DJ Westbam:"Mein Sound hat sein eigenes Gedächtnis"

Westbam Cover-Bild "Götterstrasse"

"Die besten Sachen passieren in the middle of nowhere." - Westbam.

(Foto: Universal)

Wie die meisten DJs seiner Zeit geht auch Westbam auf die 50 zu. Ein neues Album kommt trotzdem: "Götterstraße" reicht vom alten Westberliner Punk bis zum elektronischen Hochadel von heute. Es ist eine Art Denkmal zum 30. Dienstjubiläum, das er sich selbst errichtet hat. Weil das ja sonst keiner tut.

Von Joachim Hentschel

Wenn man Discjockey von Beruf ist, kann einem das passieren. Dass irgendein Irrer ankommt, 100 000 Dollar auf den Tisch knallt, aus der Ölquelle oder von Papa. Und der DJ nimmt das Geld, packt seine Platten, fliegt irgendwohin und wundert sich, dass dort keiner tanzt. Weil fast niemand gekommen ist zur Party des Jahrhunderts, nur ein paar Leute, die auf Eseln vorbeireiten, und pikiert schauen, weil sich der DJ auf seinem Podest in der Wüste so abrackert, trotz allem.

Komischerweise erinnert sich Westbam, der DJ, an solche Desasterabende am liebsten. Westbam, der seine Platten ja in den größten Großraumclubs und bei den hysterischsten Events aufgelegt hat, in Buenos Aires oder London oder auf Ibiza, bei den Olympischen Spielen in Seoul und Atlanta, vor anderthalb Millionen schönen Menschen auf der Berliner Love Parade, in den Neunzigerjahren, als dort noch keiner an Tod und Katastrophe dachte.

Westbam hat aber auch in Saskatoon, Kanada gespielt, in Ufa am Ural, auf den japanischen Okinawa-Inseln oder irgendwo im abgelegenen, seltsamen deutschen Niemandsland. Wo man als DJ dann nachts mit dem weinenden Veranstalter im Wald hockt. Wo der einsame Hippie seine Runden tanzt. Wo verpeilte, überglückliche Landschrate im Rausch nach ihren Wohnungen suchen. Wenn man 30 Jahre lang dabei ist, so wie er, erlebt man das.

"Die tollen, großen Partys, die gute Stimmung, das rauscht alles irgendwie vorbei", sagt Westbam. "Die besten Sachen passieren in the middle of nowhere. Wo man am nächsten Morgen in einem komischen Hotel aufwacht, noch mal über den Dorfplatz geht. Und sich denkt: Wie geil!"

Reden über Geschichte

Eigentlich wären wir damit schon wieder mittendrin in der Debatte, ob der DJ als solcher nun Gottes einsamster Mann ist oder Satans größter Volltrottel. Ein Prophet oder ein nützlicher Depp, ein Künstler, ein Avantgardist der elektronischen Tanzmusik, die ja zweifellos die letzten wirklich hellen Blitzlichter gesetzt hat in der Pophistorie - oder halt ein Dienstleister, ein Populist, der dem Volk die Mucke spielt, die es hören will. Damit die Leute Ruhe geben, möglichst viel saufen, mehr Platten und T-Shirts kaufen.

Und weil Techno, diese unglaubliche Bewegung, diese sich selbst erfüllende, glänzende Prophezeiung der Neunziger, eben wirklich mehr war als nur Musik, nämlich die große Ära der Körperpolitik und Freiheitstänze, das Versprechen von der neuen, verstrahlten Gesellschaft nach den diversen Mauerfällen - deshalb stellt sich heute, wo die Beteiligten von damals größtenteils wieder nüchtern sind und endlich mal die Bilanzen gegenrechnen, auch immer wieder dieselbe Frage, und auch sie ist politisch: Auf welcher Seite hast du gestanden? Warst du Vor- oder Nachmacher? Hast du deinen Platz im Pantheon der Geschichte, unserer Geschichte, auch wirklich verdient?

