Documenta 14 eröffnet in Kassel:Das sind die Highlights der Documenta 14

Ein Tempel aus Büchern, singende Mönche und ein rekonstruiertes NSU-Verbrechen - an diesen zehn Werken führt beim größten Kunstereignis der Gegenwart kein Weg vorbei.

Von Catrin Lorch

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Marta Minujín:"The Parthenon of Books"

Documenta 14 Kassel "The Parthenon of Books" von Marta Minujín

Quelle: Roman März

Vor den gewaltigen Säulen stehen die Leute immer noch an auf dem Friedrichsplatz in Kassels Zentrum. Sie haben Bücher mitgebracht, die sie, eins nach dem anderen, durch ein Einwurf in die Kisten stecken, auf denen zu Spenden für diesen Tempel aufgerufen wird. Gut 100 000 Bücher müssen zusammen kommen, damit die beiden Giebel, die Säulen, das Gebälk dieser exakten Kopie des Akropolis-Tempels ganz mit Büchern bedeckt sind. Während die Nordseite schon mächtig auftrumpft, fehlen im Süden noch Bücher. Doch bis zum Ende der Documenta 14 im September sollen alle Lücken geschlossen sein. Die Bürger von Kassel haben sich das gewaltige Projekt "Parthenon of Books" der Künstlerin Marta Minujin zu eigen gemacht, schließlich soll das Wahrzeichen der D14 gelingen, an dem auch Wissenschaftler arbeiten. Denn nur Bücher, die irgendwo auf der Welt zensiert waren, dürfen auf der Baustelle verwendet werden. Darunter sind allerdings nicht nur - wie zu erwarten - Literatur aus der ehemaligen Sowjetunion und die Werke, die bei den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten ins Feuer geworfen wurden, sondern auch Mickey Mouse (in der DDR verboten) und russischsprachige Ausgaben von Harry Potter. Als sie ihren Tempel kurz nach dem Ende der Junta-Regierung im Jahr 1983 in Argentinien bestückte, hoffte die Welt, dass Zensur bald der Vergangenheit angehören würde - doch gerade in diesen Wochen kommen noch eine Menge türkische Titel auf die Liste der verbotenen Bücher. Marta Minujin plant übrigens schon an der nächsten Version ihres Tempels. Er soll in Moskau installiert werden, auf dem Roten Platz - und das jetzige Parthenon in seiner Größe noch einmal glatt verdoppeln.

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Forensic Architecture:"77sqm_9:26min"

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Quelle: Documenta

Eines der größten Projekte der Documenta 14 spiegelt sich in dem Film "77sqm_9:26min". Er fasst die "Gegen-Ermittlungen" der Londoner Gruppe "Forensic Architecture" zusammen, die sich, elf Jahre nach dem NSU-Mord an Halit Yozgat, noch einmal mit dem Fall beschäftigten. Künstler, Architekten, Filmemacher, Kulissenbauer und Performer versuchten sich an der Antwort auf die Frage, ob Andreas Temme, ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, entgegen seiner Aussagen nicht doch Zeuge des Verbrechens war. Dafür haben sie den Tatort, das Internet-Cafe in der Holländischen Straße 82 in Kassel, anhand von geleakten Akten und einem Polizei-Video, in dem Andreas Temme selbst das Verlassen des Tatorts nachstellt, minutiös rekonstruiert. Ihre Ergebnisse stellten sie bereits im April während der Eröffnung der Documenta 14 in Athen der Öffentlichkeit vor. Doch erst in diesem Film findet das Projekt seinen Abschluss, einer Erzählung, wie sie zeitgenössischer nicht sein könnte. Sie verschlingt Animationen mit Fotos vom Set, auf dem Schauspieler jede Bewegung von Andreas Temme simulieren, während im Hintergrund eine Zeitschiene zu sehen ist - als Gitterbild in Grau - auf dem blaue, rote und gelbe Vektoren den entscheidenden Moment immer enger eingrenzen. Nein, so das Fazit, Andreas Temme hat gelogen. "Es gibt Fakten in einer Ära des Post-Truth", sagt Eyal Weizman von Forensic Architecture, "und wenn die Polizei und der Staat nicht auf drängende Fragen antworten, ist es Zeit für uns, die Ermittlungen zu übernehmen, mit dem Werkzeug der zeitgenössischen Kultur". Jetzt, so Weizman, sind andere dran mit ihren Recherchen - nach den Vertuschungen des Verfassungsschutzes und den Verstrickungen mit der Politik beispielsweise. Vor allem aber mit einer Frage: "Ist das Leben der Menschen, der Migranten und Flüchtlinge, die in diesem Land leben, überhaupt sicher?"

