Documenta 14:Ganz bei sich

Die Schweizer Malerin Miriam Cahn unterwirft sich nicht. Sie arbeitet, ohne auf Moden zu achten, und lässt sich auch beim Bilderhängen in Kassel nicht hineinreden.

Von Kia Vahland

Miriam Cahn muss denken. Dabei darf man nicht stören. Anwesend sind nur: ein dunkeläugiges "nachttier", das Gans oder Schaf sein könnte oder beides. Ein verängstigter Knabe, der nackt durch den Farbnebel flieht. Eine barbusige "kriegerin" im Niqab und mit tiefrotem Geschlecht. Freddie Mercury, schwarz grinsend. Dazu ein vermummter Typ mit Baseballschläger. Und eine kahl geschorene ältere Dame, entblößt, hilflos, mit ausgebreiteten Armen, als wolle sie sich stellen. "so fühle ich mich", heißt das Gemälde, es ist wohl ein Selbstporträt.

An diesem Frühlingsmorgen aber fühlt sich Miriam Cahn prächtig. Die Schweizer Malerin steht im hohen Saal der Documentahalle in Kassel, das Licht fällt durch die Decke auf ihre knallbunten Leinwände und Papierstücke, die an den Wänden stehen und am Boden ausliegen. Wenn die 67-Jährige fertig gedacht hat, in ein, zwei Stunden, wird sie ihre Geschöpfe an die Wand nageln, rauschhaft, assoziativ, wie immer, wenn sie arbeitet. So malt und zeichnet sie, so hängt sie ihre Bilder.

Man merkt der Künstlerin die Befriedigung an, als es dann losgeht. Am Vortag schaute der diesjährige Documenta-Leiter Adam Szymczyk kurz vorbei, erwiderte die dringlichen Blicke der geschundenen Kreaturen auf den Bildern mit einem Nicken, verschwand. Er mischt sich nicht groß ein, und genau das schätzt Cahn. Die Kuratoren alter Schule, die alles selbst machen wollten, Bilder in Auftrag geben, aussuchen, hängen, die hat sie gefressen. 1982 war Miriam Cahn schon einmal hier, als Gast der Documenta 7. Doch als sie sah, dass der damalige Leiter Rudi Fuchs unabgesprochen Bilder eines zweiten Künstlers in "ihren" Saal hängte, nahm sie ihre Schützlinge von der Wand und zog von dannen. Künstler, die guten jedenfalls, müssen Diven sein und ihre Ideen auch gegen wohlmeinende Einmischung verteidigen.

Miriam Cahn -- Pressematerial Documenta 2017 (nur zur aktuellen Berichterstattung)

Geballtes Leid: Der Faustschlag, das Ausgeliefertsein sind wiederkehrende Themen im Werk von Miriam Cahn. Dieses Bild trägt den Titel "hauen".

(Foto: Courtesy Meyer Riegger und Jocelyn Wolf)

Zwei Documenta-Mitarbeiter assistieren nun beim Hängen. Der eine trägt weiße Handschuhe. Nicht lange, dann packt er doch mit bloßen Händen an, wie es Cahn vormacht. Die weißgelockte Dame in weiten Arbeitsklamotten wirbelt ihre Geschöpfe durch den Raum, tackert hier noch eine Leinwand an den Rahmen, schlägt dort mit dem Hammer einen Nagel neben eine Zeichnung. Die Wasserwaage bleibt in der Ecke liegen, es geht nach Augenmaß. Im Minutentakt ändert sich die Reihung, das lang gestreckte Gemälde einer Leiche landet auf Kniehöhe, das Tulpen-Porträt über dem TV-Bild aus dem Irakkrieg. Die Werke rücken viel enger zusammen als im Museum üblich. Trotzdem bleibt für den gezeichneten Freddie Mercury am Ende kein Platz mehr. "Schade, ich mag ihn so", sagt Cahn. Deswegen aber alles umsortieren? "Natürlich nicht." Sie entscheidet spontan, und bleibt dann dabei.

Das Ergebnis wirkt, als sei es von langer Hand geplant, schon im Atelier. Das liegt daran, wie Miriam Cahn in ihrer Malerei und den aufgewühlten, teils wieder ausradierten Zeichnungen stets auf Grundmotive ihres Schaffens zurückkommt.

