Diskussion um Opernsängerin:Hosenwahn

Diskussion um Opernsängerin: In München ein Publikumsliebling: Tara Erraught erregt die Gemüter in England. (hier während einer Probe zu "La Cenerentola" von Rossini an der Wiener Staatsoper (Archivbild))

In München ein Publikumsliebling: Tara Erraught erregt die Gemüter in England. (hier während einer Probe zu "La Cenerentola" von Rossini an der Wiener Staatsoper (Archivbild))

(Foto: AFP)

Muss eine Opernsängerin Modelmaße haben? In England glauben viele Kritiker, ja. Und schimpfen die junge Tara Erraught "unglaublich, unansehnlich, unattraktiv". Was der Opernskandal über seine Teilnehmer verrät.

Von Michael Stallknecht

Englische Theater- und Opernkritiken zu lesen ist oft eine Lust. Die Kollegen sind berühmt für ihre Bissigkeit, Direktheit und Subjektivität. Wie bissig, das muss gerade die irische Mezzosopranistin Tara Erraught erfahren. In der Eröffnungspremiere des Glyndebourne Festival am vergangenen Samstag sang die gerade 27-jährige Sängerin den Octavian in Richard Strauss' "Der Rosenkavalier". Dabei sah sie nicht so aus, wie die Kritiker der wichtigen britischen Zeitungen sich die Hosenrolle offenbar vorgestellt hatten. Rupert Christiansen vom Daily Telegraph thematisierte ihre "plumpe Statur", die ausschaue wie Figuren aus Kinderbüchern. "Unglaublich, unansehnlich, unattraktiv" fand sie die Times. Und die Financial Times verstieg sich zur Formulierung vom "molligen Bündel aus Babyspeck".

Seitdem hat England einen handfesten Opernskandal. Bloggende Opernliebhaber protestierten gegen die Journalisten, Sänger solidarisieren sich mit Tara Erraught. Alice Coote, selbst eine renommierte Octavian-Darstellerin, schrieb in einem offenen Brief, bei der Kunstform Oper gehe es einzig und allein um die Stimme. Der bekannte englische Musikjournalist Norman Lebrecht forderte seinen Kollegen Rupert Christiansen zur öffentlichen Diskussion. Da es sich bei den ausfälligen Kritikern allesamt um gesetzte Herren handelt, wird ihnen offener Sexismus vorgeworfen. Schon geht das Wort vom "fat-shaming" um, das besonders in den USA die Diskriminierung von dicken Menschen beschreibt. Verletzen Opernkritiken etwa Antidiskriminierungsrichtlinien? Kurios ist die Angelegenheit in jedem Fall, weil Tara Erraught nach gängigen Vorstellungen kaum als sonderlich dick gelten darf. In München, wo sie zum Ensemble der Bayerischen Staatsoper gehört, ist sie ein Publikumsliebling.

Der Skandal beweist eher ex negativo, dass das Klischee vom übergewichtigen Opernsänger längst der Geschichte angehört. Bereits vor zehn Jahren verlor die Sängerin Deborah Voigt am Royal Opera House in London die Titelrolle in "Ariadne auf Naxos", weil sie als zu dick galt. Die Zeiten, in denen eine Umarmung das Gesangstraumpaar Luciano Pavarotti und Montserrat Caballé vor erhebliche technische Probleme stellte, sind vorbei. Opernsänger inszenieren sich auf Plattencovern längst als Models.

Verdächtiger Beiklang

Dabei gelten als Leitfiguren des gegenwärtigen Opernbetriebs Anna Netrebko und Jonas Kaufmann, die eben auch optisch gut vermittelbar sind. Doch auch bei Netrebko wurde nach ihrer Schwangerschaft jedes zusätzliche Kilo öffentlich registriert. Das Stichwort, ihre Stimme sei seitdem "fülliger" geworden, bekam plötzlich einen verdächtigen Beiklang. Bei Auftritten des stimmlich fabelhaften südafrikanischen Tenors Johan Botha spielen auch deutsche Kritiker regelmäßig darauf an, dass er nicht den imaginären Rollenvorstellungen für den Siegmund in Wagners "Walküre" oder den hungerleidenden Florestan in Beethovens "Fidelio" entspricht.

