"We Need to Talk", so sollte die Gesprächsreihe heißen, auf der vor der Eröffnung der Documenta fifteen über die Vorwürfe von Antisemitismus und Israelfeindlichkeit gesprochen werden sollte. Sie kam nicht zustande. Am Mittwoch der vergangenen Woche sollte dann endlich debattiert werden, doch die Podiumsdiskussion ging kaum über ein Vortragen von Statements hinaus. Die eigentlich Verantwortlichen, allen voran Documenta-Chefin Sabine Schormann, der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle und die Vertreter des Kuratorenkollektivs Ruangrupa, waren entweder nicht erschienen oder äußerten sich nicht.
Eine Woche später folgte nun am Mittwochnachmittag ein weiterer Anlauf, endlich darüber zu sprechen, wie es geschehen konnte, dass auf der Documenta mindestens ein zweifelsfrei antisemitisches Werk zu sehen war. Und wieder fehlten entscheidende Teilnehmer. Ort war diesmal, die Eskalation schreitet gleichmäßig voran, der Kulturausschuss des Bundestages. Und geladen waren zu dieser Fragestunde, die die CDU/CSU-Fraktion einberufen hatte, außer Kulturstaatsministerin Claudia Roth auch Geselle und Schormann. Geselle entschuldigte sich wegen Haushaltsverhandlungen in Kassel, Schormann wegen Krankheit. Eine weitere Gelegenheit der beiden, sich endlich zu erklären, ist also verstrichen.
Das Banner abzuhängen sei der richtige Schritt gewesen, sagt ein Mitglied von Ruangrupa
Immerhin sprach erstmals einer der Verantwortlichen von Ruangrupa, Ade Darmawan, und beendete damit das zunehmend schwer erträgliche Schweigen dieses Kollektivs, das Tage gebraucht hatte, bis es sich nach dem Abhängen des Großbanners "People's Justice" endlich gemeldet hatte und seitdem abgetaucht war. Darmawan bat erneut um Entschuldigung "für den Schmerz und die Angst", die die antisemitischen Karikaturen auf dem Bild hervorgerufen haben. Und er gab zu, dass kein Mitglied von Ruangrupa sich das Banner genauer angesehen hatte. Es abzuhängen sei der einzige richtige Schritt gewesen.
Er versuchte auch noch einmal die historische Situation nach dem Ende des Suharto-Regimes zu erklären, aus der es stammt. Und meinte, es handele sich bei den Karikaturen um eine Art Reimport einer Bildsprache, die zuvor von Europa nach Indonesien exportiert worden sei und dort umgemünzt wurde auf die chinesische Minderheit. Entschieden verwahrte er sich gegen die seit der Documenta-Eröffnung erhobenen Vorwürfe, Antisemitismus gehöre in Indonesien zum kulturellen Mainstream. Und er berichtete von den Angriffen und Drohungen, auch physischer Art, die die Ruangrupa-Mitglieder und Documenta-Mitarbeiter erlitten hätten. Er habe immer noch Hoffnung, dass der Dialog, der das Ziel der Documenta gewesen sei, noch zustande komme. Es sei aber eine "Herausforderung".
Dass jüdische Künstler aus Israel nicht eingeladen worden oder gar boykottiert worden seien, einer der Hauptvorwürfe gegen Ruangrupa, stimme im Übrigen nicht, so Dawarman. Jüdische Künstler aus Israel seien sehr wohl auf der Documenta vertreten, zögen es aber wie sehr viele Künstler vor, nicht über ihre Herkunft oder ihr Land definiert zu werden. Gefragt, ob er den Boykott Israels unterstütze, wie ihn die BDS-Bewegung fordert, erklärte er: "Nein, wir denken und arbeiten über Grenzen hinweg, das ist unser Prinzip. Daher unterstütze ich die Isolierung Israels nicht."
Kuratorische Verantwortung sei "nicht das Gegenteil von Kunstfreiheit", sondern Teil davon
Claudia Roth, die sich in den vergangenen zwei Wochen vielfach zu Wort gemeldet hatte, wiederholte ihre inzwischen bekannten Positionen. Sie beklagte unklare Strukturen, nicht geklärte Zuständigkeit, fehlende Expertise bei den Verantwortlichen und warf ihnen "Wortbruch" vor, schließlich hatte Schormann ja zu Beginn der Debatte erklärt, sie "garantiere", dass es auf der Documenta keinen Antisemitismus zu sehen geben werde. Roth wurde zumindest ansatzweise selbstkritisch, als sie meinte "Antisemitismus existiert auch in Diskursen, die wir bisher zu sehr durch die Brille der Kapitalismuskritik und des postkolonialen Diskurses gesehen haben".
Zwar sei Antisemitismus "globale Realität", dennoch hätten die nicht-deutschen Künstler und Kuratoren unbedingt mit der deutschen Geschichte und ihrer Aufarbeitung vertraut gemacht werden müssen. Kuratorische Verantwortung sei "nicht das Gegenteil von Kunstfreiheit", sondern Teil davon. Die Documenta müsse sich nun "erneuern", sagte sie, sie sei nicht nur "der Stolz der Stadt Kassel", sondern eine nationale Veranstaltung - eine Anspielung auf den zunehmend heftigen Streit, der sich zwischen ihr und dem Kasseler Bürgermeister entwickelt hat, der Roths Vorstoß, der Bund könne seine finanzielle Förderung nur fortsetzen, wenn er stärker an den Entscheidungen beteiligt sei und wenn internationale Experten einbezogen würden, brüsk zurückgewiesen hatte.
Für den Zentralrat der Juden nahm an dem Hearing dessen Geschäftsführer Daniel Botmann teil, der das Verhalten von Schormann und Geselle "unverzeihlich" nannte, nicht nur nach, sondern auch lange vor der Eröffnung: "Unsere Bedenken wurden von Anfang an beschwichtigt, weggebügelt und teils als rassistisch bezeichnet." Niemand in Kassel sei bereit gewesen - oder heute bereit - sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen. Dass Schormann noch im Amt sei, sei "eine Zumutung". Botmann bemühte sich, mit seiner Kritik über die Documenta hinauszugehen, die sei "fast schon Vergangenheit". Ebenso schlimm seien in seinen Augen Versuche der "deutschen Kulturelite" - die an der Konzeption der Documenta nicht beteiligt war -, den Holocaust zu relativieren und BDS zu verteidigen.
Eine Forderung wurde von wirklich jedem erhoben, der im Kulturausschuss das Wort ergriff: Es müsse jetzt dringend geprüft werden, ob in Kassel weitere antisemitische Werke zu sehen sind. Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, hatte Schormann kurz nach der Entdeckung des Werks von Taring Padi angeboten, mit anderen Antisemitismusexperten genau das zu tun. Sie reagierte sehr positiv, berichtet er nun der SZ. Seitdem habe er nichts mehr gehört. Die Überprüfung habe noch nicht begonnen.