Süddeutsche Zeitung

Diskussion im Literaturhaus:"Als Deutscher unter Deutschen darfst du hier nicht glücklich werden"

Wer ist hier "genetisch integrierbar"? Im Münchner Literaturhaus versucht der politische Philosoph Julian Nida-Rümelin mit Thilo Sarrazin zu reden.

Von Meredith Haaf

Einleitend erklärte der Chef des Münchner Literaturhauses, Reinhard Wittmann, das Ziel des Abends: Es gebe Bücher, mit denen die Kritik "sachlich unbeleckt" umgehe, davon könne Thilo Sarrazin ein Lied singen, und deshalb freue er sich, zum Zweck der "Versachlichung" der Debatte über Sarrazins neuestes Werk "Wunschdenken" den Philosophen Julian Nida-Rümelin gewonnen zu haben.

Die Ankündigung, als eine Art Reha-Doktor für Sarrazins literarische Meriten gebucht worden zu sein, verstimmte Nida-Rümelin sichtlich, schließlich hatte er auch etwas zu präsentieren: sein eigenes neuestes Werk, einen Sammelband, in dem der Humanismus als einzig richtige "Antwort auf die Unordnung der Welt" geltend gemacht wird.

Zwischen den beiden saß dann noch der ehemalige ZDF-Moderator Wolfgang Herles. Anfang des Jahres hatte er mit der Behauptung von sich reden gemacht, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gebe es regelmäßig "Anweisungen von oben", wie man zu berichten habe, nämlich europafreundlich und dem Gemeinwohl dienend, also so, "wie es der Frau Merkel gefällt". Auch in München beklagte Herles das schlechte Diskussionsklima im Land, in dem "mehr Streit als Diskurs" stattfände. Nida-Rümelin wiederum kritisierte die Ungerechtigkeit der Weltwirtschaftsordnung und den Abschied vom Multilateralismus als Hauptmerkmale der "organisierten globalen Verantwortungslosigkeit".

Sarrazin vertrat dagegen "das Prinzip der strikten Nicht-Einmischung", er sprach über globale Intelligenzgefälle, die angeblich Glaubensgefälle seien - schließlich sei es logisch, dass eine Kultur, die Wert darauf lege, dass man den Koran auswendig könne, auch kognitiv weniger leistet. Herles fragte Nida-Rümelin daraufhin, ob ihm das "zu statistisch gedacht" sei. Dieser versuchte es dankenswerter Weise mit historischen Verweisen auf die lange und erfolgreiche Kulturgeschichte des Islam und Reformappellen in Richtung Weltwirtschaftsordnung und bekam dafür Applaus.

Eine Dame seufzt: "Das ist die Wahrheit!"

Herles ließ das so stehen und drängte Sarrazin zu erklären, was denn nun mit denen, "die aus dem Islam kommen", sei und ob die denn "genetisch integrierbar" seien. Doch der kam stattdessen nochmals auf die Weltwirtschaft zu sprechen: "Der Umstand, dass Afrika keine Fertigwaren produziert, hat doch nichts mit der Außenwelt zu tun." Für jemanden, der mit seiner ökonomischen Ausbildung so hausieren geht wie Sarrazin, war das schon äußerst skurril, da schwieg sogar das ansonsten aufgeschlossene Publikum betroffen.

"Wie kriegen wir denn wieder einen vernünftigen Diskurs in dieses Land?", fragte Herles, der mit seinen Problem-Muslimen trotz vieler Anläufe nicht weiterkam. Schließlich sei "Opportunismus ja so was wie ein Berufsmerkmal der Politiker heute". Nida-Rümelin plädierte für das integrative Verfahren - sowohl was rechte Positionen in der Einwanderungsdebatte betrifft, als auch wenn es um die Zukunft der Europäischen Union geht. Und Sarrazin gab zu bedenken, "wer hier als Deutscher unter Deutschen glücklich werden will, der darf das nicht, dem wird gesagt, du musst glücklich werden unter lauter Einwanderern, die dir sagen, wie du leben sollst." Da gab es Applaus, eine Dame seufzte: "Das ist die Wahrheit!" Und Herles resümierte allen Ernstes, hier habe ein "schöner Schlagabtausch" und ein "wunderbarer Diskurs" stattgefunden.

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SZ vom 22.06.2016/doer
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