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Hiwa K:"When we were exhaling"

d14_Hiwa_K_PD022_When_We_Were_Exhaling_Images_©_Mathias_Voelzke

Quelle: Mathias Völzke

Die Geschichte seiner langen Wanderung aus dem Norden Iraks bis nach Athen hat Hiwa K schon bei der Ausstellung in Athen erzählt, in einem Video, für das er einzelne Etappen noch einmal abgegangen ist. In Kassel legt er jetzt gut zwanzig Betonröhren vor die Documentahalle - von weitem sieht das aus wie eine Baustelle. Aus der Nähe betrachtet wirken die Röhren dann fast wohnlich, Hiwa K hat sie mit Matratzen ausgelegt, Waschbecken installiert und Bücherregale. Aber gibt es das? Die Möglichkeit, unmenschliche Bedingungen in ein kleines Wohnexperiment zu verwandeln? Hiwa K sagt, das sei nicht die Frage. Er teile Architektur in vertikale und horizontale Bauten. Und ein großer Teil der Menschheit wohne nun mal vertikal, in Röhren, Tunneln, Bunkern, Kellern. Einfach weil die Vertikalität die einzige Bauform ist, die ihnen Sicherheit gibt. In einer Welt, in der Entscheidungen weitgehend in Bauwerken getroffen werden, die sich - großspurig - in der Horizontale strecken.

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Wang Bing:"Mrs Fang"

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Quelle: Mathias V­ölzke

Die ruhigen Betrachtungen des chinesischen Dokumentarfilmers Wang Bing gelten dem Alltag in China. Beispielsweise in einer chinesischen Textilfabrik, den seine Kamera in Echtzeit verfolgt. So wie sein Film auch geduldig das Sterben von "Mrs Fang" begleitet, stundenlang. Selten hat man sich weiter entfernt gefühlt von den kurzen, kleinen Clips, mit denen sich Smartphone-Industrie und Internetseiten die Wirklichkeit zurechtschneiden. Selten aber auch näher an einem chinesischen Alltag, der zu unspektakulär erscheint, als dass sich irgendein Journalist oder Dokumentarist darum bemühen würde. Außer Wang Bing. Im Kasseler Gloria-Kino werden während der Laufzeit der Documenta 14 täglich seine Filme gezeigt. Während der Vorführungen leuchten kleine Spots eine Ausstellung aus, die hinter den Stuhlreihen eingerichtet ist. Dort hängen - neben Fotografien - Faksimiles, die von den Erinnerungen der ganz Alten berichten, von Denunziation, Verschleppung, Gefängnisstrafen, ungerechten Anschuldigungen. Auch das, so der Subtext, keine spektakulären Fälle, nur das alltägliche Unrecht, das einer ganzen Generation widerfahren ist.

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Olu Oguibe:"Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument"

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Quelle: Michael Nast

Es gibt keine bessere Route durch die Documenta 14, als den Weg zur Neuen Galerie in der Nordstadt auf dem Königsplatz zu beginnen, vor dem Obelisken, der sich so hervorragend in den vornehmen Klassizismus dieser deutschen Stadt einfügt, obwohl der Beton, aus dem die 16 Meter hohe Stele erst kürzlich gegossen wurde, noch aushärtet. Der Künstler Olu Oguibe hat ihn am Sockel mit einem Bibel-Zitat versehen: "Ich war ein Fremdling und Ihr habt mich beherbergt", steht da. So ein Obelisk ist ja eigentlich einer, der selbst von weit her kommt, meist gar nicht freiwillig. Die ägyptischen Stelen waren Beute der Römer, kaum ein Kriegsherr, der von seinen Eroberungen nicht so einen Obelisken als Souvenir verschleppte. In Kassel wiederholt sich der schöne Satz aus dem Matthäus-Evangelium viermal, auf jeder Seite in einer anderen Sprache. Vor allem auf Deutsch klingt er wie das Ende eines Märchens. Doch wer in Richtung des Kasseler Nordens unterwegs ist, wird bald an andere Geschichten erinnert. Beispielsweise an den NSU-Mord an Halit Yozgut, der vom NSU in der nur ein paar Gehminuten entfernten Holländischen Straße erschossen wurde. Der Satz vom Fremden, der Aufnahme findet, ist in deutschen Städten häufig auch der Anfang von Geschichten, die nicht gut ausgehen.

