Diskussion um Windkrafträder:Mindestens so sexy wie Atomkraftwerke!

Dem deutschen Inschinör ist, ja doch!, trotz Krise, immer noch nichts, rein gar nichts, also überhaupt nichts zu schwör. Eine Verteidigung der allfälligen Windkraftanlagen. Die sind nämlich schön. Jawoll!

HOLGER LIEBS

Weit geht des Dichters Blick über die Uckermark, golden leuchten die Felder, der Horizont ein roter Strich, abendlicher Friede will sich ausbreiten.

Diskussion um Windkrafträder: Die "Landschaft" war schon immer im wesentlichen ein geistiges Konstrukt: Arkadien entsteht im Kopf.

Die "Landschaft" war schon immer im wesentlichen ein geistiges Konstrukt: Arkadien entsteht im Kopf.

(Foto: Foto: dpa)

Doch was muss der Dichter sehen? Gewaltige Rotoren mit Spannweiten von Dutzenden von Metern zerhäckseln über hohen Stelen den Blick, die Luft und das Sonnenlicht: Windkraftanlagen zur alternativen Energiegewinnung.

Knapp 15400 dieser weiß strahlenden Mühlen gibt es in Deutschland, über 200 Windparks allein in der weiten Ebene nördlich von Berlin. Laufen sie, geht von den Rotoren dieses unheimliche Surren aus, abends senden sie rote Warnlichter über das Land, blinken disco-like, damit sich nicht unbekannte Flugobjekte zwischen die Windräder verirren.

Achtung: heimische Scholle in Gefahr! Der Dichter Botho Strauß, der ein Haus in der Uckermark bewohnt, empört sich im Spiegel: "Eine brutalere Zerstörung der Landschaft, als sie mit Windkrafträdern zu spicken und zu verriegeln, hat zuvor keine Phase der Industrialisierung verursacht."

Und der Dichter ist nicht allein: Schon schwillt der Protestgesang zum Chor an; der Stern ("Gegenwind für den Gutmenschenstrom"), der Spiegel ("Die große Luftnummer"), Bürgerinitiativen ("Verspargelung der Landschaft"; "die schlimmsten Verheerungen seit dem Dreißigjährigen Krieg"), ja sogar Bazon Brock, der sich ja in viel zu vielen Dingen auskennt, schimpft superlativisch: "Die größte Landschaftszerstörung aller Zeiten. Und die Landschaft ist, wie wir alle wissen, nun einmal ein kulturelles Gut.

Welches nun also vernichtet wird, wie auch und vor allem Botho Strauß weiß: Das "Barbarentum der Energieökologen", die "Ausbeute der Natur" zerstöre "nicht nur Lebens-, sondern auch tief reichende Erinnerungsräume".

Es gibt also alles in allem zwei Argumente gegen die Windparks: ein ästhetisches und ein ökologisches. Sie sind hässlich, lautet das erste.

Sie sind umweltschutztechnisch gesehen sinnlos, das zweite.

Zur Ästhetik: An welche angeblich ungespickte und unverriegelte Natur will der Dichter sich eigentlich erinnern?

Kulturalisiert, und das heißt: für ästhetische Bedürfnisse zugerichtet ist sie ja nun schon seit der Zeit, als die Philosophen Berge und Täler als Objekte genießender Betrachtung entdeckten, statt wie die Hirten oder Bauern in ihnen nur den bloßen Nutzwert zu sehen.

Ob nun Petrarca den Mont Ventoux erklomm oder Rousseau am Bieler See die Aussicht bestaunte: Die "Landschaft" war schon immer im wesentlichen ein geistiges Konstrukt: Arkadien entsteht im Kopf.

Dort kann man sich natürlich, auch unter prekären energietechnischen Vorzeichen, weiterhin ein künstliches, wenngleich verlorenes Paradies zurechtlügen - und in entlegeneren Weltgegenden wie der Uckermark mag das ersehnte Idyll trotz Umgehungsstraßen und Kabel-TV sogar noch greifbar nahe sein.

Andererseits sollte Botho Strauß' "Erinnerungsraum" doch wenigstens so tief hinabreichen wie die Grubenschächte der Bergleute, von denen wir wissen, dass schon ein Dichterkollege wie der einstige Salinen-Assessor Novalis sich für diese "unterirdischen Helden" begeisterte - etwa im "Heinrich von Ofterdingen".

Zu den Gruben gehörten übrigens immer auch Fördertürme, die anfangs auch nicht gerade ästhetische Hymnen provozierten - inzwischen sind sie, etwa durch die Fotografien von Bernd und Hilla Becher, museal geadelt.