Westbam redet gern über Geschichte. "Wenn ich auflege, hat das nichts Saisonales", sagt er. "Mein Sound hat sein eigenes Gedächtnis. Das macht bei einem DJ am Ende doch das Individuelle aus: dass er versucht, sein ganzes Leben da reinzupacken. Alle Veränderungen, Einflüsse, zumindest in Spuren."

Er trinkt Cappuccino, ein kleiner, stämmiger, schneller Mann im Kapuzenpulli. Auch 2013 muss man dazusagen, dass er eigentlich Maximilian Lenz heißt, aus Westfalen kommt, seit Menschengedenken in Berlin lebt, verheiratet, zwei Kinder. Westbam ist 48, geht also wie die meisten DJs der großen Zeit auf die 50 zu. Natürlich legt er noch auf, nichts spricht dagegen. Einmal pro Woche. In den Neunzigerjahren war es zweimal. "We'll Never Stop Living This Way" hat er damals eine seiner Platten genannt.

Ein Denkmal an sich selbst

"Götterstraße" heißt nun die neue, eine Art Denkmal zum dreißigsten Dienstjubiläum, das er sich selbst errichtet, weil das ja sonst keiner tut. Eine grandiose Sammlung ganz unwahrscheinlicher Kollaborationen, mit Gesangsbeiträgen von Iggy Pop, den Köpfen von New Order und den Stranglers, der deutschen Elektro-Muse Inga Humpe, den Rappern Kanye West und Lil Wayne. Ein Fingerstreich vom Punk im alten Westberlin bis hin zum elektronischen Hochadel von heute. Sozusagen das große, pulsierende Gedächtnis seiner Musik, in dem alles drinsteckt, von der ersten eigenen Maxi 1985, einem selbst hergeleitetem Techno-Popstück über Boris Becker, vom Slogan "No More Fucking Rock'n'Roll" bis zum Auftritt bei der deutschen Eurovisions-Vorentscheidung, wo er sich 2004 von falschen Polizisten auf die Bühne zerren ließ, "Dancing With The Rebels" sang und auf dem viertletzten Platz landete. Drei Ränge vor den Bollermännern von Scooter.

Ein Generationenproblem kann Westbam schon deshalb nie bekommen, weil er ja sein ganzes Leben lang Sachen gemacht hat, für die er eigentlich schon zu alt war. Trotzdem hat er den Kindern, seinem Publikum, nebenbei erklärt, warum sie Thomas Bernhard lesen sollen. Taumelte mit Rainald Goetz durch die Nacht, brachte im Merve-Verlag eine Fibel über Beat-Philosophie und Scratch-Poetik heraus, die er "Mix, Cuts und Scratches" nannte.

Klein-Westbam in Münster

"Das ist der große Segen dieser Musik, die ich spiele", sagt Westbam heute. "Dass ich durch sie mit Leuten sprechen kann, mit denen das sonst nie möglich wäre. Die mich sonst nur fragen würden: Alter, was hast du denn eingeworfen?"

Westbams erster Auftritt als DJ findet an einem Donnerstag in den frühen Monaten des Jahres 1983 statt, zu einer Zeit, in der es noch keinen Techno gibt. Dass der 17-jährige Novize in Münster gleich im Odeon auflegen darf, der Konzerthalle für echte New-Wave-Studenten, verdankt er seinem Freund William Röttger: Der gilt als Autorität, marschiert eines Tages einfach rein in den Club und ordnet an: "Lasst den mal!" Am großen Abend schwimmt der Debütant dann zuerst. Käpt'n Xerox nennt er sich, mit seinen mitgebrachten Elektropop-Platten ist er viel zu schnell durch. Das Unter-der-Woche-Publikum in the middle of nowhere tanzt nicht, es will erst überzeugt werden. Heute gibt es das selten, da kommen die Leute ja meistens schon tanzend durch die Tür. Weil sich hinterher keiner vorwerfen lassen will, er habe nicht genug Spaß gehabt.