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Maria Eichhorn:"Rose Valland Institut"

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Quelle: Mathias Voelzke, Maria Eichhorn/VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Ein elegantes Büro, große Schreibtische, zwei Telefone - das "Rose Valland Institut" wird zu festen Zeiten erreichbar sein. Wer durch den schmalen Ausgang tritt, steht allerdings nicht in einem Flur, sondern mitten im Museum. Denn das "Rose Valland Institut" residiert in Kassels Neuer Galerie. Inmitten der Documenta 14. Gegründet wurde es von der Künstlerin Maria Eichhorn. Ziel ist die unabhängige Erforschung und Dokumentation der "Enteignung der jüdischen Bevölkerung Europas und deren Nachwirkungen", heißt es in einem Newsletter. Darin ruft die Künstlerin dazu auf, Kunstwerke, Antiquitäten, Schmuck und Hausrat, bei dem es sich um Raubkunst handeln könnte, dem Institut zu melden.

Maria Eichhorn erinnert mit ihrer Neugründung an Rose Valland, die während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg die Plünderung der Museen und Privatsammlungen heimlich dokumentierte. Doch geht es der Künstlerin nicht allein um die Aufklärung der Herkunft hochkarätiger Kunstwerke, sondern auch darum, das gewaltige Ausmaß des Raubs an den verfolgten Juden sichtbar zumachen. "Beschlagnahmtes oder geraubtes Gut wurde öffentlich versteigert - allein in Hamburg 45 Schiffsladungen mit Gütern, die man niederländischen Juden geraubt hatte", schreibt die Künstlerin in ihrem "Open Call", mehr als 100 000 Einwohner der Hansestadt waren Bieter auf den Hafenauktionen.Mit dem "Rose Valland Institut" fordert Maria Eichhorn die nachfolgende Generation auf, sich diesem Unrecht zu stellen. Indem man das unrechtmäßig Erworbene - egal wie banal und billig es auch sein mag - aufspürt.

Es kann sein, dass das Rose Valland Institut nach Ende der Documenta 14 eine feste Institution wird, eine deutsche Einrichtung für Raubkunst nach dem Vorbild von Organisationen wie beispielsweise Looted Art in London. Doch als Werk ist es bereits jetzt einer der überzeugendsten Versuche, die Dimensionen des NS-Kunstraubs zu vermessen. Denn wer sich aufmerksam die Fotografien und die Listen ansieht, womöglich in Gedanken den Fragebogen auf ein, zwei ererbte Antiquitäten oder Schmuckstücke beantwortet hat, dem wird womöglich jeder antike Schrank, jeder Sessel und jedes bibliophile Buch, das erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in den Familienbesitz kam, suspekt erscheinen.

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Antonio Vega Macotela:"Die Blutmühle"

Antonio Vega Macotela Mill of Blood

Quelle: Liz Eve

Die Mechanik sieht schon von weitem grausam aus: Gewaltige Zahnräder aus Holz greifen da ineinander, eine Plattform dreht sich ächzend, darunter packt das Kunstpublikum an. Die "Blutmühle", die in den heiteren Karlsauen steht wie ein vergessenes Spielzeug, ist der von Antonio Vega Macotela ausgeführte, exakte Nachbau eines Geräts, das es wirklich gab. Als die Kolonisatoren das Silber aus den Bergen holten und zu Münzen und Barren prägten, trieben Esel solche Mühlen an, allein, die Arbeit war zu hart. Und als keine Esel mehr zu haben waren, mussten die Ärmsten der Armen ran, die indigene Bevölkerung. Die Documenta 14 spannt erzählerisch einen weiten Bogen von der Erfindungskraft großer Geister - auch Leonardo da Vinci zeichnete nicht nur anatomische Studien, sondern auch Maschinen - zur Ausbeutung, zur Ware Kunst, zu all den Werten, die zusammen kommen, damit die Kreisläufe der globalisierten Kultur so richtig in Schwung kommen.

