Gruppenbild mit Dame: Drei Männer, eine Frau, alle grau-schwarze Seriosität ausstrahlend - das Bild auf dem Podium entspricht ziemlich genau den Erwartungen, die man an eine distinguierte Historiker-Runde hat. Doch die Sorgen vor steifer Langeweile, die einen vor dem zweiten "Historischen Quartett" im Literaturhaus beschleichen mögen, erweisen sich als unbegründet.
Es ist eine illustre Wissenschaftler-Runde, die an diesem Abend im gut gefüllten, von Fernsehkameras überhitzten Saal über vier historische Sachbücher diskutiert; am 18. März ist die Aufzeichnung auf ARD-Alpha zu sehen. Zum Kernteam aus Martin Schulze Wessel (LMU), Andreas Wirsching (Institut für Zeitgeschichte) und Ute Daniel (TU Braunschweig) hat sich diesmal als Gast der Politikwissenschaftler Herfried Münkler gesellt. Alle bemühen sie sich von Anfang an erkennbar und weitgehend erfolgreich, nicht in einen Fachjargon abzugleiten, anschaulich zu bleiben und die Geschichte, wenn möglich, an die Gegenwart anzubinden. Im Übrigen sind die Diskutanten bei keinem der vier chronologisch abgearbeiteten Bücher ganz derselben Meinung, was zur Unterhaltung des Publikums nicht unbeträchtlich beiträgt.
Das beginnt schon bei Lyndal Ropers "Der Mensch Martin Luther" (S. Fischer). In dieser Biografie über das "mediale Allround-Talent" (Daniel) spielen neben dem üblichen Vater-Problem auch Körperöffnungen und -säfte eine offensichtlich wichtige Rolle. Man lernt unter anderem, dass Luther seine Verdauungsbeschwerden für eine Strafe Gottes hielt; Andreas Wirsching fehlt bei der Darstellung allerdings ein wenig der historische Kontext. Neugierig auf das Buch machen die Schilderungen allemal, ebenso bei Werner Plumpes "Carl Duisberg 1861-1935, Anatomie eines Industriellen" (C.H.Beck). Duisberg arbeitete sich aus einfachen Verhältnissen im wilhelminischen Kaiserreich nach oben, wurde "nach 1914 jedoch zu einer politisch fragwürdigen Figur", so Schulze Wessel. Reicht dafür der im Buch verwendete Begriff Opportunismus?, fragt Daniel zweifelnd. Duisberg sei eben einen "Zickzackkurs" gefahren, sagt Wirsching, sei wie viele Unternehmer "herumgeeiert". Es sei schwierig, wenn diese in die Politik gingen, ergänzt Münkler: Die künftige US-Regierung sei "nach diesem Modell gebildet".
Besonders uneins ist man sich erwartungsgemäß bei Ian Kershaws "Höllensturz" (DVA) über Europa von 1914 bis 1949. Dessen "intensiven Blick auf Mittelosteuropa" als "Raum der Instabilität" lobt zwar Münkler, insbesondere Schulze Wessel überzeugt das jedoch keineswegs, er moniert an Beispielen wie Schlesien schlichtweg "falsche Fakten". Auch bei Siegfried Sickuts Band "Volkes Stimmen" (dtv) mit unbekannten Briefen empörter Bürger an die DDR-Regierung beurteilen die Wissenschaftler die Aussagekraft der ausgewählten Schimpftiraden unterschiedlich. Es sei eben ein "Stimmengewirr", sagt Münkler: "Man kann jede Menge herauslesen, muss aber aufpassen, es nicht überzuinterpretieren." Das gilt auch für diesen Abend.