Gewalt ist das wichtigste, mitsamt ihrer oft verklärenden, verstörenden Schönheit in der Kunst. Eine wütende, stämmige Frau, nackt und kahl wie alle Figuren im Saal, knallt einem kleinen Menschen die Faust an die Schläfe, mit der anderen Hand greift sie ihre Scham. Die Härte wäre kaum zu ertragen, wäre das Aquarell nicht in sanft aufs Papier gestrichene Primärfarben getaucht. In dem Ölbild "hauen" ist das Motiv wieder zu sehen. Diesmal stößt eine klar konturierte Faust auf ein weichgezeichnetes, trauriges Gesicht, das durch den Schlag mit der Umgebung zu diffundieren scheint. Blut strömt, doch es ist Farbe, die freigesetzt wird. Manchmal sind auch Waffen im Spiel. Einem Maschinengewehr ist in Kassel ein eigenes Porträt gewidmet, in fröhlichem Gelb, Rot, Blau.

Früher malte Cahn explodierende Atombomben, den triefenden Rest eines dieser Bilder verwendet sie in Kassel für das Gemälde einer vor dem Krieg fliehenden Niqabträgerin. "Als ich klein war, testeten die Amerikaner Atomwaffen", erzählt Cahn in Schweizer Singsang. "Ich bewunderte die Fernsehbilder, bis man mir sagte, wie schrecklich das ist, was da passiert."

Diese Gabe zum plötzlichen Perspektivwechsel - etwas Schönes entpuppt sich als potenziell tödlich und andersherum - hat sie sich bewahrt. Es hat sie vor den Eindeutigkeiten bewahrt, die sie so hasst. "Illustrativ" erscheinen ihr Teile der Gegenwartskunst, zu wenig widersprüchlich, zu sehr auf schnellen Konsum ausgerichtet.

Miriam Cahn

Freundlich, aber bitte mit Tempo: Miriam Cahn.

(Foto: G. Junker)

Wen sie denn damit meine, Jeff Koons vielleicht? Nein, nein, dessen Glanzstücke fände sie nun gerade toll, ironisch wie seine blinkende Installation im Schloss von Versailles. Lob für einen kommerziellen Megakünstler: Miriam Cahn ist immer für eine Überraschung gut.

Das passt in ihre Biografie. Die Tochter eines aus NS-Deutschland geflohenen Münzkundlers wuchs zwischen Kunstbänden auf, ihre Sehschule waren Antike und klassische Malerei. Selbst verortet sie sich lieber im Umfeld der Aktionskunst der Sechzigerjahre - und das, obwohl sie als eine von wenigen in dieser Generation immer an die Malerei geglaubt hat. Sie legt zudem Wert darauf, sich nicht nur irgendwie auszudrücken in ihrer Kunst, sondern dies als Frau zu tun. Und malt dann aber keine Idealfrauen, sondern ausgelieferte und höchst impulsive weiblich-androgyne Wesen. Solche Ambivalenzen machen die unheimliche Sogkraft von Cahns Bildern aus.

Animalisch wirkt diese Kunst, aus dem tiefsten Inneren herausgeworfen. Den Machergestus der (zumeist männlichen) abstrakten Expressionisten hat sich Miriam Cahn in ihrer eigenen Art anverwandelt. Zugute kommt ihr, dass sie ihrer ureigenen Formensprache immer treu geblieben ist, auch in den Jahren, als die Welt sich vor lauter Minimalismus und Konzeptkunst für Malerei und Zeichenkunst herzlich wenig interessierte. Cahn aber mischte weiter Farben in ihrem Atelier, erst in Basel, dann in einem abgelegenen Schweizer Tal nahe der italienischen Grenze, und warf in einem Irrsinnstempo verwirrende Szenen auf die Leinwand. Zu manchen schreibt sie ebenso schnelle Texte, Gedankenflüsse, die nachzulesen sind auf ihrer Website (http://miriamcahn.com).

Einige dieser Texte hat sie in Athen auf dem Boden des Benaki-Museums ausgelegt. Sie handeln viel von Flucht und Vertreibung, Not und Krieg. Auch in dieser Documenta-Spielstätte hat Szymczyk ihr einen ganzen Raum freigeräumt - nach dem Eklat von 1982 wäre das auch nicht anders gegangen. Die teils wandhohen Zeichnungen sind düster, schwarz-weiß, in harten Linien ausgeführt. Manche entstanden ohne Tageslicht. Der Duktus der Künstlerin, ihre temporeiche Handschrift ist hier noch besser zu erkennen als in Kassel. Man meint, die Finger der Zeichnerin über die Blätter fahren zu sehen.

Alles an Miriam Cahn ist Bewegung. Die Grande Dame einer rotzigen, weiblichen und sehr zeitgenössischen Malerei zeigt in Kassel und Athen den Jüngeren, wie man Schritt hält mit seinem Leben und seiner Zeit, ohne sich dabei selbst zu verlieren.

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