Diskriminierende Werbung:Nacktheit ist nicht gleich Diskriminierung

Sexismus Werbung

In Deutschland allgegenwärtig: großflächige Werbung mit viel Haut

(Foto: picture alliance / dpa)

Auch wenn einem die permanente Sexualisierung - vor allem in der Werbung - suspekt vorkommt: Vielleicht ist sie das Tal, das wir auf dem Weg zur Gleichberechtigung durchschreiten müssen.

Von Susan Vahabzadeh

Gäbe es eine Methode, mit der man sicherstellen kann, dass ein Bild in jedem Betrachter dasselbe auslöst, wäre sie für jede Werbeagentur wertvoller als eine Wagenladung Gold. Es gibt sie aber nicht - es ist schon schwierig, sich darauf zu einigen, ob ein Bild tatsächlich sexistisch ist oder chauvinistisch, oder eben nicht. Nackte Haut steht eben nur manchmal für Objektifizierung, für die Reduktion auf den Körper. Sie kann auch ein Ausdruck von Freiheit sein und Selbstbestimmtheit, der Befreiung vom Korsett. Und andererseits ist es gar nicht nötig, jemanden auszuziehen, um ihn oder sie zu erniedrigen.

Es spukt derzeit ein einstweilen noch nicht sehr konkretes Vorhaben des Justizministers Heiko Maas herum, mit dem er geschlechterdiskriminierende Werbung unterbinden will. Das klingt zunächst einmal mehrheitsfähig; und es klingt vor allem so, als sei die Werbung derzeit der Wilde Westen der Diskriminierung. Ganz so einfach ist es nicht: Der deutsche Werberat darf öffentlich jeden rügen, der gegen seine Regeln verstößt und sich weigert, die Werbung zurückzuziehen. Das passiert nach Angaben des Werberats nur bei vier Prozent der beanstandeten Werbemaßnahmen - 96 Prozent lassen anzügliche Plakate und sexistische Spots verschwinden, bevor das passiert, weil ja sonst der Sinn der Werbung auch irgendwie verfehlt wäre.

Mehr als diese Sanktionen gibt es dann nicht, solange keine bestehenden Gesetze verletzt werden. Ein Schaufenster mit dem Bild einer "vermutlich von Männern umringten nackten Frau" und dem Slogan "Fuck your Face" zu dekorieren - das hat ein Modegeschäft in Magdeburg getan - verbietet nur der gute Geschmack. Das ist einer der sechs Fälle, die der Werberat in diesem Jahr bislang öffentlich gerügt hat. Aber ein Gesetz, das "vermutlich von Männern umringt" zu fassen bekommt, ist auch schwer vorstellbar.

Der Werberat wendet ein Regelwerk an, und liest man es, ahnt man bald, wie viel bei der Ahndung von Diskriminierung Ansichtssache ist. Darauf, dass Werbung nicht herabwürdigend sein sollte, nicht Gewalt verharmlosen, Personen auf ihre Sexualität reduzieren sollte, können sich die meisten Leute einigen, auch "Dominanzgebaren" werden viele ablehnen. Aber was genau bedeutet das? Auch "übertrieben herausgestellte Nacktheit" ist nicht erwünscht. Wo genau fängt übertrieben an? Oder herausgestellt? Übertrieben setzt voraus, dass es eine Norm gibt. Und die lässt sich nicht mit Quadratzentimetern von Textilien festlegen.

Der Justizminister will etwas tun gegen diskriminierende Werbung. Die aber ist Ansichtssache

Wirft man einen Blick hinüber in die Kunst, auf die Fotografien von Nackten und Bekleideten, darauf, wie dort umgegangen wird mit Sexualisierung und blanker Haut, wird noch viel klarer, dass es keine klaren Regeln geben kann dafür, wann ein Bild diskriminierend ist. So viel ist sicher: Mit Nacktheit hat es schon einmal nichts zu tun.

An den Frauenbildnissen des 2004 verstorbenen Fotografen Helmut Newton beispielsweise scheiden sich die Geister. Er selbst fand sich gar nicht antifeministisch, im Gegenteil. Er fand, dass die Frauen auf seinen Fotografien eigenständig und selbstbewusst wirken. Seine Verteidiger berufen sich gern darauf, wie forsch diese Frauen in die Welt schauen.

Nacktheit ist keine Grundbedingung der Erotik

Helmut Newton- Ausstellung

June Newton, die Witwe des Fotografen Helmut Newton, bei einer Eröffnung in der Berliner Nationalgalerie, vor dem Bild "Saddle I" aus der Serie "Sleepless Nights, Paris 1976"

(Foto: picture alliance / dpa)

Nehmen wir aber mal das Bild "Saddle I" aus der Serie "Sleepless Nights, Paris 1976" - das zeigt eine Frau, keineswegs nackt, sie trägt Hosen und Stiefel und einen BH, und ja: Sie schaut sehr forsch. Das ändert aber nichts daran, dass sie auf allen Vieren auf einem Bett zu sehen ist, mit einem Sattel auf dem Rücken. Viele Frauen sehen in dieser Fotografie die Reduktion auf ein Tier, aufs Animalische; und sehr, sehr viele werden es als abstoßend empfinden. Weil das, was man darauf sieht, zwar eine selbstbewusste Frau ist - aber eine dominierte Frau ist sie trotzdem. Geradezu verbogen. Der Fotograf Newton zwingt sie in eine Unterwerfungspose. Gut, das ist Kunst, keine Werbung: Aber man kann über die Aussage dieses Bildes streiten. Und wenn eine Gruppe von Leuten es diskutiert, werden nicht alle dasselbe in ihm erkennen. Was an Bildern chauvinistisch, sexistisch, erniedrigend wirken kann - das ist wie der Tonfall in der Sprache. Wortgleiches kann harmlos sein oder aber abwertend.

