Süddeutsche Zeitung

Diversität in Kultureinrichtungen:Null Aussagekraft

Der Kulturrat gibt erstmals eine Studie zur Diversität in Museen, Theatern und Opernhäusern in Auftrag. Das Verfahren ist allerdings zweifelhaft.

Von Jörg Häntzschel

Die Klage wird seit Jahrzehnten erhoben, besonders laut aber seit "Me Too" und "Black Lives Matter": Deutschlands Kulturinstitutionen gäben sich gerne fortschrittlich und offen, tatsächlich dominierten dort ältere weiße und deutsche Männer. Das sei nicht nur fatal für die Karrierechancen von Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund. Es verhindere bei Museen, Theatern oder Opernhäusern auch die inhaltliche Öffnung, neue Perspektiven, neue Ideen. Was wiederum dazu führe, dass sich große Teile des Publikums, vor allem jüngere, in deren Programm nicht wiederfänden und den Institutionen im schlechtesten Fall verloren gehen könnten.

Der Deutsche Kulturrat, eine Lobby-Organisation der deutschen Kultureinrichtungen, teilt diese Sorge und hat nun erstmals eine Studie zur Diversität in deutschen Kultureinrichtungen in Auftrag gegeben. Finanziert wurde sie vom Kulturstaatsministerium.

Auf den ersten Blick stimmen die Ergebnisse optimistisch. So liegt der Frauenanteil bei den Beschäftigten bei 64 Prozent. Die gefühlte Männerdominanz ist also offenbar widerlegt. Einen anderen Eindruck bestätigt der Bericht allerdings: Es gibt wenig junge Beschäftigte. Vier von zehn sind über 50. Ein Großteil der übrigen Beschäftigten ist älter als 30. Jüngere arbeiten kaum in den Häusern. Die interessanteste Frage aber ist wohl die nach dem Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Auch hier überrascht der Bericht. Etwa 20 Prozent der Beschäftigten fallen in diese Kategorie, was nur knapp unterhalb ihres Anteils in der Gesamtbevölkerung (ein Viertel) liegt.

Einmal mehr erweist sich die Kategorie "Migrationshintergrund" als irreführend

Sieht man sich den Bericht genauer an, stellt man allerdings fest, dass dessen Aussagekraft gegen null geht. Zum einen wurden nur Einrichtungen berücksichtigt, die vom Bund gefördert werden. Das sind vor allem größere Häuser, besonders in Berlin, die natürlich diverser sind als Provinzmuseen oder Kleinstadttheater.

Auch das Verfahren selbst dürfte die Ergebnisse verzerrt haben. Die Macher der Studie stützten sich im Wesentlichen auf eine anonyme Umfrage unter Leiterinnen und Leitern der Institutionen, also genau denjenigen, die für mangelnde Diversität verantwortlich sind. Ein Drittel der Angeschriebenen hat nicht reagiert. Wie wahrheitsgemäß die anderen geantwortet haben, ist nicht zu überprüfen. Dass ein Intendant aber angibt, an seinem Haus sei Diversität sehr wichtig, heißt nicht, dass eine junge schwarze Schauspielerin dort nicht Diskriminierung erleben kann. Nur ging deren mögliche Erfahrung eben nicht in die Studie ein.

Einmal mehr erweist sich auch hier die Kategorie "Migrationshintergrund" als irreführend. Die japanische Spitzengeigerin, der Kantinenkoch, der aus Syrien geflohen ist, und der Verwaltungsangestellte mit dänischer Mutter haben soziologisch wenig gemeinsam und spielen in punkto Diversität ganz unterschiedliche Rollen, landen aber hier in derselben Gruppe.

Olaf Zimmermann, der Chef des Kulturrats, gibt die Schwächen seiner Studie zu. Er spricht von bloßen "ersten Ergebnissen" und beschreibt den Bericht als "politische Aktion", als "Werfen eines hoffentlich nicht zu kleinen Steins". Doch das Thema ist zu wichtig, um Scheinerkenntnisse in die Welt zu setzen, auch wenn sie gut gemeint sind.

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