Süddeutsche Zeitung

Documenta 13:Empfehlungen aus dem Irrgarten

Die Documenta bietet ihren Besuchern Hunderte von Exponaten, Installationen und Performances. Doch wohin auf der Weltausstellung, wenn die Zeit begrenzt ist? Eine erste, hilfreiche Auswahl der SZ-Kritikerinnen.

Catrin Lorch und Kia Vahland

Anders als ihre frühen Vorgänger präsentiert die Documenta 13 keine einzeln herausragenden Meisterwerke. Dafür zeigt sie viele überraschende Kunststücke, die ein genaueres Hinsehen lohnen. Hier eine erste Auswahl der SZ-Kritikerinnen.

Rabih Mroué

Rabih Mroué aus Beirut verfremdet und analysiert Handy-Videos getöteter syrischer Oppositioneller, die ihre eigenen Todesschützen aufnahmen. Ihn interessiert die Dynamik von Schuss und Gegenschuss. Dabei verzichtet er auf Schocker-Ästhethik - und zeigt die klügste politische Kunst seit langem.

Ort: Kulturbahnhof Kassel

Theaster Gates

Theaster Gates hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Freunden in seiner Heimatstadt Chicago die Abbruchhäuser mittelloser Schwarzer zu renovieren. Nach Kassel schleppte er halbverrottete Wandteile, Türen und Fenster und verbaute sie in einem heruntergekommenen Haus, in dem früher Hugenotten lebten. Dort wohnen nun die Künstler während der Documenta, lassen sich beobachten und spielen abends großartigen Jazz.

Ort: Hugenottenhaus

Lara Favaretto aus Turin mag es dramatisch: In Kassel häufte sie Metallschrott zu einer monumentalen Skulptur. Teil zwei der Arbeit wird in Bagh-e Babur ausgestellt, einem der ältesten erhaltenen Gärten in Kabul. Wie das Werk dort aussehen wird, gehört zu den noch ungelüfteten Geheimnissen der Documenta.

Ort: Kulturbahnhof Kassel und Bagh-e Babur Kabu

Zalmai

Wenn man die Ketten eines Panzers mit Bruchsteinen füllt, entsteht auf einmal wieder eine stabile Mauer. Notfalls kann man aus einem ausrangierten Militärfahrzeug sogar eine Brücke bauen. Der in Kabul geborene Fotograf Zalmai floh als Student vor der sowjetischen Invasion in Afghanistan nach Europa. Wenn er jetzt wieder durch seine alte Heimat reist, macht er Bilder die zeigen, wie der Krieg und seine Geräte langsam wieder in den Alltag des Lebens integriert werden.

Ort: Elisabeth-Hospital

Gustav Metzger floh aus NS-Deutschland nach London. Seine Werke aus den fünfziger Jahren changieren zwischen alter und neuer Welt, Figuration und Abstraktion. Nun erstmals in großem Umfang ausgestellt.

Ort: Documentahalle

Wael Shawky

Um Historie ringt man nicht mit Fakten und Informationen, sondern in Geschichten. Die Puppenfilme von Wael Shawky erzählen - frei nach einem Buch des Schriftstellers Amin Maaloouf - die Kreuzzüge aus Sicht der Araber. Der Ägypter, der mit kostbaren alten Figuren arbeitet, filmt dafür schlachtbreite Panoramen und gönnt den Holzgesichtern viele Großaufnahmen: Keine Verniedlichung sondern vollgültiges Filmepos.

Ort: Neue Galerie

Die Amerikanerin ist eine hauptberufliche Geheimniskrämerin, deswegen gibt es im Katalog weder eine Biografie noch eine Werkbeschreibung. Wir verraten soviel: Sie stammt aus Los Angeles, ist Jahrgang 1974 und zeigt im Gloria Kino etwas wiederum dermaßen Enigmatisches, dass man es nur schwer beschreiben kann. Ein Spiel mit Form und Farbe und Licht. Jedenfalls ist es von großer, beglückender Schönheit.

Ort: Gloria

Charlotte Salomon

Charlotte Salomon aus Berlin schuf währed des zweiten Weltkriegs ein über tausendseitiges Werk aus Gouachen und nannte es "Leben? oder Theater?". Erstaunlich modern erzählen die Blätter von weiblicher Abenteuerlust, aber auch von Missbrauch und Demütigungen in einem totalitären System. Die Jüdin wurde später in Auschwitz ermordet.

Ort: Fridericianum

Ein Foto zeigt einen Esel, der in einem kleinen Pferch aus Stacheldraht steht und von Nazis verspottet wird. Es ist ein Zeitungsbild aus dem Jahr 1933, als man in Kassel erste Pogrome probte. Die 1949 in Zagreb geborene Künstlerin Sanja Ivekovic hängt es in die Mitte ihrer Installation "The Disobedient (The Revolutionaries)", zu der auch eine Vitrine voller Plüsch-Esel gehört, denen jeweils die Namen von Menschen zugeordnet sind, die für ihre politischen Überzeugungen gestorben sind.

Ort: Neue Galerie

Tacita Dean

Diese Documenta 13 finden nicht nur in Kassel statt, sondern auch in der zerklüfteten Bergkette um Kabul in Afghanistan. Tacita Dean hat deren Panorma mit Kreide auf die schwarzen Wände eines ehemaligen Tresorraums gemalt. Die Britin ist für "Fatigues" jedoch nicht selbst gereist - als Vorlage gab sie einen Film bei einem afghanischen Kameramann in Auftrag. Doch der war beschädigt; nur wenige Motive waren zu erkennen. Das Weiß des Kreidestifts markiert jetzt nur Schnee, Tau, Gefrorenes, Wasser.

Ort: Ehemaliges Finanzamt, Innenstadt

Various Artists

Die Farbe dieser Documenta ist Grün - vom Katalog-Cover bis zu den Wiesen der Karlsauen, wo mehr als fünfzig Künstler ausstellen. Die schönsten Stationen liegen an der Peripherie: "The worldly House. Ein Archiv inspiriert von Donna Hathaways Schriften" ist genau, was der Titel verspricht. Weil Tue Greenfort den Lesesaal in einem Bootshaus eingerichtet hat, schwimmen unter den Bücherregalen Karpfen. Gareth Moore hat hinter dem Betriebshof Quartier bezogen. Schon drei Monate vor der Vernissage lebte der Kanadier dort, er wird mit Sperrmüll, Fundstücken und gutem Geist an einer Architektur basteln, die man unpoetisch Hüttendorf nennt, obwohl hier eine Pension, ein Souvenirshop und ein Museum zur Anlage gehören.

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Quelle:
SZ vom 09.06.2012/feko
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