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Miriam Cahn:"Könnte ich sein"

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Quelle: Roman März

Miriam Cahn war schon einmal hier. Eingeladen zur Documenta 7 im Jahr 1982. Doch als die Schweizerin sah, wie der damalige Leiter der Ausstellung Rudi Fuchs - ohne es mit ihr abzusprechen - noch weitere Gemälde eines anderen Künstlers in ihrem Saal verteilte, hängte sie ab und ging. Jetzt ist die 67-Jährige wieder da. Und wird seit der Ausstellung der Documenta 14 in Athen als große Wiederentdeckung gefeiert. Mit einer dynamischen, eigensinnigen Malerei, mit übermalten Fotografien, skizzenhaften Leinwänden und einer fein austarierten, weil eigenhändig vorgenommenen Hängung. Eines ihrer Motive zeigt eine Faust, die in einem Gesicht landet, ein anderes ein eigenartiges, schüchternes Tier. Mit Auftritten wie diesem, inszeniert die Documenta 14 einer ganzen Generation von Künstlerinnen ein Happy End: Dazu gehört auch Katalin Ladik aus Serbien, mit ihren strahlenden Collagen oder die in Kolumbien geborene Malerin Beatriz Gonzalez.

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Quelle: Mathias Völzke

Als junger Kunsthistoriker ist Adam Szymczyk, der künstlerische Leiter der Documenta 14, Erna Rosenstein noch selbst begegnet, er hat sie als kleine, eigensinnige Erscheinung in Erinnerung, die in der polnischen Kunstszene nicht eben viel galt. Eine Surrealistin, hieß es, die in Paris gelebt habe. Nun war der Surrealismus, all die Messer, die fliegenden Köpfe, die fragementierten Körper, nicht unbedingt eine Kunstrichtung gewesen, die damals die junge Generation von Kuratoren interessiert hätte. Leider - es kam zu Lebzeiten von Erna Rosenstein, die im Jahr 2004 im Alter von 91 Jahren starb, zu keinem Atelierbesuch von Adam Szymczyk. Denn nun hängen ihre Gemälde "Dawn" und "Night" im Mittelpunkt der Ausstellung in der Neuen Galerie, als eine der großen Rehabilitationen, die so eine Ausstellung leisten kann. Denn irgendwann hörte jemand Erna Rosenstein zu. Und erfuhr, dass es beileibe keine Traumszenen waren, an denen Erna Rosenstein zeitlebens malte. Sondern ihre Erinnerungen. Als Kind einer jüdischen Familie in Lemberg hatte, beim Versuch, dem Ghetto von Lodz zu entfliehen, mit ansehen müssen, wie der Mann, der ihner Familie Rettung versprochen hatte, ihre Eltern im Wald hinrichtete. Erna Rosenstein hat dann nach dem Krieg noch die Anfeindungen der polnischen Kunstszene ausgehalten, denen ihre Kunst als nicht konform erschien, wurde als Formalistin diffamiert und hatte ihre erste Ausstellung im Jahr 1956.

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Romuald Karmakar:"Byzantion"

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Quelle: Jens Meyer/AP

Man sieht weit durch die Fenster der Orangerie. Die Alleen der Karlsauen sind für den Blick aus diesen Fenstern gepflanzt, sie laufen exakt auf den heiteren, hellen Bau zu, bei schönem Wetter sieht man weit - bis hin zu den Kuppeln kleiner Pavillons, über Brücken und Seen hinweg. Drinnen läuft ein Film, die drei Monitore sind so hell, dass man das Bild auch im Gegenlicht erkennen kann. Es zeigt eine Gruppe von Sängern, fast in Lebensgröße. Romuald Karmakar hat den Chor auf dem Altar ihrer Kirche gefilmt, in einem Kloster irgendwo in Russland und sie stimmen gemeinsam einen polyphonen Gesang an. Die nächste Einstellung zeigt wieder Sänger, auch sie stehen vor Heiligenbildern in ihrer Kirche, auch sie singen gemeinsam das Lied. Doch sind es Griechen, ihr kleiner Kuppelbau steht in Athen, viele tausend Kilometer entfernt. "Byzantion" ist ein Projekt des Filmemachers Romuald Karmakar für die Documenta 14, ein friedliches Bild von einem Chor. Doch hat der Filmemacher, dessen radikal minimalistischen Werke wie "Der Totmacher" oder "Das Himmler-Projekt" sich mit den grausamsten Momenten der Geschichte beschäftigen, diesmal einen Ort lebendig werden lassen, den es nicht mehr gibt: die Stadt Byzanz, bis zu ihrer Eroberung durch die Ottomanen eine der bedeutendsten Metropolen der Welt. Karmakar sagt, die Teilung der Welt habe damals begonnen, "der Schnitt geht genau hier durch".

© SZ.de/khil
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