen wir nun die ... Ausstellung auf weitere kritische Werke hin begutachten." Unterstützt werde die Documenta dabei von "anerkannten Expert*innen wie Meron Mendel". Auch in einem Interview mit der Hessischen Allgemeinen gab sie sich zupackend: "Wir untersuchen jetzt systematisch die Ausstellung darauf, ob weitere kritische Werke auftauchen. Dabei wird auch Ruangrupa seiner kuratorischen Aufgabe gerecht werden müssen." Wieder verwies sie auf Mendel als renommierten fachlichen Beistand.

Und dann wartete Mendel. Und wartete. Auf Gespräche mit Schormann, auf Treffen mit Ruangrupa, auf ein Konzept, wie diese Arbeit schnell organisiert werden könne. Er schickte Schormann Textnachrichten, er rief sie immer wieder an - keine Reaktion. Während sie sich in der Öffentlichkeit damit brüstete, die Unterstützung des anerkannten Antisemitismusexperten gewonnen zu haben, verweigerte sie hinter den Kulissen hartnäckig die Zusammenarbeit, um die sie ihn gebeten und die er zugesichert hatte.

Am vergangenen Freitag hatte Mendel genug. Er stellte Schormann per Voicemail ein Ultimatum. Wenn er bis Montag nichts höre, stehe er nicht mehr zur Verfügung. Einzige Reaktion war, so Mendel, der Anruf einer Mitarbeiterin Schormanns, die aber nur Vages zu der geplanten Arbeit zu sagen hatte. Am Montag sagte Mendel Schormann schließlich ab, ohne die Tür aber ganz zuzuwerfen.

"Für mich ist das eine neokoloniale Verhaltensweise. Die Vertreter von Ruangrupa werden behandelt wie kleine Kinder."

Als Schormann am Mittwoch nicht zu einer Anhörung im Kulturausschuss des Bundestags erschien, erklärte sie dies mit hohem Fieber. In den Mails, die Mendel aus ihrem Büro erhielt, war davon aber keine Rede. Erst am Donnerstagabend kam wieder Post. Kein Wort des Bedauerns, dafür eine halbe Seite mit einem Zeitplan, "ein sehr rudimentäres Dokument", sagt er, "etwas, das jemand in zehn Minuten runtergeschrieben hat". "Ich interpretiere das als Gleichgültigkeit", sagt er, und vermutet, Schormann wolle die Aufarbeitung so lange aufschieben, bis Gras über die Sache gewachsen sei. "Das kann ich nicht mehr mittragen." Auf Bitten der SZ um eine Stellungnahme am Freitag hat Schormann - wie auch auf alle Anfragen in den vergangenen Wochen - nicht reagiert.

Schormann hat nicht nur selbst das Gespräch verweigert, sondern nach Mendels Darstellung auch alles unternommen, um ein Treffen von ihm mit Ruangrupa zu verhindern, obwohl sie das Kollektiv seit dem Skandal als allein zuständig für die künstlerische Arbeit bezeichnet. Die Documenta-Leitung war anfangs sogar strikt dagegen, dass Vertreter von Ruangrupa zu der Podiumsdiskussion eingeladen werden, die Mendel am Mittwoch vergangener Woche organisiert hat. Erst als Mendel damit drohte, die Veranstaltung platzen zu lassen, gab sie nach. Nur über private Kontakte ist es ihm inzwischen gelungen, mit einem Vertreter des verunsicherten und durch die Documenta-Leitung abgeschirmten Kollektivs zu sprechen. "Für mich ist das eine neokoloniale Verhaltensweise. Sie werden behandelt wie kleine Kinder."

Die jüngste Wendung ist umso tragischer, als Schormann und die Documenta Mendel gerade nicht als Inquisitor hätten fürchten müssen. Nach seinen privaten Besuchen auf der Ausstellung war er sehr angetan. Und für die bekannten zwei problematischen Arbeiten - "Guernica Gaza" und die weiterhin gezeigten Filme von "Subversive Film" - kann er sich eine Vielzahl von Lösungen vorstellen, die nicht unbedingt das Entfernen der Kunstwerke beinhalten: auch mit "kleinen Interventionen", mit "Kontextualisierung" lasse sich schon viel erreichen, so Mendel. "Zwischen Zensur und Nichtstun gibt es große Handlungsspielräume." Schormann hat sich dennoch fürs Nichtstun entschieden. Dass sie damit nicht nur die Öffentlichkeit, die Politik und die jüdische Gemeinde gegen sich aufbringt, sondern auch die eigenen Künstler, das zeigte sich ebenfalls am Freitag. Hito Steyerl, eine der bekanntesten auf der Documenta vertretenen Künstlerinnen, hat die Ausstellungsleitung darum gebeten, ihr Werk abzubauen, so berichtet die Zeit. Sie kritisierte die Weigerung der Verantwortlichen, eine nachhaltige Debatte rund um die Ausstellung zu ermöglichen, und die "faktische Weigerung, Vermittlung zu akzeptieren". Sie wolle die mangelnde Kontrolle über "antisemitische Inhalte, die auf der documenta fifteen an ihrem zentralen Ort gezeigt wurden, nicht unterstützen", so Steyerl.

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