Es gibt in der Fotografie einen krassen Gegenentwurf: die Bilder von Peter Lindbergh, eigentlich fast alle. Blättert man durch einen seiner Bildbände, haben die Frauen, die er zeigt - sie sind nur selten nackt - vor allem eines gemeinsam: Sie wirken irgendwie tiefenentspannt. Das Supermodel Naomi Campbell beispielsweise, auf dem Bild "Naomi Campbell, Deauville, Vogue, Italy, 1988". Darauf ist sie nackt, aber sie posiert eigentlich nicht, ihre Haltung ist das Gegenteil von verbogen. Campbell erscheint gelöst, glücklich mit sich selbst - eigenständiger und selbstbestimmter geht es kaum. Campbell wirkt nicht reduziert und objektifiziert; entspannt ist der Mensch nur, wenn er nicht in etwas hineingedrängt wird, das er nicht will. Das ist ein schönes Kriterium, um Erniedrigung auszuschließen: Entspanntheit. Aber das ist ein ästhetischer Maßstab, der sich kaum gesetzlich regeln lässt. Bei Lindberghs Fotografie von Naomi Campbell ist die Nacktheit sogar wichtig, angezogen wäre sie nicht annähernd so - ungezwungen.

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Peter Lindberghs "Naomi Campbell, Deauville, Vogue, Italy, 1988" bei der Pariser Foire internationale d'art contemporain2009

(Foto: AFP)

In der Schöpfungsgeschichte werden sich Adam und Eva ihrer Nacktheit erst bewusst, als sie die Frucht vom Baum der Erkenntnis naschen und die Scham erfinden. Diese christlichen Motive haben sicher viel damit zu tun, dass Nacktheit auch ein Ausdruck von Unschuld ist - und Schamlosigkeit kein Unglück, sondern der schönste vorstellbare Zustand.

Männliche Schlampen? Gibt es nicht. Freizügigkeit gilt nur bei Frauen als Makel

Dass Nacktheit mit Freiheit zu tun hat, kommt jedenfalls daher, dass Scham und Freiheit einander eher im Weg stehen. Eine Grundbedingung der Erotik ist Nacktheit nun wirklich nicht. Die Ursprünge der Freikörperkultur hatten ja nicht die Sexualisierung der Öffentlichkeit zum Ziel, es sollten eigentlich ohne Kleider alle gleich sein. Und dass es in der deutschen Werbung so viel nackte Haut gibt, was beispielsweise in den USA immer schon unvorstellbar gewesen ist, liegt vielleicht auch an unserer Geschichte: Der deutschsprachige Raum ist die Heimat der Freikörperkultur und der Sexualforschung, und die Prüderie hat hier ohnehin nur ein kurzes Gastspiel gegeben, die Tabuisierung der Nacktheit gibt es erst seit dem Spätmittelalter. Und auch das mit Unterbrechungen: Anfang des 19. Jahrhunderts, nach der französischen Revolution, als es aus der Mode kam, ein Korsett zu tragen, durften Kleider auch mal durchsichtig sein.

Das war nicht immer so und nicht überall. Im alten Athen war das öffentliche Nacktsein, dieses Recht auf Schamlosigkeit, man ahnt es, Männern vorbehalten. Und es ist bis heute in weiten Teilen der Welt komplett undenkbar, das auf Mehrfamilienhausgröße aufgeblasene Foto eines nackten Menschen im öffentlichen Raum aufzuhängen. Auch an Orten, an denen das früher nicht so gewesen ist. Wer so wenig anhat wie die Menschen auf den Bildern der ägyptischen Antike, käme heute in Kairo nicht weit.

Kleiderordnungen, Verhüllungsgebote - die haben immer mit der Zuteilung von Rechten und Pflichten zu tun. Auch wenn einem die permanente Sexualisierung von allem und jedem, im Internet und im Fernsehen und in Magazinen, eher suspekt vorkommt: Vielleicht sind sie das Tal, das wir auf dem Weg zur Gleichberechtigung durchschreiten müssen. Das Maas'sche Gesetzesvorhaben würde ja für die diskriminierende Abbildung von Männern genauso gelten - der Werberat allerdings hat einen solchen Fall wohl schon länger nicht gerügt. Es gibt auch immer noch keine männlichen Schlampen, während nicht einmal die derzeitige Sexualisierung die Vorstellung von der weiblichen Schlampe hat ausrotten können.

Freizügigkeit als Makel ist nach wie vor Frauen vorbehalten. Und dieses Phänomen, so viel ist nach vielen Tausenden Jahren Kulturgeschichte sicher, lässt sich mit Prüderie nicht bekämpfen.

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