"Dittsche - das wirklich wahre Leben":Philosophische Pommes-Schranke

Dittsche sieht zwar aus wie ein Penner, aber in seinem Schädel, da brennt es lichterloh, da ist er heller als hellwach: Die Gewalt seiner Imbiss-Monologe ist unwiderstehlich.

Benjamin Henrichs

Ein kleiner Imbissladen in Hamburg-Eppendorf, nichts Besonderes. Bier gibt es hier nur in Flaschen, und ob man das gastronomische Angebot, die Koteletts, Hähnchen und Salate, wirklich kennenlernen möchte, ist nicht gewiss. Trotzdem bin ich hier Stammgast, seit ich das Etablissement, eher zufällig, an einem Vorfrühlingstag zum ersten Mal betreten habe. Denn dieser Imbiss ist auch so etwas wie das kleinste Welttheater der Welt.

Olli Dittrich als Dittsche
(Foto: Foto: ddp)

Jeden Sonntagabend, exakt um halb elf, bin ich hier eingekehrt, mehrere Monate lang, es musste sein, ich hatte gar keine Wahl. Denn schon von Montag bis Samstag musste ich oft an diesen Laden denken. Oder, wie es im alten Liede heißt: Es zog mich fort / an jenen Ort. Zur Fernsehserie "Dittsche - das wirklich wahre Leben", die hier, Sonntag für Sonntag, live aufgeführt wurde. Leider ist der Imbiss zur Zeit geschlossen, Sommerpause. Aber wer ein Videogerät besitzt oder einen DVD-Recorder, der muss nicht hungern - der hat jederzeit Zutritt, der kann nun die alten Geschichten in aller Ruhe noch einmal studieren. Wahrscheinlich ist dieser Eppendorfer Imbiss der beste Platz in Deutschlands weiter Comedy-Welt, seit Herr Loriot sein Sofa verlassen hat.

Eine Schankstelle, drei Männer: Ingo, dem der Imbiss gehört, Schildkröte, der starr und stumm an seinem Tischlein sitzt, raucht und trinkt, und Dittsche, arbeitslos, der unumschränkte Held und Herrscher der Serie, erfunden, inszeniert und gespielt von Olli Dittrich, der auch hier, wie in der Serie Blind Date mit Anke Engelke, alle Szenen improvisiert, tollkühn auf die Stütze eines Textbuchs verzichtet.

Dittsche betritt die Szene wie ein Penner, im alten Morgenmantel, und er braucht jetzt erst mal dringend ein Bier. Ein Flaschenbier natürlich, das so richtig perlt. Und dann beginnt er zu reden, dreißig Minuten lang, und die Gewalt seiner Monolge lässt den beiden anderen Männern kaum eine Chance. Denn Dittsche sieht zwar aus wie ein Penner, aber in seinem Schädel, da brennt es lichterloh, da ist er heller als hellwach.

Unaufhörlich hat er Ideen, die er selber "Weltideen" nennt, unermüdlich arbeitet er an der Errettung oder wenigstens Verbesserung der Welt. Denn es gibt nichts, was ihn nicht interessiert, wozu er nichts zu sagen hätte. Von den Mysterien des Hausstaubs bis zu den Geheimnissen der Eigenurin-Therapie, von der Fußballbundesliga bis zu den Wundern der Antike.

Unsinn und Tiefsinn

Dittsche ist ein Allesdenker - sein einziges Pech dabei ist, dass er sein Weltwissen ausgerechnet aus der Bild-Zeitung bezieht und nicht aus der Encyclopaedia Britannica. Weshalb sich in seinen Tiraden immerzu Unsinn und Tiefsinn, Wahrheit und Wahnvorstellung unentwirrbar ineinander verknoten.

Ingo, der Wirt, hört sich das alles an, mit beinahe unendlicher Geduld, und er versucht, seinen seltsamen Stammgast vor dem Abdrehen und Durchdrehen zu bewahren. Schildkröte sagt gar nichts, bis auf das Schlusswort, das er Woche für Woche spricht. "Halt die Klappe", sagt er dann zu Dittsche, "ich habe Feierabend!".

So verkörpern die drei Alltagsgestalten im Hamburger Imbiss auch archetypisch drei Erscheinungsformen des Mannes und Menschen: Dittsche ist der Phantast, Ingo der Realist und Kröte der Stoiker. Und so bietet die Serie eine höchst erstaunliche Kombination: viel Spaß natürlich, aber auch Philosophie mit Pommes und Mayo.

Die drei Männer, sie werden niemals auseinandergehn. Obwohl es einmal, im Monat Mai, zu einem schrecklichen Zerwürfnis gekommen ist. Ingo hatte Dittsche rausgeworfen, und der musste nun gegenüber beim Griechen sein Bier trinken, und das wurde eine Sternstunde der Serie.

Vortrag über "griechische Mykologie"

Zuerst war Dittsche am fremden Ort vollkommen verschüchtert, ein verwirrter Heimatvertriebener, ein armer Asylant. Dann hatte er sich aber schnell wieder gefangen, und dann kehrte auch bald die alte Verwegenheit in ihn zurück. Nach wenigen Minuten schon hielt er der netten griechischen Wirtin des Lokals großspurig einen Vortrag: zuerst über die griechische Musik, sodann über die "griechische Mykologie", in welcher er sich auskennt wie kein Zweiter. Und er erzählte mit Begeisterung vom Trojanischen Pferd, das ja, wie jeder Gebildete weiß, nur ein einziges Auge hatte.

Natürlich folgte dem Zerwürfnis bald die schönste Versöhnung - und so ist der "Eppendorfer Grillstation" und ihren homerischen Helden eine glänzende Zukunft sicher. Dittsche wird bald wieder das große Wort führen, und wenn er sich in Rage geredet hat, dann wird sein Körper wieder in Bewegung kommen, dann wird er wippen und mit den Schultern schaukeln, und dann wird er wieder einem Musiker gleichen, den die Musik aus der Schwerkraft herausreißt. Und dann wird, ein paar Märchenaugenblicke lang (aber nicht länger!), sein Morgenmantel wie ein Königsmantel aussehen und die Bierflasche in seiner Hand wie ein Szepter. Bevor der schöne Spuk erlischt und wir wieder in diesem Imbiss sind, bei unseren drei wenig märchenhaften Männern.

Welttheater!, möchte nun der beglückte Rezensent rufen, Welttheater! Doch das Schlusswort auch hierzu spricht natürlich Kröte: Halt die Klappe, Mann, Feierabend!

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