In der zweiten Abendhälfte kriegt Klein-Westbam die Münsteraner dann rum. Er darf wiederkommen, bekommt erst den Freitagabend, dann den Samstag. Die Gagen investiert er in eigene Musikproduktionen, gründet das Schallplattenlabel Low Spirit, unter anderem mit dem frühen Helfer William Röttger. "Ich bin ja ein bisschen schüchtern und verpeilt", grient Westbam rückblickend. "Ohne fremde Unterstützung wäre die Karriere vielleicht einfach an mir vorbeigegangen."

Gegen den Kommerzverdacht

Bei Suhrkamp ist im März 2012 "Der Klang der Familie" von Felix Denk und Sven von Thülen erschienen, ein groß recherchiertes Historienbuch zur frühen Techno-Geschichte. Westbam kommt darin nicht gut weg. Mehrere Berliner Underground-Kings bezeugen, er habe ihnen im Prinzip nur die Ideen und Konzepte geklaut, sich reingedrängelt, wo es nach Erfolg roch, den wahren, harten Stoff verwässert. Hinter den Vorwürfen steckt wohl nicht nur die Jahrhunderte alte Diskussion über die künstlerische Reinheit.

Low Spirit, Westbams Firma, war in den Neunzigern eine Macht, verkaufte MTV-reife Mengen von Platten, veranstaltete das Mayday-Festival, hatte einen Fuß in der Love Parade. Dass Techno der neue Pop sein sollte, die alleinseligmachende Musik, den Gemeinplatz verbreiteten damals viele. Dass Westbam, ausgerechnet er, der Intellektuelle, mit genau diesem Axiom tatsächlich Geld verdiente, das nahmen sie ihm übel.

Es macht manchmal ein bisschen traurig, wenn man ihm heute beim Erzählen zuhört. Weil man spürt, wie sehr es Westbam, der alte Held, schon gewohnt ist, sich immer wieder rechtfertigen zu müssen. Gegen den Kommerzverdacht. Gegen die Frage, warum er musikalisch nie wirklich mit der Zeit gegangen ist, warum er immer noch diese im Kern fröhliche, fleischige Musik macht, obwohl das, was man für den Techno-Konsens hält, durch so viele Reptilienhäutungen gegangen ist. Und warum er keine Rolle mehr gespielt hat in den maßgeblichen Berliner Clubs der letzten Jahrzehntwende, dem Berghain, der Bar 25. "Techno-Biedermeier" nennt er die Szene: Vom weltumarmenden Gestus der großen Jahre habe man sich abgekehrt, hin zum Minimalismus, zum Unter-sich-Sein. Dass die Luftblasen der Neunziger geplatzt sind, die Begleitumstände heute völlig andere sind, bestreitet er gar nicht. "Aber viele geschätzte Kollegen habe ich plötzlich überhaupt nicht mehr wiedererkannt", seufzt er.

Jubelepisoden und Niemandsland-Anekdoten

Und auch das ist ein Grund, warum man unbedingt "Götterstraße" hören sollte, das neue Album mit den vielen Gastsängern, das dieses Mal von einer sonderbaren, höchst ergreifenden Melancholie durchzogen ist. Weil hier der DJ zur Abwechslung mal seine ganze, eigene Geschichte erzählt, die Jubelepisoden und die Niemandsland-Anekdoten. Weil uns hier einer beim Ringen um die Deutungshoheit, mitten im metallischsten Genre der Welt, sein Herz ausschüttet.

Neulich ist Westbam auf das Berliner Konzert von Skrillex gegangen, dem derzeit größten, von Puristen scharf attackierten, von Teenagern umkreischten Tanzmusikstar Amerikas. Die Halle war voll, die Show fand er öde. Aber der Sound hat ihn umgehauen.

"Und diese komischen 4000 Kids da in der Halle", fragt er, sichtbar aufgeregt, blitzende Augen, schwellende Adern, "woher kommen die bloß? Kein Laden in der Stadt spielt sonst solche Musik - und trotzdem sind die da!" er macht eine kurze Pause, was selten vorkommt, wenn er erstmal ein Thema am Schopf hat. "In so einem Moment fühle ich, was die fühlen." Man könnte nicht besser zusammenfassen, was ein DJ eigentlich ist.

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