Und für das landschaftsfressende Gesteinsfördern setzte sich auch schon Geheimrat Goethe mit Rat und Tat ein. Seitdem ist viel passiert, die Industrialisierung fraß sich durchs Land und hinterließ zahlreiche hoch aufragende Marken aus Eisen, Ziegeln und Stahl, die, einstmals herzlich gehasst, heute gerne bunt beleuchtet werden, wenn es dämmert - wenn auch natürlich nicht in der Uckermark.

Die Menschen haben, schlimm genug, mittlerweile gelernt, neben Autobahnschneisen und ICE-Trassen zu leben, im cordon sanitaire von Gewerbegebietskisten und unter schattenwerfenden Hochhäusern.

Da ist es mitunter laut und stickig und dunkel - hässlich ist es meist obendrein. Weshalb also auf einmal diese Don-Quichotte-hafte Hysterie, dieser weltfremde Romantizismus angesichts windschnittiger, filigraner ingenieurtechnischer Meisterleistungen wie den Windrädern?

Die wurden nicht umsonst von schwäbischen Flugzeugtüftlern erfunden, von Ingenieuren also, die uns auch die himmelstürmenden Fernsehtürme und kühne Brückenkonstruktionen schenkten. Windräder machen keinen Dreck, sie sehen schön aus, und sie sind eben einfach nur die moderne Version der alten, märchenkompatiblen Holzwindmühlen, von denen es, über Europa verteilt, immerhin 200000 Stück gab.

Doch nun kommt scheinbar der gute alte Sankt Florian wieder zu Ehren - Windkraft, schön und gut, aber bitte nicht vor meinem Haus.

Es ist also ein schon etwas betagter Topos, diese Form des Jammerns, das noch jede echte Neuerung als Untergang des Abendlandes abgetan hat.

Derzeit entwickeln sich übrigens erstaunliche Schizophrenien gerade bei Umweltschützern, die Atomstrom blöd finden, aber surrende Rotoren in der Nähe der eigenen Bauernkate noch viel blöder. Ideologisch verbrämt taucht diese Haltung dann im Dichterwort auf, wenn Strauß sich im Windkraft-Dorado der Uckermark zum heroischen "Außenseiter" stilisiert, der, den rotorisierten Horizont vor Augen, geschichtsvergessen die "Auslöschung aller Dichter-Blicke" beklagt.

Sein neues Buch heißt übrigens "Der Untenstehende auf Zehenspitzen".

Doch es gibt kein Zurück mehr zum bodennahen Schollen-Blick - jedenfalls nicht nach einem Jahrhundert, welches die Fesseln der Schwerkraft endgültig gelöst hat und mit dem Flugzeug als mobilem Leitbild der Moderne auch eine neue Raumwahrnehmung zu entwickeln begann - die planetarische Perspektive.

Vielleicht liegt es ja auch daran, dass die Windkraft-Gegner so erzürnt sind: Sie spüren, dass sie es mit ästhetischen Ordnungsmustern zu tun haben, die sie nicht mehr überblicken können: mit verschiedenen Stadien der Unsichtbarkeit, angefangen beim Wind und seiner energetischen Nutzung, bis hin zu den Formationen der Mühlen selbst.

Vom seinem Fuß aus betrachtet mag ein einzelnes Windrad noch mächtig erscheinen - zu vielen aneinander gereiht folgen die Mühlen mitunter genau den Wölbungen der Hügel, die sie zieren, wiederholen also ihren Verlauf. Doch erst aus der Luft werden ihre geometrischen Ordnungsmuster so ganz begreifbar.

Die besten Werke der "Land Art" führen genau diesen Effekt vor - etwa Walter de Marias "Lightning Field" im Westen New Mexikos, einem nur aus der Luft erfassbaren Gitter von Edelstahlstäben, die auch als Blitzableiter dienen - und auf diese Weise auch die energetische Kraft dieser Raumskulptur zur Erscheinung bringen können.

Das "Lightning Field" stellt aber auch eine ideale Ordnung dar, die die "Landschaft" erst als strukturiert erfahrbar macht: ein Symbol der technischen Kultivierung des Raumes durch den Menschen.

Dass dieser Mensch dann, auf der anderen Seite, die Effekte dieser Eroberung am liebsten von der eigenen Haustür fernhalten will, ist ja noch verständlich - einerseits. Dass er, andererseits, unredliche Mittel bemüht, wie etwa die Strategie, die Ökobilanzen der neuen Windmühlen schlecht zu reden, ist weniger nachvollziehbar - und führt seinerseits zu Blamagen wie den mutwillig ins Gegenteil uminterpretierten Öko-Zahlen im Spiegel-Titel "Die große Luftnummer".

Hässlich sind also nicht die Windräder, sondern allenfalls durchsichtige Medienkampagnen. Was eigentlich nur einen Schluss zulässt: Baut mal munter weiter.

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