Junge Menschen wurden bei Aufnahmeprüfungen an Musikhochschulen bereits abgewiesen, weil sie aufgrund ihres Körpergewichts als ungeeignet für den Sängerberuf galten. Alice Coote fürchtete in ihrem offenen Brief bereits, dass ein allzu ausgeprägtes Körpertraining den Sängern schaden könne. Ein allzu ausgeprägter Sixpack, schrieb sie, lasse das Zwerchfell nicht mehr frei schwingen.

Gutes Operntheater fordert immer einen gewissen Realismus

Das alles hat zuerst mit dem Wandel der Inszenierungsästhetik zu tun. Sänger sollen heute ohne Probleme rennen, springen oder beim Singen liegen dürfen. Als Leitbild auch der zeitgenössischen Oper gilt das Schauspiel, das in seinem Realismus wiederum deutlich vom Film beeinflusst ist. Die traditionelle Verkleidungsästhetik scheint damit überholt, das Operntheater der Gegenwart hat geradezu einen Abscheu vor Kostümen entwickelt. Das Natürlichkeitsideal sorgt dafür, dass viele Kostümbildner geschmacksunsicher geworden sind und Problemzonen nicht mehr kaschieren können.

Bei den sowieso immer schwierigen Hosenrollen läuft es inzwischen regelmäßig auf die groteske Erwartung hinaus, Frauen sollten buchstäblich auch ohne Hosen männlich ausschauen können. Immerhin gestand Rupert Christiansen vom Daily Telegraph bezeichnenderweise ein, die Kostüme der Inszenierung in Glyndebourne seien zwar ausgesprochen ungünstig gewesen. Die Schuld an der Pleite schrieb er dennoch Erraught zu, die als Rosina im "Barbier von Sevilla" sicher ganz reizend, für Hosenrollen nun mal ungeeignet sei. Schade, dass er ihre Münchner Auftritte als Romeo in Bellinis "I Capuleti e i Montecchi" nicht erlebt hat, bei der die Kostüme des Modeschöpfers Christian Lacroix Erraught rollengerecht blendend aussehen lassen.

Gewisser Realismus erforderlich

Dabei lässt sich die Diskussion keineswegs so grundsätzlich erledigen, wie Alice Coote und manche Opern-Afficionados in den Blogs das gern hätten. Oper war nie nur eine Kunst der Stimme. Schon Mozart monierte, dass Anton Raaff, der erste Titelheld seines "Idomeneo", sich nicht bewegen könne. Dass sich die Oper in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts kaum noch für die Körperlichkeit der Darstellung interessierte, darf durchaus als Verfallserscheinung gelten. Das viel gescholtene Regietheater knüpfte in vielem einfach wieder an abgerissene Traditionen an. Gutes Operntheater fordert deshalb immer einen gewissen Realismus.

Gleichwohl stellt sich dringend die Frage, ob die Erwartungen nicht deutlich zu weit gehen. In der "Rosenkavalier"-Inszenierung von Glyndebourne ist die Sängerin der Marschallin in der ersten Szene splitterfasernackt unter der Dusche zu sehen. Die Rolle ist ein Beispiel dafür, wie sehr der Jugendkult die Opernhäuser schon im Griff hat. Galt diese Partie früher als Paraderolle für Frauen in den besten Jahren, beruft man sich nun oft darauf, dass sie im Rokoko, in dem das Stück spielt, gerade Anfang dreißig sei. Die Liebesszene zwischen Marschallin und Octavian zu Stückbeginn geht damit zunehmend als sexuelle Begegnung von zwei jungen Frauen durch. Dass das manchen männlichen Kritiker durchaus anmachen kann, lässt sich kaum von der Hand weisen.

Vielleicht ist es jenseits des "Falls" Tara Erraught höchste Zeit, die Oper als Kunst der Illusion, der Träume wiederzuentdecken. Richard Wagner weigerte sich lange, den Tenor Ludwig Schnorr von Carolsfeld anzuhören und anzusehen, weil ihm zugetragen worden war, dass der Sänger sehr dick sei. Irgendwann sah und hörte Wagner ihn eher zufällig dann doch: Schnorr von Carolsfeld und seine auch nicht gerade schlanke Ehefrau Malwine wurden das Uraufführungspaar in "Tristan und Isolde".

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