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Diskriminierende Steuerpflicht am Theater:Wer anders ist, muss mehr zahlen

Farce in dem an Farcen reichen Umsatzsteuerrecht: Für das Finanzamt gehören Theaterregisseure einer ganz anderen Künstlergattung an als beispielsweise Dirigenten, Schauspieler oder Sänger. Die Regisseure müssen daher im Gegensatz zu ihren Bühnenkollegen den vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent zahlen.

Reinhard Brembeck

Als vor Unzeiten Robert Lembke im westdeutschen Fernsehen sein Beruferaten "Wer bin ich?" veranstaltete, pflegte er Künstler danach zu fragen, ob sie der reproduzierenden oder der kreativen Spezies angehörten. Diese Unterscheidung ist längst obsolet. Kein Mensch würde heute mehr daran zweifeln, dass Anne-Sophie Mutter oder Bruno Ganz genauso vollwertige Künstler sind wie Michel Houellebecq oder Pierre Boulez. Mit einer prominenten Ausnahme: dem deutschen Finanzministerium. Das nämlich treibt Lembkes feinsinnige Unterscheidung in Sachen Künstler noch einen Schritt weiter. Weshalb für das Ministerium Theaterregisseure zu einer ganz anderen Künstlergattung gehören als beispielsweise Dirigenten, Schauspieler, Sänger.

Eine auf den ersten Blick kuriose Unterscheidung. Die aber die Regisseure viel Geld kosten wird. Denn sie müssen deshalb den vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent zahlen, während ihre Bühnenkollegen mit 7 Prozent davon kommen oder sogar davon befreit sind.

Um das zu verstehen, muss man bis zu den "Drei Tenören" zurückgehen, die vor gut 15 Jahren unter diesem Titel durch die Sportarenen der Welt tourten. Ihr deutscher Veranstalter war der Ansicht, dass es sich dabei nicht um ein Spektakel handelte, sondern um Kunst. Also zahlte er keine Mehrwertsteuer. Weil ja auch Theater und Opernhäuser davon befreit sind.

Das aber rief den Staatsanwalt auf den Plan, und der Veranstalter wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Aber der Fall ging dann bis zum Europäischen Gerichtshof, der Deutschland dazu verurteilte, das Umsatzsteuergesetz in Sachen Kunst zu ändern. Der "Grundsatz steuerlicher Neutralität" lasse es nicht zu, dass Kulturinstitute wie Theater oder Zoos anders behandelt würden als ein "Einzelkünstler". Die Details überließ man dem deutschen Finanzministerium.

Das verfiel darauf, die Bühnenkünstler zu klassifizieren. Es entwickelte dabei eine auf den ersten Blick bestechende Logik. Alle Selbstständigen, die fortan auf einer Bühne auftraten, wurden von der Umsatzsteuer befreit. Dirigenten und Regisseure aber, die nicht auf der Bühne erscheinen, wurden zum Höchstsatz veranlagt.

Ausnahmen und Steuerbefreiungen

Die Dirigenten, die damit argumentierten, ebenfalls während den Aufführungen gut sichtbar dabei zu sein, nahmen das nicht hin und wurden auch bald wieder umsatzsteuerbefreit. Die Regisseure aber blieben weiter draußen und müssen seither zahlen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis scheint es allerdings Ausnahmen und Steuerbefreiungen gegeben zu haben.

Einem prominenten Theaterregisseur passte diese diskriminierende Regelung überhaupt nicht. Zumal er für eine Opernregie vom Finanzamt erst den ermäßigten und zuletzt sogar den vollen Steuersatz aufgebrummt bekam. Er klagte, bekam in einer Instanz Recht, scheiteret aber am 4. Mai dieses Jahres endgültig vor dem Bundesfinanzhof.

Der schloss sich der Sichtweise des Finanzministeriums an und forderte den vollen Steuersatz: "Denn die Dienstleistungen der den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler sind weder mit denen eines Regisseurs gleichwertig noch stehen sie im Wettbewerb zueinander." Eine sehr spezielle und ausnehmend kunstfremde Sichtweise.

Dieses Urteil, das in den Augen des Gerichts konform geht mit europäischem Recht, wird die angespannte finanzielle Situation der Theater noch weiter verschärfen. Denn schon bald könnte es mit all jenen Sonderregelungen vorbei sein, die die Finanzämter bisher akzeptiert haben. Dann muss jeder Regisseur seine 19 Prozent zahlen.

Wären Theater normale Wirtschaftsunternehmen, würden sie die Umsatzsteuer einfach auf die Gagen aufschlagen und sich das Geld dann vom Staat wiederholen. Da sie aber von der Umsatzsteuer befreit sind, bleibt ihnen dieser Weg verschlossen. Die kleinen und mittleren Häuser werden Bruttohonorare zahlen, die die damit sicherlich kaum zufriedenen Regisseure dann voll versteuern müssen, einschließlich Umsatzssteuer. Während die Starregisseure mittels Nettohonoraren die Erhöhung den Theatern aufdrücken können.

Das bedeutet nicht nur einen Einkommensverlust für viele Regisseure, auch die Kosten der Opernhäuser werden steigen. Begeistert ist deshalb niemand von diesem Urteil. Beim Bühnenverein grassiert zudem die Angst, dass nun alle gleich behandelt werden könnten, dass also alle Selbständigen zu 19 Prozent verpflichtet werden.

Vergebliches Bemühen

Zumal sich in dieser Woche die deutschen Länderfinanzministerien zusammensetzen und dabei wohl auch das Urteil vom 4. Mai zur Sprache kommt. Allerdings sieht man im bayerischen Finanzministerium keinerlei Handlungsbedarf, da mit diesem Urteil ja nur die Berliner Position bestätigt würde.

Während Bayerns Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP) seinen Finanzministerkollegen Georg Fahrenschon (CSU) dazu auffordern will, auch Regisseure von der Umsatzsteuerpflicht zu befreien. Ein, wie es im Moment aussieht, wohl vergebliches Bemühen. Und so wird diese Farce in dem an Farcen reichen Umsatzsteuerrecht wohl Bestand haben.

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SZ vom 20.09.2011/pak
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